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Zwischen Saisonvorhersagen und Klimaprojektionen

Klimaexperten können zwar sagen, wie kalt der kommende Winter wird oder wie stark sich die Erdatmosphäre bis zum Jahr 2100 erwärmen wird. Mittelfristige Vorhersagen für die nächsten zehn Jahre fallen den Experten aber schwer. Die Verlässlichkeit sogenannter dekadischer Vorhersagen beschäftigen derzeit die Experten auf der Internationalen Konferenz über Erdsystemmodellierung in Hamburg.

Von Volker Mrasek | 20.09.2012
    "Wird's jetzt in den nächsten zehn Jahren hier tendenziell wärmer oder kälter?"

    Das wüsste nicht nur Wolfgang Müller sehr gerne, nachdem die globale Erwärmung im vergangenen Jahrzehnt eine kleine Verschnaufpause einlegte und nicht ständig neue Temperaturrekorde produzierte:

    "Dieses Pendel schlägt irgendwann wieder zurück, das heißt, irgendwann steigt die Temperatur dafür etwas schneller."

    Wann wird es so weit sein und das Welt-Thermometer wieder stärker steigen? Um solche Fragen beantworten zu können, testen Meteorologen neuerdings dekadische Vorhersagen. Auch Wolfgang Müller, der in Hamburg forscht, am Max-Planck-Institut für Meteorologie:

    "Man hätte da ein Vorhersagesystem entwickelt für einen Bezugszeitraum von zehn bis 20 Jahren."

    An diesem Ziel arbeiten derzeit alle führenden Klimaforschungszentren in der Welt. Auch in Deutschland gibt es ein nationales Forschungsprojekt dazu. Es heißt MiKliP. Das steht für "mittelfristige Klimaprognosen".

    Seit 2010 laufen die Vorhersagemodelle im Testbetrieb. Vorläufig liefern sie lediglich Temperaturtrends, das aber mit ersten erfreulichen Zwischenergebnissen, wie Doug Smith jetzt in Hamburg berichtete. Der Brite arbeitet am Hadley-Zentrum für Klimavorhersage und -forschung in Exeter:

    " So weit wir das bisher sagen können, gibt es eine hohe Übereinstimmung der Vorhersagemodelle untereinander - und auch zwischen Modellen und der Realität. Das erste vorhergesagte Jahr war 2011, und die Modelle haben die reale Temperaturentwicklung außerordentlich gut getroffen. Es gab eine La Nina in dem Jahr ..."

    ... also eine natürliche Kältephase im tropischen Pazifik ...

    "... und die Modelle haben sie alle vorhergesagt - genauso wie die stärkere Erwärmung in den USA, die es schon 2011 gab. In diesem Jahr ist sie ja noch extremer. Und auch das taucht als Hotspot in den Vorhersagen auf. Also, die Modelle machen einen ganz guten Eindruck."

    Der Schlüssel für erfolgreiche Temperatur-Trendprognosen über Zeiträume von Jahren oder Jahrzehnten liegt im Ozean. Denn, so Max-Planck-Forscher Wolfgang Müller:

    "Der Ozean hat sozusagen das Langzeitgedächtnis. Und der schubst sozusagen die Atmosphäre an."

    Das Meer ist ein riesiger thermischer Speicher, der sehr träge reagiert und Temperaturimpulse nur langsam verarbeitet. Atlantik und Pazifik sind zudem natürlichen Schwankungen unterworfen, die die mittel- oder langfristig auftreten.

    Diese Zyklen in beiden großen Ozeanbecken haben starken Einfluss auf das Klima. Sie zu kennen, ist Grundbedingung für verlässliche dekadische Vorhersagen der Temperaturentwicklung in Ozean und Atmosphäre. Doug Smith:

    "Der Pazifik wechselt alle paar Jahre zwischen einer warmen El-Nino- und einer kalten La-Nina-Episode. Auch im Nordatlantik gibt es von Natur aus wärmere und kältere Phasen, die das Klima beeinflussen. Nur dauern sie dort viel länger."

    Ihre dekadischen Vorhersagemodelle füttern die Meteorologen deshalb mit aktuellen Daten über die Temperatur und den Salzgehalt der Ozeane. Für gute Prognosen ist aber sicher noch mehr nötig. Vielleicht brauchen die Modelle zusätzlichen Input, etwa aus der Atmosphäre oder von der Landoberfläche. Das, so Wolfgang Müller, sollen die Testläufe und Analysen der nächsten Jahre zeigen:

    "Was wir sicherlich schon sagen können, dass eben Kerngrößen im Ozean oder eben auch die Oberflächentemperatur vorhersagbar sind. Wenn's auf Land geht, also da, wo's eigentlich für uns richtig spannend wird - dort ist es eigentlich noch relativ schwierig, eine vernünftige Vorhersagegüte zu finden."

    Mit anderen Worten: Es wird sicher noch Jahre dauern, bis dekadische Klimavorhersagen wirklich anwendungsreif sind.