Es ist viel los an diesem Sonntag im Advent. Der Parkplatz ist voll, in der Innenstadt von Monheim ist Weihnachtsmarkt. Wir sind auf der zweiten Etappe unserer Wanderung durch Deutschland. Diesmal haben wir allerdings das Schiff genommen, denn an dieser Stelle führt kein anderer Weg über den Rhein. Glück für uns: Die Fähre von Dormagen-Zons nach Düsseldorf-Urdenbach verkehrt auch im Winter.
Knapp vier Minuten dauert die Fahrt, draußen ist es kalt und sonnig. Unten am Anleger erwarten uns Laura Töpfer, 23, und Andy Eggert, 27. Sie nehmen uns mit in ihre Heimat - nach Monheim. Die Stadt mit ihren 40.000 Einwohnern wurde vor zehn Jahren noch als hässliches Stiefkind belächelt und galt als Armenhaus im Kreis Mettmann. Das ist vorbei. Und das liegt auch an Laura und Andy. Laura ist Vorsitzende der Partei PETO, Andy ist stellvertretender Fraktionschef im Stadtrat.
PETO stammt von lateinisch "ich fordere", aber im Winter 2014 passt das nicht mehr. PETO hat seit der Kommunalwahl im Mai eine überwältigende Mehrheit im Stadtrat. 26 von 40 Sitzen: Da muss keiner mehr etwas fordern. "Damit müssen wir alle erstmal klarkommen", sagt Laura. Sie meint nicht nur ihre eigene Partei, sie meint auch die anderen. Die CDU hat noch sieben Sitze, die SPD drei, die Grünen zwei und FDP und Linke je einen. Seit der Wahl ist der Wind rauher geworden, das sagen beide. "Es ist schwieriger geworden, nicht als eine Partei dazustehen, die ihre Macht ausüben will", findet Andy. "Aber genau das wollen wir nicht sein. Wir wollen, dass möglichst viele unsere Entscheidungen mittragen."
Das klappt allerdings nach Auskunft der CDU noch nicht so gut. Fraktionschef Markus Gronauer sagte uns am Telefon, menschlich sei die Zusammenarbeit zwar sehr angenehm. In den Ausschüssen aber seien Diskussionen und Kompromisse nicht möglich, weil die PETO nicht in der Lage sei, in den Sitzungen auf andere Meinungen einzugehen. Auch hätten von den 26 PETO-Ratsmitgliedern nur fünf bis sechs schon eine gute politische Erfahrung. "Viele sind noch nagelneu in Rat und Politik", sagt Markus Gronauer.
Mit 95 Prozent wiedergewählt
Wir bummeln mit Laura und Andy zum Marktplatz in der Altstadt. Buden, Lichter, Volk. Das Kinderkarussell "1001 Nacht" dreht sich, dahinter liegt das "Rheincafé". Kein Zufall, dass Laura diesen Ort vorschlägt. Das Café ist gemütlich und wird von Schülern (zweier Schulen als AG) betrieben. Die Stadt half beim Startkapital, und jetzt kann im "Rheincafé" jeder auf roten Kunstlederbänken sitzen und einen etwas zu dünnen Latte Macchiato trinken.
Der Bürgermeister von Monheim heißt Daniel Zimmermann. Er hat die PETO mitgegründet, und über ihn gab es viele Berichte. 2009 zum Beispiel, als er mit 27 Jahren zum Bürgermeister gewählt wurde. Und 2014, als er mit fast 95 Prozent der Stimmen wiedergewählt wurde. Über Laura und Andy gibt es noch nicht so viele Artikel. "Das ist heute, glaube ich, mein zweites Interview", sagt Laura. Andy geht es genauso. Die beiden hier, spüren wir, die arbeiten im Maschinenraum der PETO. Die Partei hat laut Flyer 417 Mitglieder. Es gibt sogar eine AG für über Dreißigjährige.
Laura und Andy sind angenehme Lokalpatrioten. Wenn Laura "Ich bin Monheimerin" sagt, dann klingt das weder eitel noch rechtslastig. Auch Andy ist fest verwurzelt in der Stadt und sagt Sätze wie: "Ich führe hier ein glückliches Leben mit meiner Familie." Das klingt für einen 27-Jährigen ein bisschen zu erwachsen, aber den Vorwurf kennt Andy schon. "Ich war noch nie der Partygänger", meint er.
Kinderfreundlichkeit steht weit vorn
Andy ist verheiratet, hat zwei Kinder und studiert Humanmedizin in Düsseldorf. Laura ist ledig, und studiert in Düsseldorf Psychologie. Nebenher arbeitet sie in einem Teeladen in der Innenstadt von Monheim. Beide sehen die Lokalpolitik als Hobby - eins, das viel Zeit beansprucht. Jeden Montag ist Fraktionssitzung, dazu kommen die Termine im Rat. Gepunktet hat die PETO über die Jahre mit mehreren Themen - und das nicht im Alleingang, sondern gemeinsam mit den anderen Fraktionen.
"Für uns bei der PETO war von Anfang an die Kinderfreundlichkeit sehr wichtig", sagt Laura. Das Ergebnis: Heute sind die Kindergärtenplätze ebenso kostenlos wie der Offene Ganztag. Laura zählt noch andere Themen auf: Schulhöfe werden restauriert, die zentrale Krischerstraße soll aufgehübscht werden, der heimische Energieversorger MEGA gehört wieder zu 100 Prozent der Stadt. Und demnächst sollen alle Haushalte ans Glasfasernetz. Woher kommt das Geld?
Das Risiko der Steuersenkung
Die Antwort ist einfach: Monheim hat etwas riskiert. Auf Betreiben der PETO hat der Rat in den vergangenen Jahren die Gewerbesteuer drastisch gesenkt, von 450 auf 285 Punkte. Der gewünschte Effekt trat ein: Es siedelten sich neue Firmen an - das brachte 1.500 Stellen und neue Steuereinnahmen. Wir reden von Millionen. "Monheim war in zwei, drei Jahren
schuldenfrei", sagt Eberhard Kanski vom Bund der Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen. "Die haben sich was einfallen lassen, die jungen Leute. Die haben nicht die Hände in den Schoß gelegt. Und die Bürger goutieren das." Die IHK auch.
schuldenfrei", sagt Eberhard Kanski vom Bund der Steuerzahler in Nordrhein-Westfalen. "Die haben sich was einfallen lassen, die jungen Leute. Die haben nicht die Hände in den Schoß gelegt. Und die Bürger goutieren das." Die IHK auch.
Doch es gibt Gegenwind. Besonders laut schimpfte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, SPD. Vor laufender Kamera bei Günther Jauch warf sie Monheim vor, Firmen aus anderen Kommunen abgeworben zu haben. Diese Kritik weist die PETO natürlich zurück.
Schützenhilfe leistet auch hier der Bund der Steuerzahler. Eberhard Kanski sagt es deutlich: "Die Aussage von Frau Kraft war falsch. Bis auf ein bis zwei Ausnahmen waren es keine Firmen aus der Region. Es ist vielmehr so, dass sogar Firmen aus dem Ausland gekommen sind."
Monheim muss jetzt trotzdem dafür bezahlen. "Kommunal-Soli" lautet der umstrittene Begriff. Die Idee: Das Land NRW stellt Milliardengelder bereit, und die finanzschwachen Kommunen müssen sich im Gegenzug sanieren. Aber: Die finanzstarken Städte müssen sich beteiligen - über das ohnehin festgelegte Maß hinaus, und zwar per Sonderumlage. Der größte Anteil mit jährlich rund 20 Millionen Euro entfällt dabei auf ... Monheim. Die Stadt hat sich vor Kurzem mit mehr als 70 Kommunen zusammengetan und Klage beim Landesverfassungsgericht eingereicht. Der Bund der Steuerzahler versteht das gut.
Unerfahrenheit kann Vorteile haben
Zurück bei Laura und Andy. Beim Bummel über den Weihnachtsmarkt können wir beobachten, was es heißt, für PETO zu arbeiten. Alle paar Meter grüßen die beiden jemanden und winken. Wir kommen an Andys Elternhaus vorbei, wir treffen die Eltern des Bürgermeisters. PETO ist überall.
Früher runzelte so mancher in Monheim die Stirn: Übernimmt die Jugend die Stadt? Inzwischen aber wird PETO ernstgenommen, "sonst hätten wir ja nicht dieses Ergebnis bekommen", sagt Laura. "Die Leute vertrauen uns, obwohl wir jung sind. Oder gerade weil wir es sind." Andy legt nach: "Unsere Unerfahrenheit hat auch Vorteile. Wenn wir eine Vorlage im Rat nicht sofort verstehen, dann haken wir nach."
Viele Monheimer fühlen sich bei PETO einfach gut aufgehoben. Wir sprechen nahe dem Einkaufszentrum "Monheimer Tor" spontan ein paar Menschen an. Richard und Marita zum Beispiel, ein Ehepaar um die 50. "PETO ist für alle da", sagt Marita. "Nicht nur für Jugendliche, auch für Ältere, für Familien und für Singles. Sie vertreten alle sehr gut. Sie machen ihre Hausaufgaben." Auch der SPD-Genosse am Glühweinstand, der sich selbst "alter Kämpfer" nennt, räumt ein: "Die haben halt jetzt die Mehrheit. Das ist die Jugend, und wir laufen hinterher."
Gänsehaut im Stadtrat
Gleich 15 Uhr. Laura muss in den Teeladen zum Arbeiten, auf Andy wartet seine Familie. Das ist beiden wichtig: Dass sie zwar aus Überzeugung Politik machen, aber trotzdem nicht abgehoben sind. "Bei meiner ersten Ratssitzung im Sommer hatte ich Gänsehaut", sagt Laura. Kein Wunder: Damals wurde sie zur stellvertretenden Bürgermeisterin gewählt. "Aber", sagt sie, "wir sind immer noch die Laura und der Andy von nebenan." Vielleicht hat die PETO gerade deshalb so einen Erfolg in Monheim: Weil Leuten von nebenan nicht egal ist, was in ihrer Stadt passiert.