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Adams älterer Bruder

Genetik. - Seit Beginn der Menschheitsgeschichte vor rund sieben Millionen lebten immer mehrere Menschenarten gleichzeitig. Doch seit dem Aussterben der Neandertaler vor knapp 30.000 Jahren lebt nur noch eine Menschenspezies: Homo sapiens, und dieser gehören alle heute lebenden Menschen an. Jetzt berichten US-amerikanische Genetiker, dass sie bei einem kürzlich verstorbenen US-Bürger ein Y-Chromosom entdeckt haben, dass es schon mehr als 100.000 Jahre gab, noch bevor sich unsere Menschenart überhaupt entwickelt hatte.

Von Michael Stang | 31.05.2013
    Albert Perry hatte vermutlich keine Ahnung, welche Turbulenzen er nach seinem Ableben verursachen würde. Ebenso war ihm sicher nicht klar, welches Geheimnis er in seinen Zellen trug. Eine Nichte des Afroamerikaners wollte nach seinem Tod mehr über die Herkunft der Perryfamilie in South Carolina herausfinden. Dazu schickte sie eine Zellprobe zu der Firma "Family Tree DNA", die Genetikanalysen zur Stammbaumforschung anbietet. Doch bei der Analyse gab es Probleme. Perrys Y-Chromosom passte in keine der bislang bekannten Kategorien, so Genetiker Fernando Mendez von der Universität von Arizona in Tucson.

    "Die Firma fragte uns, ob unser Labor nicht die weitere Analyse machen könnte. Ziel war herauszufinden, woher diese Abstammungs-Linie stammt, denn die Ursprünge liegen ja nicht in Nordamerika. Und schnell war klar, dass diese Y-Linie sehr selten ist."

    Mit "selten" bezeichnet der Genetiker die Tatsache, dass diese Linie bislang unbekannt war und das, obwohl die Disziplin Genetik längst ihren Kinderschuhen entwachsen ist und weltweit bereits Millionen von Y-Chromosomen untersucht hat. Diese werden in der männlichen Linie nahezu unverändert vom Vater auf den Sohn weitergegeben. Die Analysen des neuen Y-Chromosoms brachten die Forscher zum Staunen.

    "Diese Y-Chromosomenlinie ist völlig anderes als alles das, was wir bislang von Homo sapiens kennen. Unseren Hochrechnungen zufolge muss sich diese Linie abgespaltet haben, noch lange bevor sich Homo sapiens entwickelt hat. Das muss vor rund 340.000 Jahren passiert sein."

    Bislang galt die Lehrmeinung, dass alle heute lebenden Männer ein Y-Chromosom tragen, das sich vor rund 100.000 Jahren entwickelt hat. Zu dieser Zeit hatte sich die Spezies Homo sapiens schon lange etabliert, denn die ältesten bekannten Knochenfunde unserer Art sind rund 195.000 Jahre alt. Das bedeutet aber nicht, dass Albert Perry kein Vertreter von Homo sapiens war. Lediglich zeigt dies, dass sich die alte Linie bis heute gehalten hat, denn einer von Perrys Urvätern muss irgendwann in Zentralafrika mit einer Homo sapiens-Frau einen Sohn gezeugt haben, der sein Y-Chromosom auch wieder weitervererbt hat. Und diese männliche Linie hat bis heute überlebt. Damit sei klar, dass das Wissen um die Genetik hinsichtlich der Menschwerdung noch nicht wirklich verstanden ist, räumt Fernando Mendez ein.

    "Wir dachten früher, dass sich die Vielfalt des heutigen Y-Chromosoms erst vor kurzem entwickelt hat. Da spielen viele Faktoren der Evolutionsbiologie eine Rolle, also wer wie viele Nachkommen hatte und so weiter. Man darf aber nicht vergessen, dass das Y-Chromosom nur ein Aspekt der Menschwerdung ist, der natürlich nicht zwangsläufig die eine Wahrheit abbilden muss. Nimmt man ein anderes System, kann das schon wieder zufällig ganz anders aussehen."

    Hochrechnungen zufolge leben heute vermutlich mehr als 1000 Männer mit diesem Y-Chromosom. Die Untersuchungen in Arizona zeigten, dass es seinen Ursprung im heutigen Kamerun haben könnte. Denn dort wurden in einem Dorf einige Männer untersucht, die genetische Ähnlichkeiten mit Albert Perry aufweisen. Mendez:

    "Von daher gibt es hier nur eine bedingte Aussagekraft hinsichtlich des Ursprungs von Homo sapiens, denn es geht nur um das Y-Chromosom. Ungewöhnlich und überraschend sind aber sein Alter und die Tatsache, dass heute noch eine Linie existiert, von der wir bislang nichts wussten. Es ist ungewöhnlich und höchst selten, etwas derartig Einzigartiges zu finden."

    Damit gibt es nun einen weiteren Beleg, dass die Art Homo sapiens nicht so einzigartig ist, wie dies bis vor wenigen Jahren noch erachtet wurde. Kürzliche Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass viele Menschen außerhalb Afrikas noch immer zum Teil Erbgut anderer Menschenarten in sich tragen und zwar Gene von Neandertalern und den Denisova-Menschen.