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Aktionstag
Hochschulen in Baden-Württemberg fordern mehr Geld

In Baden-Württemberg haben Professoren und Studenten mit einem landesweiten Aktionstag auf die Finanznot ihrer Hochschulen hingewiesen. In der Kritik steht vor allem die geringe Grundfinanzierung. Die Wissenschaftsministerin des Landes, Theresia Bauer (Grüne), zeigte Verständnis für den Protest.

Von Michael Brandt | 21.05.2014
    Eine Studentin der Schulpädagogik schreibt am 17.10.2012 während einer Vorlesung in einem vollen Hörsaal in der Universität in Tübingen (Baden-Württemberg) mit.
    Studenten beklagen, dass Sparmaßnahmen auf Kosten der Lehre stattfinde. (picture alliance / dpa - Jan-Philipp Strobel)
    Der Protest in Tübingen hat schon gestern Abend um 18 Uhr begonnen, mit einer 24-Stunden-Vorlesung für mehr Geld in der Uni.
    Den Auftakt machte der Literaturwissenschaftler Jürgen Wertheimer, dann ging es im Laufe der Nacht in einem Ritt quer durch die Wissenschaften um die Zivilklausel, Sehen in der Tiefsee, Fracking, Sinn oder Unsinn des Bolognaprozesses und schließlich die Baufinanzierung an der Uni selbst. Das Bemerkenswerte an diesem Protest ist, dass alle an einem Strang ziehen. Professoren wie Wertheimer:
    "Literaturwissenschaft wird einfach auf Sparflamme gehalten, das ist aber eine Normalität."
    Studierende:
    "Es werden viele Stellen einfach nicht mehr besetzt, das merkt man, das Angebot an Vorlesungen und Seminare wird immer geringer. Ich habe Montags ein Seminar mit 45 Leute, die Leute können nicht mehr, die Luft kann nicht mehr, aber es ist eben interessant. Das ist etwas, was uns alle betrifft, und deshalb kann es eigentlich nur eine Stimme geben."
    Und Bernd Engler, Rektor der Eberhard Karls Universität in Tübingen, der die Lage so nennt:
    "Dramatisch. Wir stehen mit dem Rücken nicht an der Wand, sondern schon in der Wand. Wir haben ein strukturelles Defizit von nahezu 13 Millionen."
    Das Problem ist, dass die neun Universitäten im Land 1999 und 2006 zwei sogenannte Solidarpakte mit dem Land ausgehandelt haben, in dem sie sich auf einen Festbeitrag für die Grundfinanzierung der Hochschulen geeinigt haben. Allerdings stellte sich schnell heraus, dass dieser Betrag nicht reicht. Bei den Unis läuft deshalb nach den Angaben von Hans-Jochen Schiewer, dem Vorsitzenden der Landesrektorenkonferenz, pro Jahr ein Defizit von 52 Millionen auf.
    "Wir müssen durch Stellenkapitalisierung dafür sorgen, dass dieses Defizit gedeckt wird. Hier muss dringend Abhilfe geschafft werden."
    "Unser Erfolg frisst uns auf"
    Eingespart werden muss das Geld also bei den Stellen, denn das ist die einzige bewegliche Masse, über die die Universitäten verfügen, so der Tübinger Rektor Bernd Engler. Verschärft wird die Situation in Tübingen paradoxerweise durch die erfolgreich eingeworbenen Drittmittel. Denn die zusätzlichen Forschungskapazitäten benötigen natürlich die Infrastruktur der Universität:
    "Unser Erfolg frisst uns auf, sprich in dem Moment, wo wir einen Cent einwerben, haben wir weitere Belastungen in der Grundfinanzierung, da diejenigen, die uns Drittmittel zubilligen. Von uns gewisse Grundausstattungszusagen erwarten."
    Und das wiederum, so die Kritik der Studierenden, geht auf Kosten der Lehre, insbesondere in den Fächern, in denen es keine drittmittelfinanzierten Projekte gibt. So Christin Gumbinger, Sprecherin der Fachschaftenvollversammlung der Uni Tübingen:
    "Die Lehre ist schon immer das Stiefkind gewesen. Die Kurse sind voll, es gibt weniger Seminare, es fehlt Material, in den Naturwissenschaften fehlt teilweise einfach die technische Ausstattung."
    Verhandlungen über den neuen Solidarpakt
    Das Ziel der Unis an dem Aktionstag ist also klar formuliert. Bei den Verhandlungen über den neuen Solidarpakt, der bis 2020 reichen soll, muss zunächst das aktuelle Defizit gedeckt werden, und dann, so Hans Jochen Schiewer
    "Wir benötigen drei Prozent auf die Grundfinanzierung als Inflationsausgleich, das sind 55 Millionen Euro. Und wir benötigen die Sicherheit, dass der Inflationsausgleich auch weiterhin erfolgt."
    Wissenschaftsministerin Theresia Bauer als Verhandlungspartnerin der Rektoren über die künftige Grundfinanzierung hat Verständnis für diese Forderungen und hat gemeinsam mit de Finanzminister bereits angekündigt, dass die Grundfinanzierung Zitat "substanziell" erhöht werden soll.
    "18 Jahre ohne Anpassung der Grundfinanzierung, im Zeitraum der letzten zehn Jahre ist die Studierendenzahl um circa 40 Prozent gestiegen. Deshalb ist dringender Handlungsbedarf vorhanden."
    Allerdings übt die Ministerin gegenüber dem Deutschlandfunk auch deutliche Kritik daran, dass sich die Rektoren 2006 auf den damaligen Solidarpakt mit der schwarz-gelben Vorgängerregierung eingelassen haben. Sie haben sich über den Tisch ziehen lassen, so Bauer.
    "In gewisser Weise kann man das so formulieren, dass das eine Verhandlung ein Stück weit zuungunsten der Hochschulen war, denn die Studierendezahlen waren damals bekannt. Auch die Energiekosten waren durchaus nicht unbekannt."
    Aufseiten Landes ist dennoch einerseits viel guter Wille da, die Situation der Unis zu verbessern - zumal die Studierendenzahl in den kommenden Jahren voraussichtlich weiter deutlich steigen wird. Andererseits ist das Geld knapp, alle Ressorts müssen sparen und es wird schwierig sein, da für die Wissenschaft eine Ausnahme zu machen.
    Und so wird heute landesweit an allen Unis protestiert. Fast überall gibt es Podiumsdiskussionen und Infoveranstaltungen. In Stuttgart Hohenheim wird sogar das Hauptgebäude der Uni mit Plakaten verhüllt, außerdem gibt es eine Trekkerparade quer über den Campus.