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Alles blau

Der Münchner Jazzproduzent Siegfried Loch kauft seit Jahren besonders blaue Bilder. So ist eine höchst subjektive und zugleich thematisch gebundene Sammlung entstanden. Unter dem Titel "Paint it blue" stellt das Neue Museum Weserburg in Bremen die Werke vor.

Von Rainer Berthold Schossig | 18.03.2007
    Es begann mit einem ganz unspektakulären, stillen Bild von Ernst Wilhelm Nay. Es trägt den schönen Titel "Blauklang". Der junge Musikproduzent Siggi Loch kaufte es in den 60er Jahren aus einer Laune heraus, und es war der Anfang einer großen, langen Freundschaft zur Farbe der Sehnsucht. Später hat der niederländische Jazzpianist Jasper van't Hof über das Bild "Blauklang" improvisiert:

    Zuerst waren da nur die weißen Wände und der graue Beton-Fußboden des Hauses, der ehemaligen Kaffeerösterei an der Weser. Jetzt hat man ihn mit einem tiefblauen Teppich belegt, und siehe, es trägt der blaue Flor die Bilder, als schwämmen sie auf der Oberfläche eines traumtiefen Gewässers. Da wird ein weiches, blau-waberndes Graubner-Kissen federleicht, die harten, metallic-türkisen Acryl-Kästen eines McCracken beginnen zu schweben. Natürlich ist Altmeister Yves Klein dabei, der konkrete Neuerfinder der Farbe Blau und Sam Francis mit einer hübschen "Composition in Blue and White", die, ganz typisch, nur am Rande einige blaue Wölkchen braucht, um ganz blau zu werden. Auch eine winzige azurne Leinwand, die von Lucio Fontana doppelt aufgeschlitzt ist, darf nicht fehlen; dazu ein blauer Winkel von Elsworth Kelly.

    Siggi Lochs magische Konrad-Klapheck-Maschinen schmücken schon seit 15 Jahren das Sammlermuseum Weserburg, jetzt prunkt ein hellblau gespritztes Fahrrad-Monster vor tiefblauem Himmel in der Schau - ironischer Titel: "Schicksal". Und die Farbe Blau hat in der Geschichte von Kunst, Literatur und Musik von jeher eine Art schicksalhafter Rolle gespielt. Die "Blaue Blume" der Romantik und der "Blaue Reiter" der Expressionisten spiegeln eine Suche nach Höhe und Tiefe zugleich

    "Je tiefer das Blau, desto mehr ruft es den Menschen in das Unendliche, weckt in ihm die Sehnsucht nach Reinem und schließlich Übersinnlichem", so Wassilij Kandinsky in seinem berühmten Aufsatz "Über das Geistige in der Kunst". Von der Blauen Grotte im Golf von Capri bis zum "International Klein Blue" zieht sich die Farbe Blau wie ein Konstante der Spiritualität durch die Bilder.

    Im Jazz, der anderen Identität des Sammlers Siggi Loch, entspricht dem die Tiefe des Blues und die entgrenzende Weite der blue note. Hier schließt die Ausstellung einen imaginären Kreis. Seit Beginn der Moderne sind Maler und Musiker der Avantgarde auf Parallel-Spuren unterwegs: Kandinsky beneidete Schönberg noch, "wie unendlich gut" er es habe, als Musiker "auf rein praktische Zwecke" vollkommen verzichten zu können. "Wie lange wird wohl die Malerei noch darauf warten müssen?", fragte er. Spätestens mit der Erfindung von Informel und Konkreter Kunst hat die Malerei mit der Musik gleichgezogen, was die Bremer Schau einleuchtend zeigt.

    Siegfried Loch hat zahlreiche Musiker dazu bewegt, Kompositionen zu Bildern seiner Sammlung zu schreiben und mit Vorliebe Werke gesammelt, die den Dialog zwischen Musik und Kunst suchen. etwa wenn Georg Baselitz eine vor blauem Grund taumelnde Figur "Night in Tunisia" nennt, oder wenn Claes Oldenburg ein "Soft Saxophone" blaues Wasser spucken und zwischen blauen Kaskaden posieren lässt, oder wenn Gerhard Richter blaue und grüne Farbe über eine Schallplatte mit den Goldbergvariationen rakelt. Zum Schluss "Z" wie Jerry Zeniuk: Der gestaltete das Cover für die Jazz-CDs der ACT-Edition von Siggi Loch. Der Musiker Jasper van't Hof hat der "Blauen Scheibe" von Jerry Zeniuk eine seiner schönsten Improvisationen gewidmet:

    "Zuerst ist Nichts, dann tiefes Nichts und schließlich blaue Tiefe", sagt der Philosoph Gaston Bachelard in seinem "Versuch über die Imagination der Materie". Und so ähnlich könnte man auch die Bremer Ausstellung zusammenfassen. In ihrer Summe sie ist sehr viel mehr als nur eine Ansammlung von blauen Bildern.