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Alte Musiker mit dem Computer plagiiert

Das Haus der Kulturen will den Einfluss des Menschen auf seine Umwelt in einer Reihe von Veranstaltungen kritisch untersuchen. Zum Auftakt geht es über den Umweg unmenschlicher Musik um die kreativen Schaffensprozesse des Menschen und die Rezeption durch den Zuhörer.

Von Florian Fricke | 19.02.2013
    Großes Gefühlskino wie immer vom Meisterkomponisten Sergei Rachmaninoff, der den Hörer mit seinen wohlig-molligen Akkorden direkt auf eine russische Birkenlichtung beamt. Bloß ist diese Klavier-Suite nicht von Rachmaninoff, sondern komplett von einer Software geschrieben. Der amerikanische Komponist und emeritierte Musikprofessor David Cope hat sie entwickelt, indem er die Stile verschiedener Komponisten per Computer analysierte. David Cope ist einer der Stargäste des Festivals "Unmenschliche Musik" im Berliner Haus der Kulturen der Welt, wo seine Pseudowerke im Stil der alten Meister aufgeführt werden. Kurator Detlev Diedrichsen kennt die ambivalenten Reaktionen, wenn Zuhörer mit Copes Experimenten konfrontiert werden.

    "Das wirft natürlich viele zentrale Fragen auf, vor allem die Frage nach persönlichem Stil. Wie ist der eigentlich zu definieren, wie kommt man persönlichem Stil auf die Schliche? Aber was ist auch menschliche Schaffenskraft? Es gibt viele Leute, die völlig entsetzt waren, als sie mitbekommen haben, das ist Musik, die eine Software komponiert hat, denn sie fühlten sich eigentlich ergriffen und denken, jetzt bin ich verarscht worden."

    Die Musik gilt als die intimste Kunstform des Menschen, hier legt er seine Seele bloß. Unmenschliche Musik von Software, Robotern oder Tieren erlaubt einen Außenblick auf den Menschen. Sie hinterfragt unsere Rezeption von Musik und die Sinnhaftigkeit kreativen Schaffens. Alexander Hacke zum Beispiel, Musiker und Künstler, bekannt als Mitglied der "Einstürzenden Neubauten", wartet mit einer Installation auf. In drei Dolmetscherkabinen wird jeweils ein Titel der australischen Post-Punker von Birthday Party, eine Bluesnummer von John Lee Hooker und ein Schlaflied der Burundi erst im Original zu hören sein, dann modifiziert: alle in einer Geschwindigkeit von 120 Beats per minute, alle in C-Dur. Alexander Hacke will damit auf ein allgemeines Phänomen aufmerksam machen.

    "Die Beobachtung, dass wir in der populären Musik freie und ursprünglich gespielte Musik gar nicht mehr hören, sondern all die Musik, die wir hören im Radio ist mit Hilfe von Software einem bestimmten Raster angepasst. Die Installation heißt Logstep, das ist das englische Wort für Gleichschritt. Zum Gleichschritt wäre vielleicht noch zu sagen, dass wir den zwar vom Militär her kennen, er aber vielmehr in Gefängnissen zum Einsatz gebracht wird."

    Einen spielerischen Ansatz verfolgt der Berliner Komponist Ralf Hoyer. Ein großer Pfeiler der Roboterforschung ist seit mehreren Jahren der Roboterfußball. Hier gibt es Weltmeisterschaften in diversen Größenklassen, an denen sich Universitäten weltweit beteiligen. Ralf Hoyer kooperiert mit den Teams von Techunited der Technischen Universität Eindhoven und Carpe Noctem der Universität Kassel. Jeder Roboter bekommt ein Mikrofon und einen Lautsprecher installiert.

    Je näher sich zwei Roboter kommen, desto mehr verstärken sich die akustischen Rückkopplungseffekte, die automatisch entstehen. Übertragen auf ein ganzes Spielfeld mit Robotern ergibt das ein Orchester der eigentümlichsten Geräusche, die mal an die düstere Magie der Filmmusik aus Stanley Kubricks Science Ficition Epos 2001 erinnern, mal an einen digitalen Hühnerstall. Aber in der Musik liegt mehr Struktur, als es auf den ersten Blick erscheint.

    "Denn die Roboter bewegen sich ja auch nicht chaotisch auf dem Spielfeld. Aber es gibt natürlich eine Transformation der Bewegung ins Klangliche. Und da kann es durchaus passieren, dass es als chaotisch empfunden wird."

    Hoyer und der Audioinformatiker André Bartetzki modifizieren die Klänge noch zusätzlich durch verschiedene technische Filter. Heraus kommt ein spannendes Zusammenspiel von Kunst und Technik. Das Spielniveau der Roboter ist erstaunlich hoch. Und der sportliche Aspekt lässt den Zuschauer menscheln.

    "Man bedauert den Torwart, der eine Zehntelsekunde zu spät merkt, dass der Ball kommt, weil er zu lange gerechnet hat. Und das ist schon tragisch, weil er ein Tor eingefangen hat. Das erzeugt zum Beispiel Mitleid. Da kommen merkwürdigerweise sehr schnell Emotionen ins Spiel, die die Maschinen natürlich überhaupt nicht haben, sondern das sind alles menschliche Projektionen."

    Das Festival "Unmenschliche Musik" verspricht mehrere Überraschungen bei der eigenen Wahrnehmung. Man muss alles nicht so bierernst nehmen, wie die Aufführung einer klingonischen Oper oder wenn der amerikanische Musiker Ned Rothenberg mit echten Grillen jammt. Auf jeden Fall wird Mensch viel zum Nachdenken haben über sich und seine Kreativität.