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Architektur von früh bis spät

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Gerne wird dabei auch über die vermeintliche Schönheit von Bauwerken diskutiert und das bereits seit der Antike, wie das aktuelle Buch von Ursula Muscheler zeigt.

Von Beatrix Novy | 18.08.2011
    Ärzte können ihre Fehler begraben, aber Architekten können ihren Kunden nur raten, Efeu zu pflanzen, hat George Sand gesagt, vermutlich nach einer persönlichen Enttäuschung. Damit ist der Frust von Bauherren, Bewohnern und unschuldigen Passanten aller Epochen in ein Bonmot gewickelt, mit dem das Buch "Unsere Architekten" würdig abschließt.

    "Feinste Verrisse" – der Untertitel sagt es: Hier geht es nicht um Architekturkritik. Also nicht um die, wenn’s gut geht, kunsthistorisch und fachlich begründeten Kommentierungen aktueller Baukunst, die wir heute in der Tagespresse lesen. Kritik im heutigen Sinn geht zurück auf die Aufklärung, die einem selbstbewussten Bürgertum Gelegenheit gab zur Verständigung und Selbstverständigung, im Kommentieren von Kunst und Literatur. Das vorliegende Buch aber geht weit hinter die Aufklärung zurück – auch in der Antike wurden Bauten gern und lustvoll verrissen. Und schon stellt sich heraus: Bestimmte Leitmotive der allgemeinen Architekturdiskussion scheinen doch ewig gültig zu sein. Auf der Seite der Architekten ist das vor allem eine leidige Beziehung: die zum Bauherrn.

    "Man erkannte, dass der Baumeister bei seinem Bau ständig gegen den Geschmack des Hausherrn anzukämpfen gehabt hatte. Der Baumeister war ein Pedant und wünschte Symmetrie, der Hausherr Bequemlichkeit."

    Heißt es beispielsweise bei Nikolai Gogol; und egal, ob der Bauherr Nero oder Ulbricht heißt, das Drama von Anpassung, Verbiegung und Resignation spielt sich auf vielen Bühnen ab. Mindestens ebenso häufig ist aber der umgekehrte Fall, nämlich der Architekt, der gnadenlos die Knute seiner Überzeugung über denen schwingt, die er beglückt. Was immer er seiner Kundschaft antun konnte und kann, ist in diesen Texten aus zwei Jahrtausenden enthalten. Verschwendung und Kostenrahmenüberschreitung - alles schon nachzuschlagen bei Cicero (55 vor) oder Aulus Gellius (155 nach Christus). Von Pfusch und Schmu erzählt Plinius der Jüngere

    "Der Bau hat ungeheure Risse, er senkt sich und klafft auseinander."

    Durch die Neuzeit zieht, unter der manchmal verwirrend lockeren Anordnung der Texte, manches Leitmotiv jahrhundertelang seine Kreise: z.B. das Problem der zeitgenössischen Wahrnehmung. Der Kunstbiograph der Renaissance Giorgio Vasari schimpfte, weil es seines Amtes war, hemmungslos über die Gotik, die immerhin vergangen war.

    Andere Kommentatoren hielten sich an die Gegenwart, der selten Ehre zuteil wird. Dass sie alles mit Stuckfirlefanz versauten, wurde Architekten im 17. Jahrhundert vorgehalten, also zur Zeit des stuckbetonten Barock; dass sie, ob es passte oder nicht, immer mit ein paar Säulen im Gepäck antanzten, konnte im späten 18. Jahrhundert Louis-Sébastien Mercier nicht mehr aushalten: Zeitlicher Abstand entscheidet die Frage von Architekturmode oder Stil. Der Eiffelturm war so unbeliebt wie 100 Jahre später das Aachener Klinikum. Zahlreich die bissigen Bemerkungen des 19. Jahrhunderts über den regierenden Historismus und dem Bauwerk übergestülpte Bedeutungen

    "Ein Magistratshaus musste immer gotisch sein, infolge einer (falschen) Assoziation von Mittelalter und Stadt, ein Abgeordnetenhaus immer antik ."

    mokierte sich Egon Friedell über die Wiener Ringstraße, heute die Nr. 1 auf der touristischen Must-see-Liste. Dieselbe Ära brachte die für den damaligen Geschmack zu einfachen, kistenartigen Spekulations-Architekturen hervor, die von sensiblen Kulturschaffenden regelmäßig zusammengestaucht wurden: Gründerzeitarchitektur, wie sie damals ankam. Dieser Chor vervielfacht sich im 20. Jahrhundert mit dem Aufstieg des Funktionalismus, mit "Wohnschränken" und "Arbeiterschließfächern": Hier, im vorläufigen Sieg der Architekturmoderne, endet die Geschichte von Gebäuden und Stadtvierteln, die mit den Jahren durch Akzeptanz geadelt werden. "Hochmodern und langweilig" urteilte 1940 Ernst Bloch über die im Schema festgefahrene Geschichtslosigkeit. Dass aber auch die ödeste Hochhaussiedlung Heimat werden kann, zeigt ein Text aus einem Buch von Gisela Elsner.

    Ursula Muscheler, selbst Architektin, hat für die nicht immer einleuchtende, aber amüsante Mischung dieses Buches Zitate aus allen Textsorten gesammelt; da findet man manches Erwartete nicht – zum Beispiel Emile Zola –, dafür um so mehr Unverhofftes und Unbekanntes. Oder Vergessenes. Wie dieses Apercu von Wilhelm Busch, das alle Klarheiten endgültig beseitigt

    "Mit Baulichkeiten ist es misslich
    Ob man sie schätzt, ist ungewisslich."


    Ursula Muscheler: "Unsere Architekten - Feinste Verrisse von Cicero bis Kurt Tucholsky"
    Transit Buchverlag 2011, 128 Seiten, 14,80 Euro.