Dienstag, 19. März 2024

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Ausstellung zur digitalen Überwachung
"Fotografie ist ein ganz wichtiges Medium der Gegenseite"

Eine Ausstellung in München will mit Arbeiten aus dem Umfeld der sogenannten "counter surveillance" Widersprüche und Mechanismen der Kontrollkultur aufdecken. Ganz wichtig dabei sei die Fotografie, sagte Rudolf Scheutle im DLF. Denn sie sei auch ein wichtiges Medium der Gegenseite, so einer der Kuratoren der Schau "No Secrets! – Bilder der Überwachung".

Rudolf Scheutle im Gespräch mit Fabian Elsäßer | 24.03.2017
    Zwei Videokameras hängen in Duisburg an einem Laternenpfahl.
    Überwachungskameras in Duisburg. (dpa / picture alliance / Roland Weihrauch)
    Fabian Elsäßer: Die Ausstellung "No Secrets! – Bilder der Überwachung" im Münchner Stadtmuseum gibt einen historischen Rückblick auf staatliche Überwachung. Im Hauptteil der Ausstellung aber widmen sich zeitgenössische Künstler der Kultur der Kontrolle. Rudolf Scheutle ist stellvertretender Leiter der fotografischen Sammlung des Münchner Stadtmuseums und hat diese Ausstellung kuratiert. Willkommen zum Corso-Gespräch!
    Rudolf Scheutle: Hallo, Herr Elsäßer!
    Elsäßer: Herr Scheutle, viele der Arbeiten laufen unter dem Schlagwort "Counter surveillance", also Gegenüberwachung. Wie überwacht man die Überwacher?
    Scheutle: Das ist einmal der Versuch, Menschen, die für Überwachung zuständig sind, öffentlich zu machen. Wir haben in der Ausstellung von Paolo Chirio, einem Künstler und Aktivisten, eine Arbeit, wo eben verschiedene Überwacher und Überwacherinnen sichtbar gemacht werden. Das ist dann zum Beispiel der Direktor der NSA oder andere Persönlichkeiten der US-amerikanischen Überwachung. Es geht zum einen praktisch über Personen und zum anderen eben auch über Orte, an denen wir überwacht werden. Da gibt es dann in der Ausstellung Max Eicke, ein junger Fotograf, der in Deutschland die ganzen Orte aufgesucht hat, an denen die Amerikaner eben überwachen. Und da gibt es ganz viele Anlagen, in Süddeutschland zum Beispiel Bad Aibling, aber sehr viel dann im Frankfurter oder im hessischen Raum. Da ist er dann zum Beispiel mit Nachtsichtgeräten so nahe an diese Anlagen gegangen, wie es nur irgendwie ging, und hat dann dort eben fotografiert, um dann eben diese Anlagen sichtbar zu machen.
    "Fotografie ist ganz wichtig im Bereich Überwachung"
    Elsäßer: Fängt Überwachung mit Fotografie überhaupt erst an?
    Scheutle: Überwachung fängt nicht mit Fotografie an und hört nicht mit Fotografie auf. Wenn Sie jetzt zum Beispiel auch an den Film "Das Leben der anderen" denken, also wo das Abhören ganz wichtig ist. Es gibt ganz andere Dimensionen auch, aber natürlich, Fotografie ist natürlich ganz wichtig im Bereich Überwachung, und auf der anderen Seite ist Fotografie eben auch ein wichtiges Medium der Gegenseite, die dann eben sich mit Überwachung beschäftigt.
    Wir haben noch länger mit Rudolf Scheutle gesprochen - Hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Elsäßer: Kann man sagen, wann die ersten Überwachungsfotos gemacht worden sind? Gleich mit Beginn der Fotografie?
    Scheutle: Wir haben in der Ausstellung sehr viele historische Detektivkameras, also Klein- und Kleinstbildkameras, die teilweise auch schon hundert Jahre alt sind und noch älter. Und das sind natürlich alles Bilder, die für Überwachungszwecke genutzt werden. Eine ganz tolle Kamera ist die sogenannte Stirn'sche Geheimkamera, also eine runde Kamera, und da sind dann die Bilder angeordnet wie früher auf einer Telefonscheibe, und die wurde eben auch Knopflochkamera genannt. Die konnten Sie dann eben umhängen und das Objektiv zum Knopfloch herausschauen lassen. Das ist ein historisches Objekt, also das geht ganz weit zurück.
    Überwachungsbilder: "Eine Serie stammt aus Stasi-Akten"
    Elsäßer: Sebastian Arlt zum Beispiel hat Schauspielerinnen und Schauspieler des Münchner Residenztheaters in ihrem – so steht es im Katalog – vermeintlichen Alltag beobachtet. Das sind wohl Standbilder von Überwachungskameras. Will er damit auch zeigen, im Grunde sind wir, egal, wo wir sind, ständig Überwachung ausgesetzt?
    Scheutle: Genau. Gleichzeitig natürlich auch die Frage, sind denn Überwachungsbilder ästhetisch überhaupt interessant? Das sind sie in der Regel überhaupt nicht. Es sind in der Ausstellung im Münchner Stadtmuseum sehr wenige originale Überwachungsbilder. Eine Serie stammt aus Stasi-Akten. In den Bildern von Jens Klein sieht man, wie Menschen Briefe in den öffentlichen Briefkasten werfen. Und nach jedem Einwurf wurden dann diese Briefkästen geleert und wird geguckt, okay, ist da ein Absender drauf, ist es irgendwie verdächtig? Und dann wurden die Briefe geöffnet. Und wenn man dann nicht nachverfolgen konnte, wer der Briefeschreiber ist, konnte man doch über dieses Foto zumindest dann die Person rausfinden. Aber diese Bilder sind ästhetisch total langweilig. In der künstlerischen Serie ist es dann ein bisschen wie Konzeptkunst, weil man immer diese Menschen sieht.
    "Es hat unfreiwillig komische Dimensionen"
    Elsäßer: Schon, aber ich glaube, ehrlich gesagt, dass es der Stasi nicht um Ästhetik ging in dem Fall. Ist es nicht eher die Frage, dass Überwachung dadurch auch eine zumindest rückblickend unfreiwillig komische Dimension bekommt?
    Scheutle: Ja, das hat es natürlich, eine unfreiwillig komische Dimension, insbesondere in der Arbeit. Aber ihre vorige Frage nach diesen Schauspielerporträts, Überwachungsbilder sind ästhetisch meistens nur interessant, wenn sie gestellt sind. Und dafür ist eben Sebastian Arlt ein gutes Beispiel. Das Residenz-Theater hat 2015/16 die ganze Spielzeit unter dieses Thema Überwachung und Kontrolle gestellt, und dann war eben auch die Aufgabe für diesen Fotografen, die ganzen Schauspieler des Ensembles eben in dieser Ästhetik zu fotografieren. Und diese Ästhetik, auch dieses Lächerliche wird dann irgendwie auch sehr auf die Spitze getrieben. Das verwischelt komische Anschnitte, sehr grisselige Bilder. Aber gleichzeitig ist es natürlich auch sehr ästhetisiert.
    Elsäßer: "No Secrets! – Bilder der Überwachung" ist von heute an bis zum 16. Juli im Münchner Stadtmuseum zu sehen. Wir sprachen mit Rudolf Scheutle. Er ist der Kurator der Ausstellung. Herzlichen Dank!
    Scheutle: Sehr gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.