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Backwerk-Huldigung
Das Brezelfest in Bottrop-Kirchhellen

Ein dreitägiges Schützenfest war den Kirchhellener Bürgern nicht genug. Um es noch etwas auszudehnen, dachten sie sich vor 130 Jahren einen Wettbewerb aus. Es wurde mit Steinen auf einen Stuten geworfen. Später war das Ziel dann eine Brezel - und der Sieger der Brezelkönig. Gefeiert wird es bis heute.

Von Simon Schomäcker | 21.09.2014
    Beim Erklingen des Brezelaner-Liedes wissen die Einwohner von Bottrop-Kirchhellen: Das Brezelfest hat begonnen. Es findet alle drei Jahre am Dienstag nach dem Schützenfest im September statt. Reinhold Rottmann, langjähriger Chronist der Kirchhellener Brezelgesellschaft, erklärt, wie vor über 130 Jahren alles begann:
    "Die Chronik der Brezelgesellschaft sagt, dass im Jahre 1883, nachdem man drei Tage Schützenfest gefeiert hatte, die Kirchhellener Pohlbürger, so nannte man die Einheimischen auf Plattdeutsch, kein Ende bekamen. Und da hat man überlegt, wie man die Festtage verlängern kann. Und man hatte die Idee, mit großen Steinen auf einen Stuten zu werfen. Wir hatten also zunächst einen Stutenkönig, aber daraus ist dann ganz schnell ein Brezelfest entstanden."
    Mit dem Brezelfest wurde auch die Kirchhellener Brezelgesellschaft aus der Taufe gehoben.Ihr gehören aktuell knapp 1.000 aktive Brezelbrüder von 17 bis über 80 Jahren an.
    Holzschuhe, Blaukittel und rotes Halstuch - mit dieser Einheitskleidung bricht die Brezelgesellschaft an diesem Morgen um 9 Uhr zum Marsch durch die Straßen auf. Dabei holen sie zuerst das amtierende Brezelkönigspaar und schließlich den Riesenbrezel ab. Das übergroße Gebäck, auf das später geworfen wird, konnte schon seit einigen Tagen im Schaufenster eines Schuhgeschäftes bewundert werden. Es ist 50 Zentimeter hoch und einen Meter breit.
    "Für die hervorragende Aufbewahrung des Riesenbrezels möchten wir uns ganz herzlich bedanken mit einem dreifach kräftigen Gut-Wurf – Gut-Wurf – Gut Wurf!"
    Mit dem Riesenbrezel ziehen die Brezelbrüder weiter zum Festplatz. Dort befestigen sie das Zielobjekt um Punkt 10 Uhr an einen etwa sieben Meter hohen, eckigen Holzmast mit Aufhängevorrichtung. Vor der Brezel-Wurfanlage haben sich bereits um die 2.000 Zuschauer eingefunden. Wenig später leitet Moderator Jürgen Stenkamp den Höhepunkt des Festes ein:
    "Das große Brezelwerfen kann beginnen. Wir fangen an mit unserer Brezelkönigin Moni und ihrem Brezelkönig Fosa."
    Geworfen wird aus einer Entfernung von etwa 20 Metern. Aber als Wurfgegenstände dienen heute längst keine Feldsteine mehr, sondern die sogenannten Wurfhölzer. Das sind etwa 50 Zentimeter lange, pyramidenförmig geschnitzte Kanthölzer, die an ihrem unteren Ende etwa 8 Zentimeter dick sind.
    Auf ein Trillerpfeifensignal hin wirft das amtierende Königspaar als erste Teilnehmer seine Hölzer. Dass die Kirchhellener Brezelgesellschaft alle drei Jahre einen neuen König ermitteln kann, verdankt sie besonders dem ortsansässigen Bäckermeister Markus Kläsener. Seit 25 Jahren liefern er und sein Vater, der selbst schon Brezelkönig war, das namensgebende Gebäck für das Fest. Allein die Herstellung des Riesenbrezels ist für Kläsener eine besondere Herausforderung:
    "Der wird bei 230 Grad angebacken, fallend auf 150 Grad. Und dann hat man schließlich nach sechs Stunden einen relativ festen Teig von außen, mit einer starken Kruste. Von innen ist er aber noch relativ weich und kann dann in einer Lagerzeit von einer Woche noch ein wenig austrocknen."
    Die ersten Vorbereitungen beginnen für Kläsener schon drei Monate vor dem Fest:
    "Da können wir immer die harten Brezel, die der aktive Brezelbruder sich umhängt oder als Schulterklappen trägt, vorbereiten. Zwei Wochen vor Festbeginn geht es dann mit den essbaren Butterbrezeln los."
    Beim Brezelwerfen, das sich nun schon über zweieinhalb Stunden zieht, steigt allmählich die Spannung.
    "Wir werden wahrscheinlich heute den ersten Nachtumzug in der Brezel-Geschichte erleben. Hoffentlich funktionieren alle Lichter an den Wagen", scherzt Moderator Jürgen Stenkamp. Aber dann…
    "Das könnte der entscheidende Wurf sein…"
    Plötzlich herrscht auf dem Festplatz eine Stimmung wie beim Finale der letzten Fußball-WM. Der Riesenbrezel ist gefallen.
    "Da ist er, unser neuer Brezelkönig. Christian Schulte-Bockum!"
    Unter lauten Kanonenschüssen und jubelndem Festvolk trägt die Brezelgesellschaft Kirchhellen ihren neuen König auf Händen ins Zelt. Christian Schulte-Bockum alias Christian der Erste kann es noch nicht fassen:
    "Ich bin überwältigt! Ich habe es mir immer gewünscht! Es ist grandios, das tollste Fest überhaupt!"
    Der Zeremonie im Festzelt folgt wenig später der Brezelumzug durch Kirchhellen. Ca. 10.000 Zuschauer haben sich an den Straßen ihren Platz gesichert. Moderator Jürgen Stenkamp und sein Co-Moderator Christoph Wrobel sind auf einen im Publikum stehenden Hubwagen geklettert. Von dort aus kommentieren sie den Umzug:
    "So, gefühlt sind wir hier 500.000 Zuschauer. Wir haben im Umzug 2014 73 Wagen und ca. 1.500 Beteiligte."
    "Die Böller-Kanone, man hört sie da hinten. Das heißt, der Brezelumzug ist offiziell eröffnet. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Wagen in Bewegung setzen."
    Und schließlich rollt der knapp einen Kilometer lange Zug durch die Straßen. Beteiligt sind neben der Brezelgesellschaft weitere ortsansässige Vereine, Geschäftsleute, Musikkapellen sowie Abordnungen der Partnerstädte.
    Nach anderthalb Stunden ist der "Brezel-Wurm" mit seinen vielen Fußgruppen, Traktoren und Pferdekutschen vorbeigezogen.
    "Wir bedanken uns bei euch mit einem dreifach kräftigen Gut-Wurf – Gut-Wurf – Gut Wurf!"
    Am Abend geht es für alle Brezel-Fans wieder zum Festplatz. Dort eröffnet eine Brass-Band im Zelt den Brezelball. Unter das feiernde Volk hat sich auch Bottrops Oberbürgermeister Bernd Tischler gemischt.
    "Ich finde, es gehört sich einfach, dass der Bürgermeister mit seinen Bürgerinnen und Bürgern zusammen feiert und nicht nur hart arbeitet. Ich war den ganzen Tag heute hier. Und ich glaube, wir müssen uns keine Sorgen machen, wenn man das wieder gesehen hat heute. Das Brezelfest und das Kirchhellener Schützenfest werden auch in drei Jahren wieder ein tolles Event sein."
    Auch der langjährige Brezel-Chronist Reinhold Rottmann zeigt sich zufrieden:
    "Wir werden heute Abend noch einige schöne Stunden hier beim Brezelball erleben. Wir schätzen, dass ca. 4.000 Leute heute hier sind, um das neue Königspaar zu feiern. Und dann klingen mit diesem schönen Abend die Feierlichkeiten hier im Festzelt aus. Wir freuen uns schon auf die nächste Feier in drei Jahren."