Mittwoch, 08. Mai 2024

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Barrierefreiheit beim Gaming
Zocken mit dem Mund

Wer Videospiele zockt, will bloß keine Zeit verlieren, um den Gegner zu besiegen. Mit einer Hand oder gar mit dem Mund ein Spiel zu steuern, scheint da fast unmöglich. Doch genau das machen Menschen mit Behinderung. Inklusion ist mittlerweile auch beim Gaming ein Thema und das darf auf der Gamescom in Köln nicht fehlen.

Von Johannes Döbbelt | 20.08.2016
    Auf der Gamescom-Messe für Computerspiele spielen Jugendliche das Autorennen 'Need for Speed'.
    Auf der Gamescom spielen auch Menschen mit Behinderung - allein oder online gegen andere - und vernetzen sich in Gaming-Communities. (picture alliance / dpa / Maximilian Schönherr)
    Messe-Halle 9 auf der Gamescom. Besuchermassen drängen durch die Gänge, aus allen Richtungen dröhnen Lautsprecher und flimmern riesige Monitore, jeder Stand, jedes Unternehmen kämpft um möglichst viel Aufmerksamkeit für die neuesten Spiele. Mittendrin, an einem eher unscheinbaren Stand, sitzt Dennis Winkens in seinem Rollstuhl. Vor ihm steht ein Monitor, auf dem das Startmenü eines Formel-1-Rennspiels zu sehen ist. "Man hat genug Barrieren so im Alltag, die man überwinden muss, und wenn man dann trotz Handicap zocken kann, das ist schon ein enormer Schritt, das macht einfach extrem viel Spaß und gibt ja auch viele Möglichkeiten."
    Dennis Winkens ist 28 Jahre alt, kommt aus Viersen am Niederrhein und ist seit seinem 17. Lebensjahr gelähmt. Er hatte einen Mountainbike-Unfall und kann seitdem nur noch Kopf, Hals und – ein wenig – die Schultern bewegen. Sein Hobby, das Zocken, wollte er aber nie aufgeben – und dank ausgefeilter Technik muss er das auch nicht. An seinem Hightech-Rollstuhl ist ein Joystick angebracht, den er mit seinem Mund bedienen kann. Um den Joystick erst mal Richtung Mund fahren zu lassen, pustet Dennis in ein kleines Röhrchen. Wenige Sekunden später ist der kleine schwarze Spiele-Controller vor seinem Mund. Mit den Lippen kann er den Joystick nach oben, unten, rechts und links bewegen.
    Duell mit einer echten Koryphäe aus der Gaming-Szene
    "Mein Controller funktioniert eigentlich ganz einfach wie ein Mund-Joystick. Wird also ganz normal bewegt, und dann über die verschiedenen Löcher im Mundstück, über ne Saug-Blas-Steuerung kann ich dann halt die verschiedenen Knöpfe oder sonstigen Belegungen mit bedienen. (…) Man kann rein pusten oder dran ziehen, das sind dann verschiedene Befehle, je nachdem, wie man sich das Spiele-Profil angelegt hat."
    Zusammen mit dem Verein "Aktion Mensch" will Dennis Winkens heute zeigen, was trotz Behinderung beim Spielen alles möglich ist. Im Formel-1-Rennen tritt er gegen eine echte Koryphäe in der Gaming-Szene an, gegen Sebastian Lenßen vom Zocker-Kollektiv "PietSmiet". Rund zwei Millionen Menschen verfolgen regelmäßig auf Youtube, wie "PietSmiet" Spiele testen und kommentieren. Auch der Stand auf der Gamescom ist mittlerweile gut besucht: Viele Piet-Smiet-Fans sind gekommen, um ihren Stars beim Spielen zuzusehen.
    Rund 30 Millionen Deutsche spielen regelmäßig Videospiele
    "Gib Gummi!" Das Duell beginnt. Es geht um die beste Rundenzeit, darum, wer die virtuelle Formel-1-Strecke am schnellsten fährt. Als erstes ist Sebastian Lenßen von "PietSmiet" an der Reihe. "Oh nein, ich drifte, ich drifte, ich bin viel zu schnell." Er steuert seinen Rennwagen mit den Händen, mit einem klassischen Game-Controller. "Maann, was geht? Das ist aber auch 'ne fiese Strecke, ohne Spaß." Die Steuerung scheint gar nicht so einfach zu sein. Der bekannte Gamer landet mit seinem Formel-1-Wagen immer wieder im Gras oder im Kiesbett. "Das Ziel, da ist das Ziel guck mal, 1,39, ich hab noch ne Sekunde gut gemacht."
    Rund 30 Millionen Deutsche spielen regelmäßig Videospiele. Darunter sind natürlich auch viele Menschen mit Behinderung. Sie spielen allein oder online gegen andere und vernetzen sich in Gaming-Communities. In der virtuellen Welt spielt es keine Rolle, ob jemand im Rollstuhl sitzt oder nicht – solange der behinderte Mensch ähnlich gute Chancen hat, das Spiel zu bedienen, wie der nicht-behinderte. Das ist zwar längst noch nicht bei allen Spielen möglich, aber es tut sich was in der Gaming-Branche, beobachtet Armin von Buttlar, Vorstand der Aktion Mensch.
    Mal leichtes Tippen, mal festes Drücken
    "Die großen Spiele-Anbieter sind mittlerweile schon an vielen Stellen barrierefrei. Also es gibt z.B. Unterstützung für Menschen, die nicht mit beiden Händen einen Controller bedienen können, dass man nur noch einen Ein-Hand-Controller bedient. Dann kann man die Tasten dort individuell belegen. Oder es gibt Unterstützung für sehbeeinträchtigte Menschen durch größere Schrift, durch Audioübersetzung. Aber das ist noch nicht überall so, insofern gibt’s noch ne Menge zu tun. Aber ich glaube, das die Spieleindustrie das Thema zumindest teilweise auf dem Radarschirm hat."
    Zurück zum Rennen. Jetzt ist Dennis Winkens an der Reihe. Sein Gesicht ist etwas blass, sein Blick unruhig – die Aufregung ist unübersehbar. Ein Helfer stöpselt das Kabel seines Mund-Joysticks an die Konsole – es kann losgehen. Genau wie sein Kontrahent muss er drei Runden fahren, von denen die schnellste gewertet wird. Dennis' Lippen bewegen sich blitzschnell vor, über und neben den Joystick, mal tippt er nur leicht, mal drückt er feste nach rechts oder links um den Wagen durch die Kurven zu manövrieren. Er pustet in die verschiedenen Röhrchen und saugt an ihnen, um Gas zu geben und zu bremsen. Lippen und Wangen bewegen sich ähnlich wie bei einem Trompetenspieler. Die Zuschauer sind beeindruckt.
    Ganze vier Sekunden schneller als der Gegner
    "Ich hab so was noch nie gesehen und auch noch nie gehört, dass man so was machen kann und er spielt auch ziemlich gut im Gegensatz zu jemandem, der mit den Fingern geschickt ist, ist der ja Profi." - "Ich kenn' das bei anderen Sachen, z.B. bei Leuten mit Handicap, wenn die Auto fahren, gibt’s ja so was, aber so noch nie hab ich das gesehen bei nem Spiel. Ich find’s gut, dass man so was macht."
    Als Dennis Winkens durchs Ziel fährt, ist klar: Er hat es geschafft. 1 Minute 35 Sekunden. Er ist ganze vier Sekunden schneller als sein Gegner. "Ich fand, das Rennen lief besser als gedacht, ich bin echt ganz froh, dass ich so gut abgeschnitten hab, und ich denke jetzt kann ich wieder beruhigter schlafen als vorher." Sebastian Lenßen von "PietSmiet" gibt sich als guter Verlierer: "Er war viel besser als ich, er ist einfach viel besser gefahren. Ich find’s interessant wie er das Ganze macht, der Controller sieht super cool aus – und er hat mich einfach eiskalt geschlagen."
    Gleich nach dem Spiel verabreden sich die beiden schon für eine Revanche. Spätestens in einem Jahr, bei der nächsten Gamescom, wollen sie wieder gegeneinander spielen – der eine mit den Fingern, der andere mit dem Mund.