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Birgit Beck: Wehrmacht und sexuelle Gewalt. Sexualverbrechen vor deutschen Militärgerichten 1939-1945

Zum Schluss zu einem ganz anderen Thema: Die Wehrmacht und ihre Untaten während des Zweiten Weltkrieges sind seit beinah 60 Jahren Gegenstand verschiedener Kontroversen, die letzte um die Wehrmachtsausstellung ist noch in wenig guter Erinnerung. Bei den in Rede stehenden Kriegsverbrechen geht es vorwiegend um Morde an Zivilisten und um die Kollaboration beim Massenmord an den europäischen Juden. Sexuelle Gewalt gegen die Frauen des Feindes, wie sie als Mittel der Demütigung des männlichen Gegners, als Kriegsstrategie, seit Jahrhunderten bekannt ist, war im Zusammenhang mit den Vorwürfen gegen die deutschen Krieger für Volk und Vaterland bisher seltener laut geworden. Die Historikerin Birgit Beck hat sich in ihrer Dissertation zum ersten Mal umfassend mit diesem Kapitel der deutschen Kriegsgeschichte beschäftigt und die Unterlagen der Militärgerichtsbarkeit aus den Jahren 1939 - 1945 genau untersucht. Ihre Studie ist nun als Buch erschienen. Horst Meier hat sie für uns gelesen:

Von Horst Meier | 25.10.2004
    In den ersten Kapiteln ihrer Arbeit skizziert Birgit Beck den historischen Rahmen und formuliert die entscheidenden Fragen. Die wichtigste bezieht sich auf die strategische Funktion von sexueller Gewalt im Krieg. Frauen würden im Krieg nicht deswegen Opfer von Vergewaltigungen, weil sie zum Feindeslager gehörten, sondern weil sie Frauen und deshalb Feinde seien. Vergewaltigung hat demnach im Krieg wie im Frieden eine besondere Funktion: Sie sei eine Methode bewusster systematischer Einschüchterung, durch die alle Männer alle Frauen in permanenter Angst hielten. Für Männer sei Krieg der "perfekte psychologische Freibrief", auszuleben, was ohnehin in ihnen angelegt sei.

    Man ist geneigt, diesen feministisch grundierten Thesen von Susan Brownmiller zuzustimmen. Die US-amerikanische Journalistin, deren Pionierleistung Beck durchaus schätzt, hat mit ihrem Buch "Gegen unseren Willen", das Mitte der siebziger Jahre erschien, eine Vielzahl der späteren Arbeiten maßgeblich beeinflusst. Aber allgemein gültige, das heißt ahistorische Thesen vom Geschlechterverhältnis tragen nicht weit, hält die Historikerin Beck dagegen: Die Annahme, ein universeller Frauenhass sei das Hauptmotiv für alle Erscheinungsformen sexueller Gewalt, gehe von einem biologistischen Ansatz aus. Dieser ebne nicht nur die Unterschiede zwischen Krieg und Frieden ein. Auch für das Verständnis von männlicher Gewalt im Krieg liefere er nur oberflächliche Erklärungen. Das gilt, sagt Birgit Beck, gerade für die Behauptung Brownmillers, Übergriffe auf Frauen hätten eine wichtige, gleichsam indirekte militärische Funktion. Brownmiller schrieb:

    Vergewaltigung durch erobernde Soldaten zerstört bei den Männern der unterlegenen Seite alle verbliebenen Illusionen von Macht und Besitz. Der Körper der geschändeten Frau wird zum zeremoniellen Schlachtfeld, zum Platz für die Siegesparade des Überlegenen.

    Birgit Beck plädiert dafür, die konkrete politische und militärische Situation zu untersuchen, in der sexuelle Gewalt auftritt. Sie zeigt zunächst, dass die Forschung noch in den Anfängen steckt. Trotzdem ist in der Literatur die These verbreitet, sexuelle Gewalt sei von deutschen Soldaten systematisch angewandt worden - wobei nicht selten Angehörige der Wehrmacht und der SS in einem Atemzug genannt werden. Vor allem in den besetzten Gebieten der Sowjetunion sei sexuelle Gewalt ein Mittel der deutschen Kriegsführung gewesen. Deshalb hätten vergewaltigende Soldaten auch nicht mit Bestrafung rechnen müssen. All dies, stellt Beck nüchtern fest, sei 'empirisch nicht belegt und somit Spekulation’. Außerdem weist sie darauf hin, dass nach dem bisherigen Stand der Forschung die Sexualverbrechen deutscher Soldaten nicht mit den Massenvergewaltigungen gleichzusetzen sind, die Soldaten der Roten Armee in Berlin oder der Japanischen Armee in Nanking begangen hätten.

    Angesichts der Quellenlage ist es schwer, den amtlichen Umgang der Wehrmacht mit sexuellen Gewaltverbrechen zu erforschen. Das Heeresarchiv in Potsdam wurde durch Bombenangriffe fast vollständig zerstört. Die offizielle Kriminalstatistik der Wehrmacht weist bis 1944 nur 5.349 Männer auf, die wegen "Sittlichkeitsvergehen" verurteilt wurden. Doch Einzelheiten über Delikte und Tatumstände sind oft nicht zu rekonstruieren. Birgit Beck hat deshalb weitgehend darauf verzichtet, quantitative statistische Aussagen zu treffen. Sie setzt vielmehr qualitativ an.

    Anhand der militärgerichtlichen Unterlagen des Bundesarchivs hat sie insgesamt 232 Urteile von Kriegsgerichten ermittelt. Diese Urteile, die überwiegend aus Frankreich und den besetzten Gebieten der Sowjetunion stammen, bilden die Basis für ihre Untersuchung. Das fünfte Kapitel ihres Buches, in dem das Material präsentiert und ausgewertet wird, ist mit gut 150 Seiten das stärkste des ganzen Buches. Hier kann man nachvollziehen, wie unter den Vorzeichen von Krieg und NS-Staat Recht gesprochen wurde. Die in wertet exemplarische Fälle aus - nach systematischen Aspekten wie Tatausführung und Täter, Opfersituation und Strafmaß. Das erlaubt einen ersten, wenn auch nicht repräsentativen Einblick in die Tätigkeit der Militärgerichte. Beck benennt zudem das Problem der Dunkelziffer und stellt kritisch gegen die Quellen klar, dass Gerichtsakten nicht die wirklichen Gewaltverhältnisse widerspiegelten, sondern nur das von Polizei und Justiz Erfasste.

    Dass die Opfer sexueller Gewalt vor Gerichten der Wehrmacht in geballter Form mit jenen Vorurteilen konfrontiert waren, die sie vor regulären Strafgerichten jener Zeit zu erwarten hatten, nimmt nicht wunder. In der kriegsrechtlichen Literatur wurde den Richtern nahegelegt, die Glaubwürdigkeit von Angehörigen der Feindstaaten von vornherein als gering einzuschätzen. So wurden die Zeuginnen mit Fragen nach ihrem 'Lebenswandel’ oder Verhalten traktiert, das die Tat angeblich hätte provozieren können. Während die persönliche Integrität von Französinnen im Prinzip noch respektiert wurde, sprachen einige Militärrichter den sog. "Russenweibern" die vor allem der deutschen Frau zugedachte "Geschlechtsehre" schlichtweg ab.

    Einen Schwerpunkt im empirischen Hauptkapitel bildet die Sicht der Wehrmachtsrichter, wie sie sich in den Gründen für die Strafzumessung niederschlägt. Als mildernde Umstände wurden oft der Alkoholrausch und die gute Beurteilung der militärischen Leistungen herangezogen. Auch die so genannte "Geschlechtsnot" der Soldaten galt als strafmildernd. Wehrmachtsjuristen gingen davon aus, dass ein Mann auch im Krieg regelmäßig Gelegenheit erhalten müsse, seine sexuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Ganz in diesem Sinne plante die Armeeführung bereits vor Kriegsbeginn die Einrichtung von Wehrmachtsbordellen.

    Wiederholt macht die in auf die Funktion der Wehrmachtsjustiz aufmerksam: Im Zentrum der Strafverfolgung standen nicht etwa die vergewaltigten Frauen und Mädchen, sondern die Frage, ob der Angeklagte die "Manneszucht" und Disziplin der Truppe gefährdet oder das "Ansehen der Wehrmacht" geschädigt hatte. Mit letzterem Stichwort wurde auch das Interesse der Wehrmacht beschrieben, in den besetzten Gebieten die Unterstützung der Partisanen durch die Bevölkerung einzudämmen.

    Vor allem an der Ostfront befand sich die Armeespitze in dem "eigentlich nicht lösbaren Konflikt", den Krieg mit allen Mitteln und ohne Einschränkung sogar gegen Frauen und Kinder zu führen - so ein Erlass zur "Bandenbekämpfung" -, zugleich aber unerwünschte Ausschreitungen einzelner Soldaten zu verhindern. Dass nach dem Angriff auf die Sowjetunion die Zahl der Verurteilungen zurückging, hat wahrscheinlich nichts mit der Wirklichkeit an der Ostfront zu tun. Dort herrschte, so Beck unter Berufung auf eine Einzelstudie zur 253. Infanteriedivision, ein "weitgehend rechtsfreier Raum".

    In der untersuchten Fallsammlung finden sich nur zwei Todesurteile. Dies ist, wie die in erklärt, wohl kein Zufall. Denn sie konnte unter Auswertung weiteren Materials nur insgesamt neun solcher Urteile finden. Der naheliegende Vergleich zu den über 30.000 Todesurteilen, die wegen "Wehrkraftzersetzung" und Fahnenflucht ergingen, zeigt, dass die Kriegsgerichte vor allem damit beschäftigt waren, die sog. 'Gefährdung der militärischen Ordnung’ abzuurteilen.

    Das Ergebnis ihrer Arbeit fasst die in unter den Stichworten "Duldung, Bagatellisierung und Bestrafung" zusammen. Da hat man nach über 300 Seiten den Kopf voller Gräueltaten und militärjuristischer Phrasen - und denkt bei sich, ja, so war damals die Reihenfolge: dulden, bagatellisieren, bestrafen.

    Horst Meier war das über ’Wehrmacht und sexuelle Gewalt. Sexualverbrechen vor deutschen Militärgerichten 1939 - 1945’ von Birgit Beck, erschienen im Verlag Ferdinand Schöningh. Das Buch hat 370 Seiten, es kostet 39.90 Euro.