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Blasphemie-Abstimmung in Irland
Keine Angst vor Gott

Irland hat am Wochenende nicht nur einen neuen Präsidenten gewählt, sondern auch ein umstrittenes Blasphemiegesetz wieder abgeschafft. Anteil daran hatte auch der britische Historiker David Nash. Er hatte zuvor schon in seinem Heimatland dazu beigetragen, ein ähnliches Gesetz zu kippen.

Von Ada von der Decken | 29.10.2018
    Poster mit der Aufschrift: "There's probably no God".
    In Großbritannien werben Atheisten für ein Leben ohne Gott (picture alliance / dpa / David Wimsett)
    Professor David Nash liegt gut in der Zeit. Direkt aus der Vorlesung in der Universitätsstadt Oxford, rein in den Shuttlebus nach London. Von dort geht es mit leichtem Gepäck wenig später per Flugzeug nach Dublin. Ein Treffen zum irischen Blasphemiegesetz steht an. Aber am Flughafen Heathrow nimmt sich der Historiker noch die Zeit für ein Interview, ganz englisch – bei einer Tasse Tee.
    David Nash ist Historiker und beschäftigt sich seit mehr als zwei Jahrzehnten mit Blasphemie - mit Gotteslästerung. Ob das außer ihm noch irgendjemand mache? Nein, er sei der einzige in England, und das gefalle ihm sogar ganz gut so.
    Auch Anachronismen können Schaden anrichten
    Blasphemie, das Wort entstammt dem Griechischen und heißt so viel wie "den Ruf schädigen". Sich damit auseinanderzusetzen heißt für Nash als Historiker, in dunkle Kapitel der Geschichte einzutauchen. Im Venedig der frühen Neuzeit etwa wurden vermeintliche Blasphemiker verfolgt. Das würde Gott, so die Überzeugung der Venezianer, milde stimmen und die Stadt vor Pest und Plagen bewahren.
    Die Beschuldigten wurden entweder verbannt oder für immer im Gesicht gebrandmarkt. Gängige Praxis war es, die Zunge herauszuschneiden oder zu verstümmeln. Auch öffentliches Zurschaustellen und Hinrichten sind überliefert. Aber nicht nur in Venedig: David Nash kann zahllose Beispiele aus aller Welt zitieren. Und bis heute schlummern in vielen Verfassungen und Gesetzesbüchern Europas noch Paragraphen, die das Beschimpfen von Religionsgemeinschaften verbieten. Er sagt:
    "Eine Lektion haben wir im 20. Jahrhundert über Blasphemie gelernt: Man mag ein Gesetz als anachronistisch, überholt und praktisch tot abtun. Aber ein Gesetz, das nicht abgeschafft ist, kann jederzeit wiederbelebt werden."
    So hatte 1949 ein Lordrichter in England die Blasphemiegesetze als "dead letter" bezeichnet, als Karteileiche. Doch 30 Jahre später wurde eine Schwulenzeitung verklagt - wegen Gotteslästerung.
    Geschichte blickt nicht nur zurück
    David Nash ist Historiker. Er könnte es dabei bewenden lassen, solche Beispiele zu erforschen, Quellen zu analysieren und mehr oder weniger dicke Bücher zu schreiben über Gotteslästerung in der Geschichte. Er aber mischt sich ein in unsere Gegenwart, kümmert sich um aktuelle Gesetzestexte.
    "Wenn man Geschichtsforschung betreibt, bildet man sich seine Meinung über die Vergangenheit. Und besonders Historiker in England suchen verstärkt nach Parallelen und Verbindungen zwischen damaligen und heutigen Ereignissen. Vom einen zum anderen zu kommen, das geschieht dann quasi automatisch."
    Professor David Nash
    Blasphemiegesetze treiben David Nash nicht nur in seiner Forschung um (Deutschlandradio / Ada von der Decken)
    Den Schritt von der Wissenschaft in die aktuelle Politik machte David Nash vor gut zehn Jahren. Damals trat die National Secular Society an ihn heran, eine Organisation, die sich für die Trennung von Staat und Religionsgemeinschaften in Großbritannien einsetzt. David Nash unterstützte ihr Anliegen in einem Sonderausschuss des Oberhauses zum Blasphemiegesetz. Der britische Gotteslästerungsparagraph wurde vor zehn Jahren gekippt.
    "Blasphemiegesetze dämmen die Redefreiheit ein"
    Und ehe man es sich versieht ist man derjenige, der Regierungen zum Thema Blasphemiegesetze berät, sagt der Professor nicht ohne Stolz. So kam er auch zur Kampagne gegen das Blasphemiegesetz in Irland. Das Gesetz ist dort erst 2009 beschlossen worden – bis zu 25.000 Euro Strafe sollten Gotteslästerer zahlen. In den vergangenen knapp zehn Jahren wurde es aber niemals angewandt. Dennoch kam es zu einer Anti-Blasphemie-Kampagne. An ihre Spitze setzte sich die Atheisten-Organisation "Atheism Ireland" und holte David Nash an Bord.
    "Wenn es solche Gesetze gibt, gibt es auch Selbstzensur. Leute in Irland berichten mir, dass sie vor Interviews gesagt bekommen, was sie sagen können und was nicht. Nicht weil die Sender unbedingt religiös wären oder die katholische Kirche unterstützen würden. Sie fürchten ganz einfach, in ein Gerichtsverfahren verwickelt zu werden. Das ist nachvollziehbar. Das ist zugleich eines der größten Argumente gegen Blasphemiegesetze: Dass sie die Redefreiheit eindämmen und damit eine ernsthafte philosophische Debatte erschweren."
    Die Abschaffung könnte Vorbildcharakter haben
    Auch die katholische Kirche hat das Gesetz in ihrer Bischofskonferenz Anfang Oktober für überholt erklärt. Das Blasphemiegesetz müsse weg. David Nash hofft, dass immer mehr Länder solche Gesetze abschaffen – europaweit, weltweit. Bestehende Gesetze würden von Ländern mit drakonischeren Strafsystemen gerne als Blaupause verwendet. Nach dem Motto: Wenn ein modernes westliches Land in Europa so ein Gesetz einführt, dann können wir das auch machen. Die Folge: Blasphemiegesetze würden willkürlich und drastisch umgesetzt - etwa in Ländern wie Pakistan. Die Abschaffung des irischen Gesetzes könnte also Vorbildcharakter haben, sagt David Nash. Er selbst verordnet sich im Spektrum irischer Humanisten oder britischer Säkularisten so:
    "Ich selbst würde mich als Atheisten bezeichnen. Ich denke, die meisten britischen Akademiker würden sich selbst zumindest als säkular bezeichnen, selbst wenn dem ein christlicher Glaube zugrunde liegt. Ja, aber ich bin ein Atheist."
    Noch ein letzter Schluck Tee. Und dann muss er auch weiter Richtung Sicherheitskontrolle. Der Professor wird gebraucht - im Kampf gegen Blasphemiegesetze.