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Bonnie and Clyde der Künste

Eine filmische und fotografische Romanze ist die Ausstellung über das Künstlerpaar Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely im Baseler Tinguely-Museum. Der Arbeitersohn und das Mädchen aus bester Familie, die Adlige und der Prolet - es liegt nahe, aus dieser Konstellation Funken zu schlagen und die Stationen dieser Partnerschaft als Film nachzuerzählen.

Von Christian Gampert | 04.09.2006
    Kaum ein Künstlerpaar hat sich so konsequent - als avantgardistische Lebensgemeinschaft - in Szene gesetzt wie Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle. Das lag weniger an der Eitelkeit der Protagonisten als an der Tatsache, dass ihre Kunst weitgehend öffentlich stattfand, als Aktion und Happening, als Provokation, aber auch als Entstehungsprozess, an dem viele teilhaben konnten.

    Erfolg beruht auf Wiedererkennbarkeit: Tinguely hatte seine Schrottskulpturen, die dem Abfall der Moderne einen traurigen Humor abluchsen, Saint Phalle ihre Nanas - wobei der Witz unter anderem darin bestand, das die Urheberin dieser dicken, jedes Schönheitsideal konterkarierenden Weiber ein ehemaliges Model war, das es auf die Titelseiten der amerikanischen Illustrierten geschafft hatte.

    Das gemeinsame Kind war dann die "Nana Machine", die in Bewegung gesetzte fette Frau oder ihre bunten Profile - und diese Zusammenarbeit war Programm, bis hin zur 1983 eröffneten "Fontaine Stravinsky" vor dem Centre Pompidou, aber auch bis zu den Großprojekten, bei denen die beiden Künstler sich gegenseitig zur Hand gingen: Tinguely ackerte für Saint Phalles Tarot-Garten bei Grosseto, Saint Phalle half bei Tinguelys "Monstre", dem Räderwerk gespickten mehrstöckigen Zyklopenkopf im Wald bei Paris.

    Also: der Arbeitersohn, der große Unordentliche, der auf Müllhalden Verwertbares suchte; und das Mädchen aus bester Familie; la belle et la bête, die Adlige und der Prolet - es liegt nahe, aus dieser Konstellation Funken zu schlagen und die Stationen dieser Partnerschaft als Happening und Film nachzuerzählen. In Basel firmieren "Niki et Jean" denn auch gleich als "Bonnie and Clyde der Künste", man verewigt sie auf Filmplakaten im Stil der fünfziger Jahre und zeigt eingangs eine Dokumentation, in der Tinguely 1960 eine Sperrmüll-Prozession durch Paris anführt und zwei Jahre später, in der Wüste bei Las Vegas, mit viel Feuerwerk "Studien für ein Ende der Welt" betreibt.

    Und doch ist das Wesentliche dieser Ausstellung das Kunstwerk: Saint Phalles Kitsch-Assemblagen der Frühphase wie das "Coeur rose", ihre feministisch angehauchten Aktionen, als sie mit dem Gewehr auf Bilder schoss, oder, auch künstlerisch etwas schwergewichtiger und hier im Übermaß vorhanden, Tinguelys skurrile Maschinen, die man begehen und in Gang setzen kann, Riesenräder, die Theater-Vorhänge, Federn und Staubwedel schwenken, Zirkusgäule nicken lassen, Bürsten aus der Waschanlage in Gang setzen und Geranien dekorierte Sprungtürme als Aussichtspunkt nutzen.

    Der Ausstellungsbesucher wird nur sehr vorsichtig, sehr libertär an die Hand genommen: man betritt ein halbwegs chronologisch aufgefächertes Labyrinth, in dem man sich nach allen Seiten ergehen und seinen Vorlieben frönen kann. Und wer lang genug bleibt, der wird unwillkürlich ergriffen von der Verrücktheit jener Aufbruchphase nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Kunst eigentlich amerikanisch dominiert war und der Basler Gewerbeschulabsolvent Tinguely in Paris die Drahtskulpturen von Alexander Calder entdeckt, geometrische Einzelteile unter dem Titel "Meta-Kandinsky" pendeln lässt und 1960 die exzentrische Schriftstellergattin Niki de Saint Phalle kennen lernt, die unbedingt Kunst machen will.

    Die Ausstellung bemüht vergleichsweise wenige kunsthistorische Querverweise, aber sie ruft die wichtigsten Aktionen der beiden wieder ins Gedächtnis, die meist von dem Kurator Pontus Hulten ermöglicht wurden - am spektakulärsten natürlich jene liegende, begehbare Stockholmer Riesen-Nana von 1966, die man durch die Scham betreten musste und in deren Innerem Kunst, aber auch eine Rutschbahn installiert war.

    Was das damals für einen befreienden Aufruhr gab, kann man heute nur erahnen: die Mutterfigur als kleines Museum, Courbets l’origine du Monde als Happening. Die Ausstellung zeigt auch die frühen Briefwechsel der beiden Künstler, die mehr anarchisch beschriftete Zeichnungen sind und aus denen sich dann die Nana heraus entwickelt, und einen wunderbaren Film über Tinguelys großen Zyklopen im Wald bei Paris, bei dem ein Räderwerk im Kopf arbeitet.

    Was das psychologisch für eine Beziehung war, wird in der Ausstellung nicht wirklich deutlich - nur soviel: "jouer et jouir ensemble" galt als ihr Motto: zusammen spielen und genießen. Auch der Zuschauer geht mit frisch gestärkter Lebenslust hinaus.