Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv

Genetic Profiling
Das Gesicht in den Genen

Ein bisschen Spucke am Tatort reicht Genetikern oftmals aus, um zum Beispiel Augen- Haar- oder Hautfarbe eines Täters bestimmen zu können. Bald sollen weitere Gesichtsmerkmale bei einer staatsanwaltschaftlich angeordneten DNA-Untersuchung analysiert werden können – zumindest in den Niederlanden.

Von Michael Stang | 12.01.2016
    Die Augenpartie eines Mannes wird mit einem Biometrie-Gerät erfasst.
    Genetiker wollen das Gesicht einer unbekannten Person so präzise wie möglich vorhersagen können - lediglich mithilfe einer biologischen Probe, wie Speichel, Blut oder Hautzellen. (dpa/picture-alliance/Boris Roessler)
    "Da gibt's eine sehr große Erblichkeit und wenn man die versteht, wenn man die Gene findet, die diese ganze Erblichkeit erklären, dann kommt man dann sehr weit. Da kommt man nicht auf 100 Prozent, aber dann kommt man sehr weit und wenn man das wirklich erklären könnte, dann gibt das sehr wohl sehr starke Hinweise, eine unbekannte Person zu finden."
    "Wir machen natürlich sukzessive Erfolge. Wir haben angefangen mit Augenfarbe, dann haben wir Haarfarbe gemacht, jetzt können wir Hautfarbe. Also, die drei Sachen gehen jetzt. Die gingen vor fünf Jahren noch nicht."
    Manfred Kayser von der Erasmus-Universität in Rotterdam verfolgt ein großes Ziel. Der Genetiker will das Gesicht einer unbekannten Person so präzise wie möglich vorhersagen können - und zwar lediglich mithilfe einer biologischen Probe, also etwa Speichel, Blut oder Hautzellen – Spuren, die sich an einem Tatort häufig finden. Wären solche Tests marktreif, könnte die Polizei eine gesuchte Person – Opfer, Täter oder Zeuge – schneller als bislang finden. Die Forschung am sogenannten genetic profiling kommt gut voran, aber auch die mittlerweile etablierte Bestimmung der Haarfarbe birgt Tücken: Denn, was nützt die genetisch gestützte Information, dass die gesuchte Person blondes Haar hat, wenn diese mittlerweile eine Glatze hat, wegen erblich bedingtem Haarausfall? Manfred Kayser hat daher nun getestet, wie präzise sich mithilfe der Gene vorhersagen lässt, ob ein Mann eine Glatze bekommt oder nicht.
    "Und da kommen wir so auf Durchschnittsgenauigkeiten von 75 Prozent - was noch nicht so ist, wie man es gerne haben möchte."
    Diese Zahl klinge zwar erst einmal ganz gut, einen Haken gebe es aber, so Manfred Kayser. Denn über die genetischen Merkmale für Haarausfall verfügen ja auch schon Babys, genau wie Grundschüler oder junge Erwachsene.
    "Der Knackpunkt ist, du musst das Alter wissen. Wenn Du das Alter vorhersagen kannst aus der Tatortspur und du kannst das Risiko des Haarausfalls vorhersagen, dann kannst du mit diesen beiden Ergebnissen auch sagen: Wenn der Mensch jetzt 20 ist, dann hat er wahrscheinlich noch keinen Haarausfall, wenn der Mensch jetzt 40 ist, dann sieht man den Haarausfall, der genetisch bedingt ist, bereits."
    Wenn das Äußere jünger scheint
    Das exakte Alter einer Person aus einer biologischen Spur zu bestimmen, ist allerdings schwierig. Jedoch kommt den Forschern die Industrie zu Hilfe. Denn in der Pharma- und Kosmetikindustrie gebe es große Forschungsanstrengungen, dieses Rätsel zu lösen, erklärt Kayser. Einige Ergebnisse seien vielversprechend.
    "Da geht's um Genauigkeiten, die drei, zwei, vier Jahre danebenliegen, also extrem nah dran. Aber was diese Tests, vor allem die Methylierungs- und Expressionstests, eigentlich vorhersagen, ist ja nicht chronologisches Alter, die sagen biologisches Alter vorher."
    Und hier wartet schon das nächste Problem. Denn nicht jeder sieht tatsächlich so alt aus, wie es in seinem Ausweis steht. Jeder kennt Mitmenschen, die deutlich jünger oder älter aussehen, als sie tatsächlich sind.
    "Das sichtbare Alter ist wieder eine andere Baustelle. Daran arbeiten wir auch. Wir arbeiten daran, was der Engländer "perceived age" nennt - also: wie alt sieht man aus? – wo wir wirklich auch nach Genen suchen, die jetzt manche Leute jünger aussehen lassen als sie sind und manche Leute älter. Und wenn man so etwas natürlich auch noch hat, sagen kann: Man hat jetzt hier ein Testsystem, das herausfindet: Dieser Mensch sieht jetzt fünf oder zehn Jahre jünger aus als er eigentlich ist, dann ist das natürlich auch hilfreich, um so jemanden dann zu finden."
    Die Polizei in den Niederlanden muss sich also noch ein wenig gedulden, bis die exakten Altersbestimmungstests einsatzbereit sind. Dennoch sei es wahrscheinlich, dass sich immer mehr genetische Tests, die Aussagen über das Äußere eines Menschen erlauben, etablieren werden. Ob die Polizei solche Tests dann auch einsetzen darf, steht hingegen auf einem anderen Blatt. Aber noch bleiben den Juristen wohl einige Jahre Zeit, das zu klären.
    "Wenn man natürlich von Anfang an gleich das letztendliche Ziel vor Augen hat, nämlich das Individuen-spezifische Gesicht, dann sind wir immer noch sehr weit weg. Und da ist auch nicht unbedingt zu erwarten, dass das in den nächsten fünf Jahren möglich ist."
    Prinzipielle Probleme scheint es aber nicht zu geben. Die Methoden seien etabliert, so der Genetiker, man müsse nur noch große Studien an Tausenden Freiwilligen durchführen, um die kleinteiligen Ergebnisse zu stimmigen Vorhersagemethoden zu kombinieren.