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Ehemaliger Potsdamer Landtag
Von der Kriegsschule zum Asylheim

In Potsdam sind 60 neuangekommene Flüchtlinge jetzt in den sogenannten Kreml eingezogen - das ehemalige Landtagsgebäude Brandenburgs. Ein Büro- in ein Wohngebäude zu verwandeln, stellt die Verantwortlichen vor eine nicht zu unterschätzende Herausforderung.

Von Vanja Budde | 19.01.2016
    Der zur Flüchtlingsunterkunft umgebaute ehemalige Landtag in Potsdam.
    Der zur Flüchtlingsunterkunft umgebaute ehemalige Landtag in Potsdam. (picture alliance / dpa - Bernd Settnik)
    Wo früher Abgeordnete Akten wälzten und über graue Teppiche in langen Gängen in den Plenarsaal eilten, da spielen heute kleine Jungs aus dem Nahen Osten. Es sind vor allem Familien mit Kindern, die in dem trutzigen Gebäudekomplex des ehemaligen Landtages eingezogen sind. Yama Adisai ist mit seiner Frau Nahi und zwei Kindern über die Türkei nach Deutschland gelangt. Die Schleuser haben sie dort in ein Boot verfrachtet, Gottseidank haben sie alle die gefährliche Überfahrt nach Griechenland geschafft.
    "Ich bin so froh, dass unsere Familie überlebt hat und wir jetzt hier sind. Die Deutschen sind so gastfreundlich: Ich liebe jeden einzelnen von ihnen."
    Yama Adisai und seine Familie sind aus der Nähe von Masar-e Scharif im Norden Afghanistans vor den Taliban und dem IS geflüchtet, wie er sagt. Dass er hier in historischer Stätte logiert, nein, das wusste der Mann aus Afghanistan noch nicht. Aber er ist interessiert an der Geschichte des burgähnlichen Komplexes mit seinem 50 Meter hohen Turm: Gebaut 1899 als Königlich-Preußische Kriegsschule, im Ersten Weltkrieg Bataillonssammelstelle, danach Reichsheeresarchiv und in der DDR saß hier die SED-Bezirksleitung.
    "Das ist ein grundlegender Wandel, jetzt kommen neue Leute hierher und lernen etwas. Eine große Veränderung"
    Der für den Deutschunterricht umfunktionierte Raum ist gerammelt voll, Männer und Frauen aller Altersstufen schreiben eifrig in Notizbücher. Yama Adisais zehnjährige Tochter Rubila spricht schon ein bisschen Deutsch. Bildungschancen für sie und den zweijährigen Mahdi, das sei ihm jetzt das Wichtigste, sagt Adisai, der in seiner Heimat als Dolmetscher gearbeitet hat. Das Leben hier sei völlig in Ordnung, no problem. Adisai verliert kein Wort darüber, dass die Duschen und Toiletten noch in Containern draußen auf dem eiskalten Hof stehen.
    "Die große Herausforderung ist, ein Bürogebäude in ein Wohngebäude zu verwandeln. Dass wir hier dann eine gute Versorgung haben mit Trinkwasser, fließend Wasser, Toiletten, Duschen, ausreichend, und vor allen Dingen das ganze Nebengelass für die Kinder. Wir haben hier sehr viele Kinder, es sind Ihnen ja einige schon begegnet. 40 Kinder von null bis 17. Das ist die größte Herausforderung."
    Angela Basekow vom Vorstand der Arbeiterwohlfahrt sagt, dass die Übergriffe von Flüchtlingen in der Silvesternacht in Köln an der Hilfsbereitschaft der Anwohner nichts geändert hätten. Insgesamt sollen hier fast 500 Menschen unterkommen. Die AWO als Betreiber versuche, Frust und Langeweile gar nicht erst aufkommen zu lassen, sagt Basekow.
    "Wir haben ja auch andere Einrichtungen, wo wir tatsächlich nur junge Männer haben. Aber unser Konzept ist, sofort mit Projekten und mit Beschäftigung anzufangen, also ob es eine Fahrradwerkstatt, ob das das Reinigen, ob das Umzugssachen, Möbel aufstellen."
    "Ich hoffe, dass die Deutschen wissen, dass nicht alle Flüchtlinge schlecht sind"
    Mehrere Dutzend Flüchtlinge in Potsdam haben sich in einem offenen Brief an die deutsche Bevölkerung für die Taten in der Silvesternacht, mit denen sie nichts zu tun hatten, entschuldigt und sich von ihnen distanziert. Auch Yama Adisai ist sehr betroffen.
    "Ja, das in Köln, das war keine gute Aktion von den Flüchtlingen, sie haben schlecht gehandelt. Ich bin nur froh, dass keine Afghanen beteiligt waren. Ich bin sehr wütend, so etwas darf nicht passieren hier in Deutschland. Man soll hier freundlich sein und friedlich. Ich habe den anderen Bewohnern hier erzählt, was in Köln los war. Sie sind alle zornig und nicht einverstanden damit."
    Sie hätten Angst davor, dass die Stimmung in Deutschland jetzt kippen könnte, sagt der höfliche Afghane mit dem scheuen Lächeln.
    "Ich hoffe, dass die Deutschen wissen, dass nicht alle Flüchtlinge schlecht sind. Einige von ihnen vielleicht, wenn sie trinken. In jedem Land gibt es schlechte Menschen und gute Menschen."