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Chirurgische Visionen

Für seine Vision vom Operationssaal der Zukunft ist das Medizinzentrum IRDC in Leipzig im November von der Initiative "Deutschland - Land der Ideen" als "Ausgewählter Ort 2011" ausgezeichnet worden. Per Hightech-Medizin sollen Operationen dort noch sicherer und präziser werden.

Von Anna-Lena Dohrmann | 30.11.2011
    Der Chirurg Gero Strauß bereitet gerade eine Nasennebenhöhlenoperation im Operationssaal der Zukunft vor. Im Halbkreis um den Patiententisch sind fünf Monitore angeordnet. Außerdem hängen über dem großen mittleren Monitor noch zwei Infrarotkameras. Sie dienen als Navigationsgerät. Das Prinzip ist vergleichbar mit dem GPS-System im Auto, so Strauß:

    "Da gibt es ja einen Satelliten und das Auto. Und der Satellit erkennt, wo das Auto sich befindet und bringt das in Relation zu der Landkarte. Und bei uns gibt es keinen Satelliten, sondern diese zwei Infrarotkameras, die senden und empfangen ständig die Region des Patienten. Der Patient wird mit einem kleinen Empfänger versehen, und dadurch für die Kamera sichtbar. Und da wir auch eine Landkarte haben, das ist in unserem Fall ein CT oder MRT, das können also unterschiedliche Daten sein, können wir dann den Patienten registrieren und erkennen, wo sich unser Instrument befindet."

    Der Vorteil: Die hoch aufgelösten Schnittbilder des Patienten aus der Computertomografie und Magnetresonanztomografie zeigen sehr genau die einzelnen Strukturen wie Knochen, Gefäße oder Nerven. Die Aufnahmen aus den Voruntersuchungen werden dann mit den aktuellen Positionsdaten zusammengebracht. Der Operateur kann damit genau sehen, wo er sich gerade mit seinem Instrument befindet. So kann er präziser an Gefäßen oder Nerven vorbeinavigieren. Und nicht nur das: Der Chirurg markiert auf der Landkarte, welche Strukturen auf keinen Fall beschädigt werden dürfen:

    "Und dann gehen wir schon auf die Programmierung der Risikostruktur. Dafür fahren wir jetzt durch das CT-Bild, das ist ein paar Tage alt also. Und jetzt zeichne ich ein, was wir unbedingt als Grenze definieren wollen, das ist die Begrenzung zum Auge, jetzt geht' s hier im rechten Winkel fast in Richtung Schädelbasis."

    Mit vielen Mausklicks setzt Strauß kleine Punkte in dem Bild. Da alle Daten digital vorliegen, kann eine spezielle Software die Informationen miteinander verknüpfen:

    "Die Kamera erkennt die Position des Patienten und des Instruments, bringt das zusammen in Beziehung. Und da ich vorher einzeichnen kann: 'Vorsicht, das ist der Gesichtsnerv. Vorsicht, das ist die Schädelbasis'-, kann ich auch gewarnt werden, wenn ich der Struktur zu nahe komme. Und das ist etwas, was vor allem die Ingenieure aufgrund unserer Ideen, neu entwickelt haben. Das nennt sich Distance Control. Und ist auch erstmals hier in dem Saal so integriert verfügbar."

    Diese Abstandswarnung ist vergleichbar mit der Einparkhilfe eines Autos - nur viel genauer. Die Infrarotkameras messen die Position des Patienten mit einer Genauigkeit von einem viertel Millimeter - also gerade mal zwei bis drei Haarbreiten.

    "Wir sind jetzt also fünf Millimeter von der Schädelbasis entfernt, und wenn ich dann jetzt näher gehe, dann hören wir auch das Warngeräusch."

    Es ist auch möglich, zum Beispiel die Fräse des Operateurs so mit dem Navigationssystem zu verknüpfen, dass sie sich automatisch ausschaltet, sobald sie zu nah an die vorher festgelegte, zu schützende Struktur kommt. All diese Navigationsdaten sind auf einem Monitor zu sehen. Daneben ist ein weiterer Bildschirm. Der zeigt die realen Bilder des Endoskops, einer speziellen Kamera, die der Chirurg in die Nase einführen kann. Hier handelt es sich also um Echtzeitbilder - direkt aus dem Inneren des Körpers.

    "Jetzt fahr ich also in die Nase rein und wir sind jetzt im Bereich des sogenannten Siebbeins. Das ist eine komplizierte Struktur zwischen Auge und Nase. Das ist die Region, wo die Entzündung auch drin ist und die muss geöffnet werden."

    Diese Kameraaufnahmen sind sehr unübersichtlich. Viel Gewebe, enge Gänge und natürlich auch Blut machen es schwer, einzelne Strukturen sicher zu erkennen.

    "Also im realen Bild sieht man jetzt nicht allzu viel, das ist einfach nur eine Höhle. Und die würde man wahrscheinlich bei der Operation jetzt ohne Navigation so belassen. Aber wir sehen eben mit Navigation, dass dahinter noch eine weitere Höhle kommt, die müssen wir auch noch öffnen."

    Die Navigationstechnik ermöglicht also, präziser und sicherer zu arbeiten. Und das ist immer das Ziel der Mediziner. Als Teil des Internationalen Referenz- und Entwicklungszentrums für chirurgische Medizintechnologie, kurz IRDC, wird der Operationssaal der Zukunft ständig weiterentwickelt - langfristig soll es zum Beispiel möglich sein, mit dreidimensionalen Bildern zu arbeiten. Außerdem bietet das IRDC auch Trainingsprogramme für erfahrene Chirurgen an - denn der Umgang mit der neuesten Technik will gelernt sein.

    Und so ist die Operation heute auch gut gelaufen:

    "Jetzt sind wir fertig, der Patient wird jetzt gleich wach. Also es ist alles planmäßig verlaufen, es gab vor allem keine Komplikationen - hat alles gut geklappt!"