Dienstag, 07. Mai 2024

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Credo und Credit. Einmischungen

Kennen Sie den? - nicht Doron Rabinovici natürlich, der nämlich ist seit seinem Erzählband "Papirnik" und seinem Roman "Auf der Suche nach M.", spätestens aber seit seiner vielgelobten jüngsten Arbeit über die Wiener Judenräte, "Instanzen der Ohnmacht", bestens bekannt, und in Österreich auch als einer der engagiertesten Kritiker der schwarz-braunen Koalition. Definitiv also jemand, der sich "einmischt". Kennen Sie den? - das fragt vielmehr Rabinovici selber, und erzählt etwa von einem Juden, der nach dem Krieg den "Ober" in einem Kaffeehaus bittet: "bringen Sie mir einen Tee und den ‚Völkischen Beobachter'". Darauf der Ober: "Aber gnädiger Herr, ich habe Ihnen doch schon hundertmal gesagt, den ‚Völkischen Beobachter' gibt es nicht mehr" - "Ich weiß", meint der Jude: "Aber ich kann's nicht oft genug hören."

Andreas Kilcher | 25.10.2001
    "Lachen ist Triumph", erklärt Doron Rabinovici in einem Aufsatz seines jüngst erschienenen Essay-Bandes "Credo und Credit" - und erweist sich hier sogleich als Meister auch dieser Form der pointierten und zugespitzten Reflexion, nachdem er sich schon als Erzähler, Romanschriftsteller und Historiker bewiesen hatte. Es sind ernste wie auch eben witzige, in jedem Fall aber anspruchsvolle Betrachtungen zu aktuellen Fragen der Literatur und der Politik aus einer Schreibperspektive, die Rabinovici selber einmal so charakterisierte: "Ich bin ein Jude aus Tel Aviv, der in Wien lebt, und ich schreibe auf Deutsch."

    Der Witz nun, so macht Rabinovici deutlich, ist eine entscheidende Strategie und Poetologie dieses Schreibens. Es ist ein dezidiert "jüdischer Witz", der aber mit der ihm zugrundeliegenden Erfahrung der Fremdheit zugleich "modern und universell" ist. Nicht nur Triumph über das Verbrechen ist seine Funktion, sondern auch "Widerstand gegen den Hohn, weil er der Erniedrigung zuvorkommt". Und wichtiger noch: er ist - auch im freudianischen Sinne der "Offenbarung des Unbewussten", des Verdrängten - ein Verfahren der Erinnerung. Auf die Geschichte angewendet entfaltet der jüdische Witz seine Erinnerungsfunktion da, wo Geschehenes tabuisiert oder aber ritualisiert wird. Insbesondere die in deutscher Sprache schreibenden jüngeren jüdischen Autoren, so Rabinovici, "lauschen den Mißtönen des offiziellen Gedenkens nach, versuchen gar mit Witzen den Ritualen der Verdrängung, den Tabus des Verschweigens, beizukommen. [...] der Witz sucht den Ausweg vor dem Kitsch des Todes, vor der Verklärung des Massenmordes. [...] Dieses Gelächter will im Halse stecken bleiben."

    Die erzählerischen Verfahren des tabubrechenden Witzes, so kann man also sagen, retten Geschichte, retten insbesondere ihre Opfer. Sie wirken allen Vergessensanstrengungen entgegen. Sie überlisten vorgeschobene "Deckerinnerung", Alibiübungen des Gedenkens also. Sie entlarven das "Laborieren an der eigenen Amnesie", wie es in der Nachkriegszeit Juden wie Nichtjuden gleichermaßen betrieben haben. Der Witz benennt, was gesellschaftlich sanktioniert oder durch Zeremonien verdeckt ist. Solche Schwierigkeiten des Erinnerns, zentral schon in seinem Roman "Die Suche nach M.", erweisen sich als ein Kernthema von Rabinovicis Essays. Auf sie kommt er wiederholt zu sprechen. Kritisch analysiert er beispielsweise die Mahnmaldebatten mit ihrer fragwürdigen Monumentalisierung der Erinnerung.

    Die enttabuisierende Funktion des Witzes ist mit einem weiteren Thema von Rabinovicis Aufsätzen verknüpft: mit der Frage nach der schwierigen kulturellen und politischen jüdischen Selbstbestimmung in der Moderne. Schwierig ist diese nicht nur angesichts der Katastrophe des 20. Jahrhunderts, sondern auch seit der Gründung des israelischen Staates, der eine fundamentale Neubestimmung der Diaspora nötig machte, so Rabinovici in seinem Essay "Im Widerschein Israels". Solche politisch-psychologischen Analysen jüdischer Identität im Fokus von Antisemitismus, Säkularisation und Zionismus leisten exemplarisch die scharfsichtigen Essays zu Elias Canetti und Leo Perutz. An Perutz' Roman "Nachts unter der steinernen Brücke", macht er nicht nur dessen eigene Schreibsituation deutlich - Perutz verfasste diesen Text in der Emigration in Israel, wo er sich nie heimisch fühlte. Am Roman, der im Prag des Rabbi Löw und Rudolf II angesiedelt ist, zeigt er auch, dass und wie "die Verbindung zwischen Judentum und Abendland [...] voller Gefahren [blieb]; jeglicher Annäherung folgte eine Zeit der Pogrome und Massenmorde."

    Hier wird ein weiteres zentrales Thema von Rabinovicis Aufsätzen deutlich: die Analyse des Antisemitismus. Dies ist der Gegenstand vor allem des bedeutenden titelgebenden Essays "Credo und Credit. Oder Einige Überlegungen zum Antisemitismus". Rabinovici stellt sich hier gegen die übliche These, wonach der spätantike und mittelalterliche theologische Antijudaismus - das Wahnbild des Juden als Christusmörder - klar vom rassistisch-ökonomischen Antisemitismus der Nazis - das Wahnbild des monetär weltmächtigen Juden - zu trennen sei. In einer historisch breit angelegten Perspektive zeigt Rabinovici gerade die Verknüpfungen und Vernetzungen dieser beiden unheilvollen Stereotypen: "Die Christen hatte er - der Jude - mit Credo und Credit zu versorgen. Er sollte dem Abendlande Wahrheit und Währung leihen", freilich so, dass das den Juden entnommene Gut stets unter dem negativen Vorzeichen der Schuldigkeit stand. Dies zeigt sich etwa an der typologischen Gegenüberstellung des "schlechten Geldes" der Juden und des "guten Geldes" der Christen - gemeint ist die "Hostie". Spätestens hier wird deutlich, dass die "analytische Trennung zwischen ökonomischem Antisemitismus und christlichem Antijudaismus" nur vertuscht was eigentlich zusammengehört. Denkbar unbequem deshalb Rabinovicis "Einmischung" für all jene, die das Christentum nach wie vor möglichst auf der Opferseite des Nationalsozialismus verbuchen wollen: "Ohne Christentum und seinen Antijudaismus wären die nationalsozialistischen Verbrechen nicht möglich gewesen."