Montag, 13. Mai 2024

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"Cut and run" von Milla Koistinen
Sebastian Bach und Stanley Kubrick gemeinsam im Theater

"Cut and Run", das sagen die Engländer, wenn es darum geht, sich möglichst schnell aus dem Staub zu machen. Die in Berlin lebende finnische Choreografin Milla Koistinen hat die drei Worte zum Titel ihres neuen Theaterstücks gemacht. Sie kombiniert darin die Musik von Johann Sebastian Bach mit Dialogen aus dem Film "The Killing" von Stanley Kubrick.

Von Oliver Kranz | 15.06.2016
    "Welcome to this performance. This was supposed to be a group piece for four performers and a pianist …"
    Ursprünglich wollte Milla Koistinen das Stück mit vier Schauspielern und einem Pianisten inszenieren, doch dann blieben die Fördergelder aus. Nun steht sie ganz allein auf der Bühne – eine junge Frau in Schwarz auf einer weißen Tanzfläche. Ihre Ansage gehört zum Stück. Es geht ums Scheitern gut ausgearbeiteter Pläne…
    "We have taken material from the film "The Killing", directed by Stanley Kubrick in 1956." Die Aufführung basiert auf dem Film "The Killing" von Stanley Kubrick, der vom Überfall auf eine Pferderennbahn erzählt. Die Gangster entkommen mit den Einnahmen, werden dann aber ihrerseits überfallen. Milla Koistinen stellt die wichtigsten Filmfiguren vor. "Johnny – he is really the main guy. There is other guys helping him. For example George who works on the race track."
    Im Stück geht es um den Bandenchef Johnny und seine Freundin Fay, sowie um den Kassierer George und seine Frau. Die vier werden nicht von Schauspielern dargestellt, sondern von kleinen schwarzen Lautsprecherboxen.
    Statt eines Filmdialogs hört man Musik aus Bachs "Wohltemperiertem Klavier". Auch dort gibt es Stimmen, die Milla Koistinen den verschiedenen Filmfiguren zuordnet. Der Gangsterboss Johnny dominiert. Die anderen variieren das musikalische Thema, das er vorgibt. "Der Film lässt sich meiner Meinung nach sehr gut zur Fuge in Bachs Musik in Beziehung setzen. Da gibt es eine Leitstimme und andere Stimmen, die hinterherjagen. Auch der Film hat so eine Struktur. Die Dialoge sind teilweise sehr witzig. Dadurch wird zur Musik eine neue Ebene hinzugefügt. Die Inszenierung bekommt eine gewisse Leichtigkeit."
    (George) "Forget it, Sherry."
    (Johnny) "Let's stop the conversation right there."
    (George) "I don't quite understand you, Johnny."
    (Johnny) "You don't know, what you're talking. Shut up."
    Während die Lautsprecherboxen miteinander streiten, tanzt Milla Koistinen langsam um sie herum. Mal streckt sie die Arme aus, als würde sie eine Pistole halten, mal neigt sie den Kopf, um besser zuhören zu können. Auf einmal geraten ihre Bewegungen durcheinander. "Der Überfall ist so genau geplant, aber als der erste kleine Fehler passiert, gerät alles durcheinander. Es gibt ein komplettes Desaster – im Film und auch bei mir auf der Bühne. Es geht ja nicht nur um den Film, sondern auch um meine Arbeit als Theatermacherin. Wenn ich keine Fördergelder bekomme, muss ich meine Pläne ändern und wenn mitten in der Probe ein Scheinwerfer ausfällt, muss ich mich auch darauf einstellen. Fehler passieren. Und wie reagiert man dann?"
    Die Filmdialoge zerfallen in einzelne Wörter und Silben, eine Stimme aus dem Off gibt der Tänzerin Kommandos – derart widersprüchlich, dass sie ins Straucheln kommt. Doch Milla Koistinen rappelt sich auf. Sie greift sich eine Lautsprecherbox nach der anderen und stellt sie um. Am Ende ist wieder Bach zu hören … "Vielleicht hat das mit unserer nationalen Herkunft zu tun. Ich bin aus Finnland und versuche, alles was ich tue, genau zu organisieren. Deshalb gibt es in der Inszenierung auch keine Hektik. Alle, die daran mitgewirkt haben, haben extrem präzise gearbeitet."
    Die Produktion ist so genau durchgetaktet, dass die Verbindung zum echten Leben verloren geht. Die Tänzerin gerät zwar kurz ins Straucheln, doch am Ende ist alles wieder in bester Ordnung. Bachs Musik ertönt in spieluhrenartiger Genauigkeit und Milla Koistinen, die die Lautsprecherboxen arrangiert, erscheint als Spielmeisterin. "Cut and Run" ist ein künstlerisches Fingerspiel. Schön anzusehen – aber auch etwas belanglos…