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Daniel Kehlmanns "Heilig Abend"
Ein Drama in Echtzeit

Wie weit darf der Staat gehen, um Rechtsstaatlichkeit und Freiheit zu sichern? Dieser Frage geht Daniel Kehlmann in seinem neuen Stück "Heilig Abend" nach, das im Theater in der Josefstadt in Wien uraufgeführt wurde.

Von Günter Kaindlstorfer | 04.02.2017
    Daniel Kehlmann
    Der Schriftsteller Daniel Kehlmann (dpa / picture alliance / Jörg Carstensen)
    "Zwölf Uhr mittags": Seit Jugendtagen zählt Daniel Kehlmann zu den Bewunderern von Fred Zinnemanns Westernklassiker, der den beherzten Überlebenskampf von Marshall Will Kane in 85 Minuten Echtzeit schildert. Ein Drama in Echtzeit auf die Bühne zu bringen, das ist auch Kehlmanns Ehrgeiz in "Heilig Abend". Und so ist die prominent im Bühnenzentrum angebrachte Digitaluhr, die ungerührt von Minute zu Minute weiterspringt, so etwas wie der eigentliche Hauptdarsteller des Abends.
    Regisseur Herbert Föttinger, Direktor der Josefstadt, hat von seinem Bühnenbildner Walter Vogelweider einen von Neonröhren erleuchteten Plexiglaskubus auf die Bühne wuchten lassen. Ein Vernehmungsraum. Eine Philosophieprofessorin mit linken Sympathien sieht sich einem schroffen Verhör ausgesetzt.
    Mann: "Wir kämpfen für das Recht gesetzestreuer Bürger, jeden auch noch so hirnverbrannten Schwachsinn behaupten zu können."
    Frau: "Gesetzestreue Bürger? Rührend."
    Mann: "Ja. Getreu den Gesetzen unseres Staates."
    Frau: "Warum bin ich hier?"
    Mann: "Das wissen Sie!"
    Frau: "Ich habe keine Ahnung."
    Mann: "Das glaube ich nicht."
    Frau: "Sie sind verpflichtet, mir zu sagen, warum ich hier bin."
    Mann: "Woher wollen Sie denn wissen, wozu ich verpflichtet bin? Haben Sie das aus dem Fernsehen?"
    Frau: "Begreifen Sie denn nicht, Sie müssen mir Ihre Dienstnummer geben. Wer sind Sie?"
    Mann: "Und wer sind Sie?"
    Alte Debatten, wenig Brisanz
    Ja, das ist eine der Fragen, mit denen Kehlmann in seinem Stück spielt. Eine andere lautet: Macht man sich dem Staat gegenüber verdächtig, wenn man sich als Inhaberin eines philosophischen Lehrstuhls wohlwollend mit Frantz Fanon und anderen Theoretikern auseinandersetzt, die revolutionäre Gewalt im Namen der Emanzipation der geknechteten und entrechteten Massen gutheißen? Zu den Problemen der Kehlmann-Uraufführung in der Josefstadt gehört es, dass man der aparten Maria Köstlinger die subversive Philosophin mit terroristischen Sympathien nicht wirklich abkauft.
    Frau: "Die Bombe?"
    Mann: "Schauen Sie, das war ja alles ganz nett, dass wir uns unterhalten, dass wir uns ein wenig kennenlernen konnten. Aber jetzt müssen wir wirklich zur Sache kommen."
    Frau: Welche Bombe?
    Mann: Schauen Sie, wir haben wenig Zeit, und Sie sagen immer Wie und Was und Bitte und tun immer ganz überrascht, dabei will ich doch ganz einfache Dinge von Ihnen wissen. "Wir bekennen uns zu dieser Aktion, um Mitternacht am 24. Dezember. Das ist ausnahmsweise sehr klar. So, es ist jetzt 23.06 Uhr, und ich wüsste wirklich gern, wo ist die Bombe?"
    Ob die Bombe wirklich irgendwo tickt oder ob sie das Wahnkonstrukt einer überwachungsbesessenen Staatsmacht ist: diese Frage soll – unter anderem – für Spannung sorgen in Kehlmanns Zweipersonenstück. Sie tut das nur bedingt. Denn der Linksterrorismus, der im Zentrum des Kehlmannschen Stückes steht, ist im Moment ja nicht das alles überschattende Problem Europas; es sind andere Gruppierungen, die Angst und Schrecken verbreiten, von "Bataclan" bis zum Berliner "Breitscheidplatz". Das weiß natürlich auch Daniel Kehlmann. Er habe dennoch keinen Dschihadisten zur Hauptfigur seines Stücks machen wollen, erklärt der Autor:
    "Der wichtigste Grund war, dass ich eine echte intellektuelle Auseinandersetzung von zwei gleichwertigen Gegnern wollte. Und ich finde religiöse Fanatiker intellektuell nicht interessant. Ich finde, religiöse Fanatiker sind einfach auch, entschuldigung, normalerweise keine sehr intelligenten Menschen. Fanatismus bedeutet ja, dass man einen Teil seiner Intelligenz ausschaltet."
    Dass der Abend in der Josefstadt nicht so recht zündet, hängt mit mehreren Faktoren zusammen. Zum einen klingen die Diskussionen zwischen dem cholerischen Vernehmungsbeamten und der Terrorismusverdächtigen verdammt nach 1975, mit dem NSU- und Dschihadismus-affizierten Heute haben die Debatten der beiden wenig zu tun, was dem Stück doch einiges an Brisanz nimmt.
    Zum anderen verstören dramaturgische Unstimmigkeiten: Dass der Vertreter der Staatsmacht und die Philosophin ausführlich über erkenntnistheoretische Haarspaltereien und eheliche Misshelligkeiten plaudern, wo doch um 00.00 Uhr die Bombe explodieren soll, ist alles andere als glaubwürdig. Auch wenn Kehlmann gute Dialoge schreibt, auch wenn er immer wieder treffende Pointen setzt und ein gutes Gespür für Atmosphären hat: Sein jüngstes Stück wirkt doch – nun ja, ein klein wenig ausgedacht. Wohlwollender Applaus.