Freitag, 10. Mai 2024

Archiv

Das Digitale Logbuch
Nasentouch

Von Michael Stang | 16.04.2016
    Mannheim Hauptbahnhof, Montagmorgen 7:23Uhr. Es ist noch sehr kalt. Der Wind bläst. Die Reisenden ziehen die Schultern hoch und die Mützen tief. Der Zug müsste gleich kommen.
    Ich beobachte eine Frau, die – wie die meisten trotz der Kälte – ihre Konzentration dem Smartphone widmet. Sie ist behandschuht. Vermutlich waren die Handschuhe ein Geschenk. Gut gemeint, aber leider nicht perfekt, denn sie sind nicht wischfähig.
    Wer keine Touch-Screen-Gloves hat, hat ein Problem. Was also tun, wenn der Bildschirmschoner anspringt oder gescrollt werden muss? Handschuhe ausziehen und frieren? Für die Frau offenbar keine Option. Die haut sich stattdessen ihr Mobilfunkgerät ins Gesicht – aus purer Verzweiflung? - denke ich zunächst, aber nein. Es ist ein Nasenstupser. Die Nasenspitze dient ihr als Fingerersatz, offenbar regelmäßig, denn sie wiederholt diese Bewegung nur wenige Sekunden später.
    Das Kleinkind in mir zwingt mich bei nächster Gelegenheit zum Nachmachen – und zwar erfolgreich. Probieren sie es doch auch einmal, gern mit anderen Körperteilen, denn sollten sie nicht wie ich oder die Dame am Bahnhof über einen brauchbaren Touch-Zinken verfügen, müssen sie umdenken.
    Nur so viel: Die Zunge funktioniert nicht, auch das Kinn ist allenfalls ungenau, wenn nicht gleich unwirksam. Schaut man sich die vielfältigen Zubehörsortimente für Smartphones an, wundert man sich schon, weshalb ein artifizieller dritter Zeigefinger noch nicht auf dem Schreibtisch eines Patentanwalts gelandet ist oder vielleicht ist der schon längst in der Mache? Möglicherweise gibt es bald Stirnbänder mit integriertem Zeigefinger, mit dem man nicht nur Tippen, sondern auch Wischen kann – ohne auch nur einen Finger zu krümmen.
    Sieht zwar blöd aus, aber der Nasenstupser gehört auch nicht zu den elegantesten Bewegungen. Wer jetzt meint, dass neue Handschuhe oder ein Zeigefingeraufsatz das Problem lösen würden, verkennt den Ernst der Smartphonabhängigen Gesellschaft. Der Bedarf an einer Hilfe zur Touchscreenbedienung ohne Hände ist riesig.
    Wer Hackfleisch- oder Teigknetend das Kochrezept auf dem Tablet oder Smartphone scrollen muss, könnte ja vielleicht noch auf eine Sprachsteuerung ausweichen – aber manchmal ist Reden eben nur Silber- und "Siri" & Co fehl am Platz - schaukeln sie mal ein Baby in den Schlaf mit der Vorgabe, fehlerfrei alle Strophen von der "Mond ist aufgegangen" zu singen.
    Vielleicht ist die Idee gar nicht so schlecht, obwohl Zeigfinger- Stirnband noch sperrig klingt, was kostet eigentlich eine Patentanmeldung?