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Das kulturübergreifende Gut Eifersucht

Habib Selmi erzählt die Liebesgeschichte zwischen einem Tunesier und einer Französin - Marie-Claire. Anhand des Alltags schildert Autor Habib Selmi die komplexe Beziehung zwischen Paaren aus unterschiedlichen Kulturkreisen und widerlegt hier und da auch Klischees.

Von Kersten Knipp | 19.05.2011
    "Coup de foudre” - so nennt man im Französischen jenen Augenblick, in dem ein Mensch einen anderen sieht und weiß, es ist um ihn geschehen, er ist verliebt. So ungefähr geht es auch Machfus, jenem leicht bedächtigen, seit Jahren in Paris lebenden Tunesier, der eines Tages, mitten in einem belebten Café, Marie Claire begegnet, jener Französin in bestem Alter, die da ganz unbegleitet an einem Tisch sitzt. In diesem Moment weiß er: Sie ist es, sie ist die Frau, nach der er sucht, zwar nicht sein ganzes Leben lang, aber doch schon eine ganze Weile. Ein Lächeln geht über die Tische, noch eines, und dann, tatsächlich, kommt eines zurück: Marie-Claire zeigt sich gesprächsbereit. Ein paar nette Worte also, eine freundliche Unterhaltung, die Verabredung, sich demnächst wieder zu treffen - eine Romanze, wie sie typischer nicht sein könnte. Eine Liebe zwischen Ost und West, Orient und Okzident, wie sie sie in der arabischen Literatur schon öfters erzählt worden ist, viel öfters als in der westlichen. Habib Selmi.

    #'"Die Idee ist natürlich nicht neu. Es gibt viele arabische Romane, die sich dem Thema widmen, und das schon seit einer ganzen Weile. Ich selbst wollte auch darüber schreiben, allerdings auf eine neue Weise. Ich lebe in Frankreich, und hier gibt leben aus den bekannten historischen Gründen sehr viele Araber. Und viele dieser Araber leben in Beziehungen mit Französinnen. Es gibt viele gemischte Ehen. Mir ging es aber darum, es aus einem anderen Blickwinkel und unter Berücksichtigung der jüngeren Entwicklungen darzustellen. Ich wollte über die Schwierigkeiten schreiben, die sich in diesen Beziehungen ergeben. Denn die entstehen immer wieder neu. So hat jede Generation ihren eigenen Blick auf die dieses Thema.

    Das Erstaunlichste an diesem Roman: Er ist völlig unpolitisch, kommt ohne jeden Bezug auf den Dauerbrenner "Clash of Civilizations" aus. Machfus und Marie-Claire mögen sich, sie lieben sich, und Politik interessiert beide nicht besonders. Ihre unterschiedliche Herkunft - sie die emanzipierte Bürgerin aus der französischen Hauptstadt, er der Zuwanderer aus Tunesien - ist niemals Thema ihrer Gespräche. Man kann das als märchenhaft empfinden, vielleicht aber auch als neue Realität der Liebe in globalisierten Zeiten. Dabei zeigt der 1951 geborene und seit knapp 30 Jahren in Frankreich lebende Selmi, dass seine Protagonisten genau das tun sollten: über ihre Ursprünge und deren Folgen für ihre Beziehung sprechen. Denn die kulturellen Unterschiede sind zwar nicht allzu groß. Aber unterschwellig, erklärt er, spielen sie sehr wohl in ihre Beziehung hinein.

    "Ich möchte mich auf die unterschiedlichen Kulturen konzentrieren. Die Kulturen als Wertegemeinschaften. Denn sie bestimmen unser intellektuelles Leben ebenso wie unseren Alltag. Die Unterschiede zeigen sich in scheinbar ganz banalen Dingen. Zum Beispiel beim Essen, etwa, wenn Marie-Claire und Machfus beim Frühstück sitzen. Für ihn hat es eine grundlegende kulturelle Bedeutung. Für sie ist es eher Beiwerk. Oder wenn beide ihre Mütter einander vorstellen und gemeinsam mit ihnen zu Abend essen. Machfus mag keine Gänsepastete - und das ist für seine Mutter ein Skandal: Wie kann er es wagen, die Speisen seines Gastgebers abzulehnen?! Scharf tadelt sie ihn vor den Augen der Tischgesellschaft. Ebenso unterscheidet sie ihr Verhältnis zu Pflanzen. Sie liebt Pflanzen. Ihm sind sie eher gleichgültig. All diese Dinge habe ich mit Absicht in den Roman gebracht, denn diese kleinen Reibereien setzen der Beziehung auf Dauer zu. Aufmerksame Leser werden das zur Kenntnis nehmen. Und wenn sie den Roman zu Ende gelesen haben, bemerken sie Unterschied zwischen Ost und West, und zwar anhand von Dingen, die einfach scheinen, es tatsächlich aber gar nicht sind."

    Allerdings handelt es sich um sehr entspannte Kulturkonflikte. Liest man Selmi, könnte man für die um Fragen wie Einwanderung und Integration kreisenden Aufgeregtheiten Entwarnung geben: Sie sind zumindest nicht immer so akut, so scharf, wie es im Westen oft dargestellt wird. Das mag daran liegen, dass Selmi sich zu den Werten des Westens rückhaltlos bekennt. Mit dem Furor der Religion kann er nichts anfangen - ebenso wenig allerdings auch mit den merkwürdigen Spielarten dessen, was sich hierzulande gelegentlich als "Islamkritik" ausgibt, tatsächlich aber selbst ein kryptofundamentalistisches Weltbild verrät. Überhaupt zeigt sich in diesem Roman, dass kulturelle Unterschiede leicht auf ein Minimum zusammenschmelzen. So könnten die Konflikte, die Selmi in seinem Roman ausbreitet, durchaus auch bei monokulturellen Paaren auftreten. Die aufgeregten Gefühle, das Kribbeln im Bauch hört in jeder Beziehung einmal auf, zumindest aber schwächt es ab. Und wenn Machfus während des Urlaubs in Griechenland einer schönen Griechin hinterher schaut und Marie-Claire ihm daraufhin eine Szene macht - nun, das sind Geschichten, die man so oder ähnlich auch schon anderswo gehört hat. Eifersucht und Überdruss sind eben weltweit verbreitete Phänomene, auf keine Kultur und keine Region beschränkt. Hinzu kommt: Machfus tut sein Bestes, um sich der neuen Heimat anzupassen. Er wäre einer der Vorzeige-Immigranten, die immer wieder als Beispiele gelungener Integration herhalten müssen. Und wirklich kann auch Habib Selmi der Vorstellung grundlegend unterschiedlicher Wertvorstellungen in Orient und Okzident nicht sonderlich viel abgewinnen.

    "Ich selbst betrachte Machfus als einen Menschen, der in die französische Gesellschaft integriert ist. Er liebt Frankreich, er liebt es als ein fremdes Land, denn es ist ja nicht das, in das er geboren wurde. Aber er fühlt sich auch seinem Ursprungsland verbunden. Ein wenig bilde ich mich in dieser Figur auch selbst ab. Ich selbst zum Beispiel lebe seit 30 Jahren in Frankreich und betrachte mich selbst als vollkommen integriert. Ich liebe Frankreich, ich liebe den Westen, und besonders liebe ich seine Werte: die Demokratie, die Freiheit, den Laizismus, die Trennung von Religion und Staat - all das liebe ich. Aber ich liebe auch die andere Kultur, die Kultur meines Ursprungslandes, die sich mir ebenfalls erhalten hat. "

    Ein hübsches Credo, das dem Roman seine entspannte Atmosphäre verleiht. Denn am Ende, so viel darf man verraten, trennen sich Marie-Claire und Machfus wieder. Mag sein, dass die Unterschiede, die sich aus ihrer jeweiligen Herkunftsgeschichte ergeben, dazu das ihre tun. Allerdings sind sie doch recht überschaubar, und man merkt, dass der Autor den multikulturellen Pessimismus, der derzeit en vogue ist, nicht teilt. Die Beziehung scheitert vor allem daran, dass beide ganz einfach genug voneinander haben. Mit dramatischen Multikulti-Missverständnissen hat das wenig zu tun. Und das ist doch irgendwie auch schön. Habib Selmi hat ein optimistisch stimmendes Buch geschrieben.

    Habib Selmi, "Meine Zeit mit Marie-Claire" Aus dem Arabischen von Regina Karachouli. Lenos Verlag, 246 S., Euro 19,50