Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Das Lügenpresse-Phänomen
Wie Medien Vertrauen zurückgewinnen können

Eins der großen Medienthemen von 2015 waren die Medien selbst und damit auch das schwindende Vertrauen großer Teile des Publikums in die klassische Berichterstattung. Spätestens mit dem Phänomen der "Lügenpresse" stellt sich für Journalisten die Frage, wie sie mit den Vorwürfen umgehen sollen.

Von Brigitte Baetz | 31.12.2015
    Pegida-Anhänger während einer Demonstration in Dresden am 25. Januar 2015.
    Pegida-Anhänger während einer Demonstration in Dresden am 25. Januar 2015. (imago/Reiner Zensen)
    "Wir sind das Volk, wir sind das Volk."
    "Merkel muss weg, Merkel muss weg."
    Cottbus, am Abend des 25. November. Die Alternative für Deutschland hat zur Demonstration aufgerufen. Britta Hilpert, ZDF-Reporterin vom Landesstudio Brandenburg, versucht, mit den Teilnehmern ins Gespräch zu kommen.
    "Ich frag mal ganz einfach, warum Sie hier sind? - Von zu Hause – Warum? – Das sendet ihr doch sowieso nicht, was ich zu sagen hab. – Ist das alles? – Ihr wart noch nicht auf einer einzigen Friedensmahnwache. – Wie bitte? - Ihr wart noch nicht auf einer einzigen Friedensmahnwache. – Welche Friedensmahnwache? Hier in Cottbus? – Generell. Auf keiner. In ganz Deutschland nicht und da gibt es mittlerweile über 120. – Naja, ich weiß nicht, wir haben 16 Landesstudios, ziemlich viele Redakteure. Aber sagen Sie doch mal, warum Sie heute hier sind, heute. - Weil ich für den Frieden bin. Die Presse lügt. Hören Sie das? Ihr macht das, was von der Regierung vorgegeben wird. Ihr recherchiert nicht nach. – Ich bin eigentlich hier, um zu recherchieren. – Nein, Sie recherchieren nicht nach."
    "Wenn man mit jemandem redet, der gar nicht zuhört, dann kann man das Reden auch lassen. Das tut dann nichts zur Sache", meint Volker Zastrow, Leiter der Politikredaktion der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".
    Natürlich müsse man in Erfahrung bringen, was die Menschen denken, aber:
    "Ein Gespräch mit Leuten, die hermetisch abgeschlossene Positionen vertreten und Gegenargumente nicht zulassen wollen und Differenzierungen nicht zulassen wollen, ein solches Gespräch ist gar kein Gespräch, es ist die Simulation davon."
    "Ich sag Ihnen mal eines: Die Liebe zum Vaterland, die dürfen wir nicht mehr zeigen. Und dagegen wehren wir uns. Es ist so. – Aber Sie zeigen die doch heute Abend? – Jeder Franzose darf das, jeder Spanier, jeder Pole zeigt es. Nur wir dürfen es nicht. – Aber Sie zeigen es doch heute Abend! – Und wir wollen nicht mit 100.000 Muslimen zusammenleben, das wollen wir nicht."
    "Lügenpresse, Lügenpresse, Lügenpresse."
    Eines der großen Medienthemen des ablaufenden Jahres waren die Medien selbst, genauer: das schwindende Vertrauen großer Teile des Publikums in die klassische Berichterstattung der Massenmedien. Wer, wie ich, seit mehr als 20 Jahren die Entwicklung von Fernsehen, Print und Hörfunk beobachtet und die Veränderungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, musste ohnehin schon vorher viel Negatives berichten: über die zunehmende Pressekonzentration beispielsweise, über Stellenabbau in den Redaktionen bei gleichzeitiger Arbeitsverdichtung, über den Rückgang an Meinungsvielfalt, über mangelnde Recherche und einen Trend zum Herdenjournalismus, der nicht nur deutschen Medienmenschen eigen ist. Immer wieder waren Einseitigkeiten und durch Vorurteile beeinflusste Berichterstattung zu konstatieren. Nie jedoch habe ich persönlich Weisungen erhalten, meinen Artikeln und Beiträgen eine bestimmte Tendenz zu geben, noch habe ich jemals von anderen erfahren, dass ihnen so etwas nahegelegt wurde. Im Boulevard-Journalismus mag das möglicherweise anders aussehen, doch die Kritik an der "Lügenpresse" richtet sich ja nicht in erster Linie an Blätter mit großen Buchstaben und vielen Bildern, sondern bezieht sich auf den Informationsjournalismus.
    Seit Agenda 2010 kaum noch Raum für Debatten
    "Die Mehrheit der Deutschen, so hat Wolfgang Donsbach 2009 schon in einer Studie festgestellt und diagnostiziert, hält Journalisten für deutlich zu mächtig, für manipulativ, für skandalversessen, für bestechlich. Diese ziemlich desaströsen Befunde waren eigentlich lange bekannt und wurden viel zu lange nicht ausreichend diskutiert", sagt Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.
    Das öffentliche Ausschlachten des Privatlebens von Wettermoderator Jörg Kachelmann und die Vorverurteilung des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff haben später einen weiteren Teil zum Unmut beigetragen. Älter noch ist allerdings das Unbehagen an einem Journalismus, der spätestens seit der Agenda 2010 kaum noch Raum für Debatten darüber ließ, ob die herrschenden Politikkonzepte, speziell in der Wirtschaftspolitik, wirklich alternativlos sind. Thomas Meyer, emeritierter Politikprofessor und Mitglied der Grundwertekommission der SPD.
    "Wir haben in der Sozialforschung interessante Studien, gute Studien, die sagen: Diese Akademiker, die zum Teil aus mitte-linken Elternhäusern der 68er herkommen und jetzt plötzlich in Wohlstandsberufe des wissenschaftlichen, des kulturellen Sektors hineinwachsen, wie zum Beispiel die Journalisten. Die haben doch eine sehr starke, neue, besitzbürgerliche, besitzstandswahrende, aufstiegsorientierte Mentalität, eine große Verachtung gegenüber allem was links, oder mittelinks ist. Das langweilt die, das ödet die an. Und deswegen kann man sagen, dass systematisch eigentlich die linken, die mitte-linken Themen - Ungleichheit, Wirtschaftsmacht, Ausgegrenzt-Sein – aus den Medien raus ist, aus deren Weltbild. Nur ab und zu kommt so ein Hype – da gibt's dann mal im Feuilleton so eine Kapitalismusdebatte, die bleibt aber kulturell, oder es gibt mal Piketty, Piketty hin, Piketty her. Aber im normalen Weltbild kommen eben Sozialleistungen, worauf die Bürger einen Rechtsanspruch haben, als soziale Wohltaten in dieser Sprache rüber. Da wird eine bestimmte Sicht der Welt verbreitet, die eigentlich sehr besitzbürgerlich geprägt ist."
    Der Journalist Michalis Pantelouris hat ein ähnliches Phänomen bei der Griechenland-Berichterstattung diagnostiziert. Einseitig sei die Krise den angeblich faulen Griechen in die Schuhe geschoben, eine Mitschuld der deutschen oder der europäischen Seite fast gänzlich ausgeblendet worden. Kredite, die ja zurückgezahlt werden müssen, wurden als Hilfsleistungen verkauft. Ein Gleichklang, der seiner Meinung nach auch mit der mangelnden Debattenfähigkeit und Vielfalt der deutschen Politik zu tun hat.
    "Wir sind in einer komischen politischen Situation, in der in Deutschland nur die Parteien am äußersten Rand eine kongruente Position vertreten. Das, was die Linke sagt, lässt sich durchrechnen und durchdeklinieren argumentativ, und das, was die AfD sagt auch. Alles dazwischen basiert zu einem großen Teil auf Durchwurschteln, auf irgendwelchen blumigen Begriffen wie Vertrauen und Entwicklungen, die reines Wunschdenken sind. Klar, die Politik kein Vorbild, aber ich als Journalist nehme für mich in Anspruch, dass wir da besser sind, weil wir eben eigentlich nur Leserinteressen haben, und unser Interesse sollte sich zu 100 Prozent decken mit dem der Leserschaft, der Zuhörerschaft."
    Medienkritik und Pauschalisierung
    Doch ein großer Teil der Leser und Zuhörer fühlt sich offenkundig immer schlechter informiert, erklärt Journalistikprofessor Bernhard Pörksen. Und das bewirke, dass es neben sinnvoller und angebrachter Medienkritik immer mehr zu Pauschalisierungen komme.
    "Im Zuge der Ukrainekrise hat man solche Glaubwürdigkeitsverluste erlitten, im Zuge der Berichterstattung über die German-Wings-Katastrophe. Das haben immer wieder aktuelle Befragungen gezeigt, diese Glaubwürdigkeitsverluste heften sich gleichsam an einzelne Reizthemen und machen sich an ihnen fest. Und es gibt dann neben dieser schleichenden Medienverdrossenheit und Fokussierung auf einzelne Reizthemen noch eine dritte Entwicklungsrichtung, nämlich, dass sich einzelne Fraktionen der Medienkritiker, einzelne Fraktionen der Medienverdrossenen ideologisch radikalisieren und Gewaltfantasien gegenüber Journalisten äußern, bizarre Verschwörungstheorien formulieren."
    "Politbarometer, wird doch eh geschönt. – Das ist ihre Meinung. – Na, Sie sehen doch, was hier ist. Wer ist denn noch für Merkel? – Wie viele Leute sind hier? – 3.000 bis 5.000. – 3 bis 5.000? Er schätzt mehr? – 6.000 – 6.000 Leute? Ok. Das sehe ich ein bisschen anders, aber gut."
    "Ich mach hier nur meine Arbeit, bitte."
    Rempeleien und Übergriffe auf Pressevertreter
    Die Rempeleien gegen die ZDF-Reporterin Britta Hilpert auf der AfD-Demonstration in Cottbus waren vergleichsweise harmlos. Allein in Sachsen kam es in diesem Jahr zu mehr als 25 Übergriffen auf Pressevertreter, bei denen Reporter und Kameraleute geschlagen und ihre Arbeitsgeräte beschädigt wurden. Im Ruhrgebiet bekamen Journalisten Todesanzeigen zugeschickt. In Berlin wurde Helmut Schümann vom "Tagesspiegel" auf der Straße niedergeschlagen, nachdem er in einer Kolumne Pegida und AfD vorgeworfen hatte, Demokratie und Humanität aushebeln zu wollen. Volker Zastrow, Politikchef bei der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", glaubt, dass sich rund um Pegida und die AfD längst der Nukleus einer Bürgerkriegspartei gebildet habe – mit dem Schlachtwort "Lügenpresse" als politischem Rammbock.
    "Der Sinn der Sache ist doch, Standpunkte, die anders sind als der eigene, nicht mehr dulden zu wollen. Das ist doch der Kern der Behauptung, man werde nicht repräsentiert. Wir können zum Beispiel nicht einfach die Menschenrechte abschaffen, nur weil es Leute gibt, die das gerne tun würden. Das geht nicht und das liegt nicht daran, dass diese Leute nicht repräsentiert werden, sondern es liegt daran, dass unser Grundgesetz das verbietet. Und man kann natürlich sehr viel leichter die 'Lügenpresse' kritisieren als das Grundgesetz. Weil die Bereitschaft anderer, sich dieser Kritik am Grundgesetz anzuschließen, so groß wiederum nicht ist. Das, meine ich, ist der Mechanismus. Das ist einfach ein politischer Kampf."
    Ein Kampf, der durch die Möglichkeiten des Internets heute besondere Wirkung entfalten kann, da sich Gleichgesinnte schneller vernetzen und mobilisieren lassen. Der vulgäre Ton, der Netzdebatten leider oft genug prägt, lässt sich inzwischen auch in der Post an Journalisten zur Genüge finden. Golineh Atai beispielsweise, die für das ARD-Fernsehen aus der Ukraine berichtet, musste über sich die Bezeichnungen "widerliche Propagandapuppe" oder "politische Kotze" lesen. Auch der Deutschlandfunk wird von ähnlichen Mails nicht verschont, so DLF-Chefredakteurin Birgit Wentzien:
    "Es ist schon hart, was da auf die Dauer einprasselt auf unsere Auslandskorrespondenten beispielsweise, auf unsere Moderatorinnen und Moderatoren, auf alle, die kenntlich nach draußen für dieses Haus Stimme geben. Unser Justiziar hat uns ganz stark unterstützt, bei zwei heftigsten Attacken Strafanträge zu stellen, und bei einem sind wir erfolgreich. Eine Kollegin wurde Nazihure genannt, und derjenige, der das getan hat, muss zahlen, und ich hoffe, es schmerzt."
    Eine Verschärfung des Tones und eine zunehmende Unduldsamkeit der Leser waren Volker Zastrow schon vor Ukraine-Krise und Pegida-Demonstrationen aufgefallen, exemplarisch bei den Artikeln über das Bahnhofsprojekt Stuttgart21.
    "Da haben wir zum ersten Mal sehr deutlich die Erfahrung gemacht, dass – egal, wie wir berichten – die Berichterstattung bei den Lesern unheimlich viel Empörung ausgelöst hat. Unser Korrespondent war da stark betroffen, der hat sich sehr bemüht um eine tatsachenbezogene Berichterstattung. Das ist nicht mehr durchgedrungen."
    Internet und der Journalismus als Handwerk
    Volker Zastrow glaubt, dass die Kritik an den Medien weniger eine Folge mangelnden Vertrauens ist. Durch die Möglichkeit, sich im Internet schnell Informationen zusammensuchen zu können und selbst zu verbreiten, sei das Bewusstsein dafür verloren gegangen, dass Journalismus ein arbeitsintensives Handwerk ist, bei dem man lernt, Informationen einzuordnen und auf ihren Wahrheitsgehalt abzuklopfen.
    "Man muss das sehr lange und intensiv lernen und üben, das Schreiben und das Argumentieren und all diese Dinge. Das ist ja ein Beruf, den wir ausüben. Das ist ja nichts, was man einfach so kann. Das, glaub ich, wissen Leute nicht und dadurch entsteht ein Teil dieses Problems. Übrigens: Das geht mir sogar mit klugen Leuten so, Professoren, die denken, sie können schreiben wie ein Journalist. Natürlich können die das nicht. Die denken eben, jeder kann so was. Das ist eigentlich ein ganz normales Vorurteil. Darin steckt noch keine Frage von Vertrauen, das ist eigentlich eine Form von Verwechslung. Die haben Sie auch wieder auf allen möglichen Gebieten. Also, die Leute diskutieren mit ihren Ärzten über Diagnosen. Es gibt schon ziemlich gute Studien darüber, wie fehlerhaft die Einschätzungen, von Krankheiten und Behandlungsmustern im Internet sind. Das wissen die Leute aber nicht. Die fühlen sich subjektiv gut informiert, objektiv sind die das aber nicht."
    "Viele wissen ja gar nicht, das zeigen die entsprechenden Studien und Untersuchungen, wie im Journalismus gearbeitet wird, wie Nachrichten zustande kommen, wie Informationen ausgewählt werden."
    Der Journalistik-Professor Bernhard Pörksen: "Da stehen wir vor einer Phase der neuen Aufklärung auch über die ganz alltägliche Praxis des Journalismus."
    Medienmacher und der Dialog mit den Nutzern
    Und um diese Aufklärung kämen Medienmacher heute nicht mehr herum. Allein schon aus dem Grunde, weil Digitalisierung, so Pörksen, gleichzeitig Dialogisierung bedeute. Ein Sender oder eine Zeitung könne es sich heute nicht mehr leisten, eine Berichterstattung Excathedra zu zelebrieren, ohne die Reaktionen der Leser, Zuschauer oder Hörer zu beachten und auf sie zu reagieren - auch wenn das bei knappen Redaktionsetats an die personelle wie finanzielle Substanz gehe. Er warnt deswegen auch die Medien vor pauschaler Publikumsverdrossenheit.
    "Bevor man in diese Dialogphase einsteigt, bevor der Dialog wirklich gelingen kann, braucht es einen Abschied von der pauschalen Etikettierung auf allen Seiten, braucht es die Bereitschaft, ganz genau hinzuschauen, denn es sind sehr unterschiedliche Menschen, die sich mit ihrer Medienkritik zuschalten, unterschiedliche Gruppen und Initiativen; und braucht es die Bereitschaft, auch anzuerkennen, dass das digitale Zeitalter ganz wesentlich ein Zeitalter des Dialoges sein muss. Aber auch, und das ist die Schwierigkeit, das ist das Dilemma, vor dem man heute steht als Medienmacher, auch manchmal der Abgrenzung. Also mit einzelnen Fraktionen unter den Medienverdrossenen, mit Einzelnen, die 'Lügenpresse' krakeelen, wird man nur sehr schwer überhaupt reden können."
    Die Medienbranche befindet sich in einer historisch einmaligen Situation. Wie es der Medienkritiker Fritz Wolf einmal ausgedrückt hat: In einer einst kommunikativen Einbahnstraße – hier senden, da empfangen – herrscht plötzlich Gegenverkehr. Damit umzugehen, müsse man erst einmal lernen – ohne sich von Hassmails irremachen zu lassen, sagt Deutschlandfunk-Chefredakteurin Birgit Wentzien.
    "Ich glaube, man darf eines nicht: Und das ist, den Hörer, die Hörerin und den User unterschätzen. Ich habe keine Angst vor NPD-O-Tönen oder Höckes, die in Thüringen oder sonst wo meinen, sich rassenideologisch zu äußern. Ich hätte eher Angst davor, dass in meinem Kopf die Schere klappert und ich dafür sorge, dass Höcke gar nicht erst auf Sender kommt. Die Menschen, die uns verfolgen und die von uns Hintergrundreibung und auch Positionen wollen und vielleicht auch dann besser streiten können, die werden das schon selber entscheiden."
    Umgang mit dem Lügenpressevorwurf
    In einer durch ökonomische Krisen, die Kritik des Publikums und ideologische Angriffe verunsicherten Zunft braucht es vermutlich auch - Dialog hin, Dialog her - mehr denn je die Konzentration auf die eigentlichen Kernkompetenzen. Auch Volker Zastrow von der "FAS" warnt deshalb davor, sich durch Lügenpresseanwürfe aus dem Konzept bringen zu lassen.
    "Der Journalismus unterliegt sehr klar definierten Anforderungen: Da sind rechtliche Anforderungen, da sind ethische Anforderungen und dann gibt es noch das Handwerk dieses Berufes, das muss man lernen. So. Und das muss man mit Sorgfalt ausüben, das heißt ja auch Sorgfaltspflicht bei uns. Das ist ja nicht einfach nur ein Begriff. Und dann entsteht dabei ein Produkt, das sozusagen bewertbar ist nach klaren Kriterien. Zum Beispiel mit Argumenten, mit der Nachprüfung des Inhaltes – trifft das zu, was gesagt wird. Mit dem Benennen von Quellen für Aussagen, usw. Das ist ein gut geregeltes Verfahren. Es gibt eben Leute, die gerade dieses Verfahren abschaffen wollen. Die wollen nicht, dass überprüfbare Berichte in Zeitungen stehen oder Schlussfolgerungen gezogen werden, die ihren eigenen widersprechen. Deren Ziel ist es, das abzuschaffen, und deswegen darf sich der Journalismus diesem Ansinnen nicht anpassen. Die behaupten, dass der Journalismus so sei, aber in Wirklichkeit wollen sie diese Art von Journalismus. Sie wollen einen propagandistischen Journalismus."
    Unter den lauten "Lügenpresse"-Anwürfen drohen die wirklichen Gefahren, die den Journalismus und damit eine funktionierende öffentliche Meinungsbildung bedrohen, in der Wahrnehmung unterzugehen: die Ausdünnung der Zeitungsredaktionen beispielsweise, den damit zusammenhängenden Rückgang an Recherche, der Verlust an Meinungsvielfalt, der durch die Teilöffentlichkeiten im Netz, in denen sich Gleichgesinnte immer wieder selbst in ihren Meinungen bestätigen, nicht auszugleichen ist. Professor Martin Emmer, Publizistikprofessor an der FU Berlin, glaubt jedoch, dass sich die Branche auf einem gar nicht so schlechten Weg befindet:
    "Ich muss ehrlich sagen, ich bin ganz positiv angetan davon, wie sich klassische journalistische Medien in den letzten Jahren auch eingestellt haben auf diese stärker medienkritische Debatte. Wenn ich mir heute gerade diesen Online-Journalismus ansehe, dann sehe ich da eine sehr viel größere Offenheit. Ich sehe, dass mit Fehlern offener umgegangen wird. Heute ist es Standard, dass immer, wenn man in einem Artikel ein Fehler korrigiert hat, man das ausführlich erläutert und begründet. Das war früher nicht der Fall. Wir sehen stärkere Versuche, auch von journalistischen Medien, Hintergründe systematischer, offener aufzuarbeiten. Das sind, glaube ich, alles sinnvolle Schritte, mit Medienkritik und diesen Problemen umzugehen und auch so ein bisschen so eine Rationalität in diesen Diskurs hineinzubringen, der dann auch Ausstrahlung haben kann, der es Menschen dann eben nicht mehr so leicht macht, pauschal auf Akteure, auf Medien draufzuhauen und zu sagen: ‚Die lügen doch alle'."