Freitag, 10. Mai 2024

Archiv


Das Teesieb in der Kunst

Georg Herold gilt als ausgesprochen witziger Künstler, der mit den überraschenden Betitelungen seiner Bilder und Installationen auch die Sprache als Material benutzt. In der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden sind nun seine ironisierenden und provokanten Werke zu sehen.

Von Christian Gampert | 11.03.2005
    "Die Melancholie" ist auch da. Normalerweise erwartet man eine allegorische Figur in Frauengestalt, aber bei Georg Herold hängt sie als schlaff baumelnde schwarze Damenfeinstrumpfhose von einem Gerüst herab. Man kann nicht sagen, dass der Anblick gänzlich unerotisch wäre, aber die Ironisierung ist offensichtlich. Georg Herold gilt als ausgesprochen witziger Künstler, der mit den überraschenden Titelungen seiner Bilder und Installationen auch die Sprache als Material benutzt. Kunsthallen-Direktor Matthias Wintzen:

    "Das ist für mich ein ganz starker Eindruck vor der Kunst von Georg Herold, dass einem da die Sprache wegbleibt. Und zwar deshalb, weil die Betitelung eher einen Abgrund öffnet als eine feste Bedeutung hat."

    Mit der Baden-Badener Schau will Wintzen dem Eindruck entgegenarbeiten, dass das vordergründig Lustige und Provokante der entscheidende Faktor in der Kunst des Georg Herold sei. Wintzen geht es darum, den Assoziations-Raum zu öffnen, den Herolds Arbeiten haben. Die Dinge als das wahrnehmen, was sie "wirklich" sind - das ist gar nicht so einfach. Wer eine aufgeschlitzte Leinwand sieht, die wieder zugenäht wurde, der nimmt nicht nur diese Leinwand wahr, sondern wird als kunsthistorisch vorgebildeter (oder verbildeter) Mensch gleich an Lucio Fontana denken. Herolds sarkastischer Titel lautet dann: "zugenähter Fontana". Peng, schon ertappt. Wenn man Herolds Vitrinen mit Luftballons unterschiedlicher Größe betrachtet, von riesig bis zum Präservativ-Format, dann denkt man erst mal gar nichts, und das ist gut, das ist sogar wunderbar, und dann liest man den Titel: "die Luft ist rein". Ach so.

    Die Ausstellung will ausdrücklich keine Retrospektive sein. Gott, nur nicht nach hinten sehen! Der Katalog (mit vorzüglichen Texten u.a. von Carmela Thiele und Rainer Speck) ist zwar eine Art Bestandsaufnahme, aber Herold geht es nicht um Chronologie, sondern eher darum, verschiedene Werkgruppen mal zusammen zu zeigen: die Kaviar-Bilder (ja, man kann mit Kaviar Bilder machen), die Dachlatten-Installationen, die Unterhosen-Skulpturen, bei denen gefärbte Slips heroisch wie Sonnenschirme aufgespannt werden, die Ziegelbilder, bei denen Ziegelsteine aus der Leinwand heraushängen und in einem Fall dann auch Boxhandschuhe tragen.

    Also: in die Fresse, Politesse. Und: frisch in die Hände gespuckt, wir steigern das Bruttosozialprodukt. Der mittlerweile 58-jährige Georg Herold kam in den siebziger Jahren aus der damaligen DDR und hat dorten wegen fehlender Anpassung auch mal im Knast gesessen. Noch heute spürt man bei ihm die ironische Distanz zu Kunst- und Sozialgeschichte, den Utopieverlust.

    "Die Dinge stürzen mit brüchiger Stimme herein, die Lumpen ihre abgetragenen Namen von sich schleudern...Das ist Majakowski. Es geht um die Entthronung von Idealen, Entthronung von Göttern, um eben im Prinzip doch wieder, traditionell, das Gleiche wieder aufzubauen...- weil: ins Chaos will ja keiner."

    Die Baden-Badener Ausstellung beginnt übrigens mit einem schäbigen Umzugskarton, unter dem man hindurchgehen kann und der möglicherweise ein Geschenk enthält. Darauf steht: "for members only". Das sollte uns nicht verleiten, die Ausstellung als Treffpunkt für Insider zu betrachten - obwohl Herolds Einfluß auf die junge Künstlergeneration beträchtlich ist. Nein, diese Schau ist eine Einladung ans Publikum, sich treiben zu lassen ins Ungewohnte, Abgeschmackte, ins Gegenteil. Es gibt einen weißglänzenden sogenannten Kokain-Berg, der aus Styropor und Milchpulver besteht, unschuldige Teesiebe, die über phallische Formen gestülpt sind, viele leere Keilrahmen ohne Leinwand und ein kubistisch-suprematisches Dachlatten-Bild.

    Georg Herold legt auch einen Haufen dieser ungehobelten Latten, offenbar die Haltestangen von Transparenten, auf ein Gerüst und schreibt dazu: "100 Jahre 1. Mai". Er nagelt den Dürer-Hasen aus solchen Hölzern zusammen - eine Heimwerker-Arbeit aus dem Baumarkt. Nein, es ist eben nicht Teakholz, es sind simple, rauhe, schöne, sperrige Latten. Ein SPD-Politiker wollte mit sowas einst die Grünen verprügeln. Bei Georg Herold, im Nebenberuf Volkstribun, stehen auch Parolen auf dem Holz. Aber nicht so hehre Sachen wie "Gemeinsam sind wir stark". Bei Herold heißt es, mit entwaffnender Ehrlichkeit: gemeinsam sind wir Arschlöcher.