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Das traurige Ende des Märchenkönigs und andere Sexstories

Osteuropäisches Erzählen steht seit einigen Jahren hoch im Kurs. Das belegt der diesmalige Nobelpreisträger, das belegt auch auf einer niederen Ebene der literarischen Qualität der Erfolg Wladimir Kaminers, der mit seinen unbedarften Geschichten vom "Onkel Wanja" zu einem regelrechten Star und nationalem Vorzeige-Russen geworden ist.

Enno Stahl | 27.01.2003
    In eine ähnliche Kerbe schlägt nun der tschechisch-stämmige Jaromir Konecny mit seinem Buch "Das traurige Ende des Märchenkönigs und andere Sexstories". "Sexstories", das weist auf Charles Bukowski als literarischen Ahnherr, und Konecny macht keinen Hehl aus dieser Vorliebe, wenn er etwa berichtet, wie er mit Hilfe bewusstseinserweiterter Pilze den besten Geschlechtsakt seines Lebens hatte, aber leider nichts davon mit bekam. Der erste Sex darf natürlich nicht fehlen, zwar ist das locker erzählt, aber auch etwas ärgerlich, schrammen diese Geschichten über die "älteste Sache der Welt" doch schon rein sprachlich ein ums andere Mal nur knapp an Kitsch und Plattitüde vorbei. Der Erkenntniswert bleibt gering, seine Erlebnisse als verhinderter Lustsklave bei Sat 1 zeigen etwa den Voyeurismus der Medienbranche, allerdings ohne etwas zu decouvrieren, was man nicht ohnehin kennt - das Privatfernsehen selbst macht längst kein Geheimnis mehr daraus.

    Weit stärker sind Konecnys tatsächlich "osteuropäische" Texte, die in prägnanter und anschaulicher Weise demonstieren, mit welcher Findigkeit, mit welchem Sprachwitz als Widerstandsform die Menschen unter der staatssozialistischen Zwangsbürokratie ihre Stellung behaupteten. Hier werden lebendige und originelle Charaktere gezeichnet wie der vital-anarchische Steinmetz Arnost, der Sentenzen moderner, also verbotener Lyrik in die Grabsteine meißelt und allen Anfeindungen der Obrigkeit trotzt. Oder der schwule Ex-Priester Konrad, der eine Gruppe tschechischer Emigranten um sich schart, sie mit deftiger Heimatküche durchfüttert und mit eigentümlichen homöopathischen Kuren traktiert.

    Auch die Geschichte von Pet'a, der - geistig zurückgeblieben - alles nachplappert, was er irgendwo aufschnappt und damit allerlei Peinliches zutage fördert, geht über den reinen Witz hinaus. Denn hinter dem idyllisch-Dörflichen schlummert als ständige Gefahr die Realität der Diktatur.

    Wenn Konecny die Wandlung seiner früheren Hippie-Freunde zu Erz-Kapitalisten darstellt, nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, scheint einmal mehr die politische Dimension hinter dem bloß vergnüglichen Fabulieren auf. An diesen Punkten überzeugt Konecnys Prosa, die - oftmals autobiografische - Wiedergabe dessen, was passiert ist, bedarf einer höheren Einordnung, einer Möglichkeit der Bewertung.

    Sonst ist es eben nur ganz amüsant. Gut, nichts gegen Vergnügen, aber das geht schnell vorbei...