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"Dennoch: ich liebe dich"

Über einen Zeitraum von 36 Jahren schrieb der Autor Wolfgang Koeppen Briefe an seine um 21 Jahre jüngere Frau Marion: In dem Buch "...trotz allem, so wie du bist" hat Anja Ebner die Korrespondenz zusammengefasst: Dokumente der Liebe und Fürsorge, aber auch der Angst und Resignation.

Von Matthias Kußmann | 28.08.2008
    Mein liebes Kind, ich bin in die Stadt gegangen, zum Nachdenken, zum Friseur, aus Unruhe, weil schönes Wetter ist. Ich denke lieb an dich und werde um halb elf anrufen und fragen, wie es dir geht und ob ich zurückkommen soll. Herzliche Küsse, dein...

    Mein lieber guter Kopernikus, ängstige dich nicht, ich habe meine Hemden und meinen Kopf gewaschen, und bin dann gegangen und freue mich sehr darauf, dich wiederzusehen. Deine Marion

    Liebe Marion, bin Donnerstag mittags wieder hier. Du hast mich dazu getrieben. Wenn du dann nicht nüchtern bist: Krankenhaus. Alles Gute. Dennoch: ich liebe dich. K.

    Lieber Perni. Du hättest eine ganz vernünftige Frau und ich einen ganz vernünftigen Mann gebraucht. Ich umarme dich. Sei fröhlich. Deine Marion

    Briefe von Wolfgang und Marion Koeppen - einem der merkwürdigsten Paare der deutschen Nachkriegsliteratur. Sie lernen sich Anfang 1944 in Feldafing kennen, in einem noblen Tennis-Hotel. Koeppen ist 37 Jahre alt. Er hat zwei erfolgreiche Romane publiziert und im Feuilleton des "Berliner Börsen Courier" gearbeitet. Da der von den Nazis verboten wird und Koeppen keine "völkischen" Bücher schreiben will, geht er zum Film - dem wohl einzigen Ort, wo Autoren die NS-Zeit überstehen konnten, ohne allzu große Kompromisse zu machen.

    Er schreibt seichte, aber gut bezahlte Drehbücher für die Bavaria. Doch es herrscht Krieg. Als die Lage in München immer bedrohlicher wird, flieht er an den im Wortsinn "bomben-sicheren" Starnberger See, nach Feldafing - genau wie seine spätere Frau.

    "Marion Koeppen, mit Mädchennamen Ulrich, ist 1927 in Garmisch-Partenkirchen geboren. Sie hatte verschiedene Berufsvorstellungen, auch Berufsstarts. Unter anderem wollte sie Tänzerin werden, das hat aber nicht funktioniert. Sie hat kleine Gedichte geschrieben und versucht zu veröffentlichen, aber letztlich hat sie keinen beruflichen Weg eingeschlagen."

    Marion ist 16, hübsch, lasziv. Sie provoziert Koeppen und die andern Gäste mit ihrer mal unschuldigen, mal berechnenden Kleinmädchenerotik - eine veritable Nabokow'sche "Lolita". Koeppen verfällt ihr sofort. 1948 heiraten der 42-Jährige melancholische Intellektuelle und die erst 21-Jährige.

    "Das ist das große Rätsel, was die Liebe immer ausmacht: Warum fühlen sich zwei Menschen zueinander hingezogen? Ich glaube, dass der Briefwechsel einige Fragen in der Richtung beantwortet. Weil es schon eine sehr innige Beziehung war - auf einer Ebene, die man vielleicht nicht ganz so schnell verstehen kann. Ein gewisses Verständnis auf beiden Seiten, da sie beide Außenseiter sind. Sowohl Koeppen als auch Marion haben Zeit ihres Lebens eigentlich nicht so richtig in die Gesellschaft hineingefunden. Marion auch dadurch, dass eine wohlhabende Familie da war, aber wahrscheinlich nicht der Halt zu anderen Menschen. Ihre Mutter ist früh verstorben, dass man sich vorstellen kann: Eine 16-Jährige verliert die Mutter, der Vater ist lange Zeit inhaftiert gewesen - dass die ganzen familiären Haltepunkte wegbrechen. In dem Moment ist Koeppen da, gibt ihr Zuneigung, Aufmerksamkeit und Vertrauen, so dass eine Basis gelegt wurde."

    Die Germanistin Anja Ebner hat die Korrespondenz des Paars herausgegeben - 300 Briefe, Karten und Telegramme; dazu alltägliche Zettel, die sie sich zuhause schrieben, und Koeppens Notate nach Marions Tod. Es ist ein eindrückliches und berührendes Buch über eine schwierige, ja zerstörerische Liebe.

    Koeppen ist nach Kriegsende freier Autor. Er schreibt kritische Romane, die Adenauer-Deutschland verstören, und erfolgreiche Reisebücher über Russland und Amerika. Die Urfassung vieler Passagen daraus kann man nun in den Briefen an Marion nachlesen. Doch dann versiegt Koeppens Produktion. 30 Jahre, bis zu seinem Tod 1996, warten der Suhrkamp Verlag und die Kritik auf einen neuen Roman des "großen Schweigers", wie es bald heißt.

    Wie man an den Briefen sieht, dürfte die häusliche Situation - vorsichtig gesagt - das Schreiben nicht erleichtert haben, denn Marion war schwer alkoholkrank. Koeppen hielt zu ihr, doch wenn es zu schlimm wurde, floh er in Hotels oder ein Appartement, das sein Verlag ihm zum Schreiben gemietet hatte:

    "In der ersten Zeit ist es eher so, dass sie depressiv wurde, zum Teil auch dem ganzen Luxus hinterher weinte, den ihre Familie hatte. Das Ehepaar Koeppen lebte häufig am Existenz-Abgrund und Marion war etwas ganz anderes gewohnt, da war Geld nie ein Thema. Da war auch nie ein Thema, wie die Miete bezahlt werden oder Essen gekauft werden konnte. In der Ehe mit Koeppen war das auf einmal alles so, so dass sie auch eine Zuflucht suchte im Alkohol, um mit diesen Problemen fertig zu werden. Letztlich ist es später so schlimm geworden, dass sie auch gewalttätig wurde, gegen Koeppen, aber auch gegen sich selbst, so dass sie Selbstmordversuche unternahm, die Koeppen allerdings vereiteln konnte."

    Die Briefe geben ein erschütterndes Bild dieser Situation: immer neuer Streit, neue Versprechen, nicht mehr zu trinken, dann wieder Exzesse. Marion geht in Entzugskliniken, die sie bald verlässt, verbringt Monate in der Psychiatrie. Anfang der siebziger Jahre gibt Koeppen den Kampf gegen ihre Krankheit auf. Er teilt ihr täglich eine Ration Wein und Schnaps zu, auch Schlaftabletten, von denen sie ebenfalls abhängig ist. Marion stirbt am 15. April 1984 an Leberzirrhose. Sie ist 57 Jahre alt. Und Koeppen, der "große Schweiger", schreibt:

    Am zweiten Totentag, am 16. 4., als ich sie das zweite mal sah: in Gegenwart des brummigen Fraters. Die Augen wieder geöffnet, ganz klar, blau, wie damals auf der Terrasse von Feldafing. Ja, sie sah mich an, nicht vorwurfsvoll, doch auch nicht vergebend, vielleicht noch einmal prüfend. Ich hätte nicht kommen sollen, an Kinn und Hals schon bläulich einsetzende Verwesung, schon am 2. Tag! Der Frater drängte.

    Koeppens Notate nach Marions Tod gehören zum Berührendsten des Buches. Er ist zu diesem Zeitpunkt fast 80, der "große Roman" nicht in Sicht. Doch Koeppen schreibt und publiziert kleine, oft unterschätzte Prosastücke, die bleiben werden. Und es gibt Briefe an Marion und Notate nach ihrem Tod, die ebenfalls Literatur sind:

    Die Schmerzen am letzten Abend. Die Schwester, die mich telefonisch gerufen hatte. Marions Freude: "Dass Du gekommen bist!" Fast kindlich dankbar. Dann diese Sätze: "Sie haben mich zum Maßnehmen in eine Holzkiste gelegt." Und ich: "Das hast du geträumt!" Und sie, zum Schluss, beim Aufwiedersehen: "Wenn ich morgen nicht schon auf dem Schutthaufen liege." Ich: "Aber nein!" Das Auge brach doch schon... Ich ging, ging, ging. Vorfrühling in Nymphenburg. Ich ging, ging. Ja, Mövenpick. Der gute Wein. Überließ sie dem Todeshaus. Der Nachtschwester. Der Anruf des Fraters 7 Uhr 20. Mein Gott! Ich liebe sie doch.

    Anja Ebner (Hrsg.): ...trotz allem, so wie du bist
    Wolfgang und Marion Koeppen: Briefe

    Suhrkamp Verlag, 460 Seiten, 32,80 Euro