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Der Preis der Flexibilität

Leiharbeit hieß die Antwort vieler Konzerne auf die Finanzkrise. Viele haben dieses System trotz Aufschwung beibehalten. Und es gibt eine neue Entwicklung: Kurz vor der möglichen Übernahme werden Leiharbeiter entlassen und bekommen einen ebenso unsicheren Werksvertrag.

Von Gerhard Schröder | 27.04.2012
    Berlin-Spandau. Eine sechsspurige Ausfallstraße, gesäumt von rot schimmernden Montagehallen. Das Dynamowerk von Siemens. Ein Industriedenkmal, vor 105 Jahren errichtet, mit hoch aufragendem Hauptportal und geschwungenen Rundbögen.

    Ein 200 Tonnen schwerer Elektromotor, hoch wie ein Einfamilienhaus, wird durch die Montagehalle gezogen. Endkontrolle. Noch einmal prüfen Arbeiter das graue Ungetüm auf Herz und Nieren - bevor es ausgeliefert wird.

    "Das sind halt riesige Maschinen. Das ist schön, wenn man so was baut und sieht, wie es am Ende abgesegnet wird und zum Kunden gebracht wird. Das erfüllt einen schon mit Stolz. Manchmal sind die so schwer, dass man sie in Einzelteilen zum Kunden schicken muss. Da ist schon sehr viel Spaß mit dabei."

    Thomas Suski ist 23 Jahre alt. Ein drahtiger Typ mit streichholzkurzen Haaren und wachen Augen. Seit neun Monaten arbeitet er bei Siemens. Der junge Mann ist gelernter Elektroanlagenmonteur, hat gerade sein Fachabitur nachgeholt. Später will er vielleicht studieren, jetzt aber erstmal Berufserfahrungen sammeln. "Ich kann hier viel lernen", sagt er, "das ist ein toller Job". Wie lange er noch bei Siemens bleiben kann, weiß er nicht. Denn Thomas Suski ist Leiharbeiter.

    "Das ist schon ein gewisser Stress, den man dadurch hat, dass man immer im Hinterkopf hat, dass man im nächsten Moment hier wieder weg sein könnte. Es ist halt unangenehm, auch wenn die Arbeit schön ist und Spaß macht."

    Zur Unsicherheit kommt die Bezahlung. Als Leiharbeiter verdient Suski deutlich weniger als die Kollegen, die die gleiche Arbeit machen, aber fest bei Siemens angestellt sind.

    "Man sieht den Arbeitskollegen neben sich. Der tut die gleiche Tätigkeit und kriegt natürlich mehr Geld. Da macht sich schon Gedanken."

    Dabei ist Siemens eigentlich ein Vorzeigeunternehmen in Sachen Leiharbeit. Denn der Elektrokonzern hat mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung abgeschlossen, für die ihn auch die IG Metall lobt. Danach bekommen die Leiharbeiter einen Zuschlag zum üblichen Branchenlohn. Bei Thomas Suski sieht das konkret so aus: Er bekommt elf Euro 34 pro Stunde, das sind zwei Euro 63 mehr, als ihm seine Zeitarbeitsfirma nach dem Branchentarif zahlen müsste. Aber immer noch knapp fünf Euro weniger, als die Siemens-Kollegen für die gleiche Arbeit bekommen. Ein Minus von einem Drittel. Nicht einberechnet sind dabei Jahresprämien, 13. Monatsgehalt oder betriebliche Altersvorsorge. Leistungen, die Siemens seinen Beschäftigten gewährt. Aber Suski ist nun mal kein echter Siemensianer. Eines scheint für ihn jedenfalls klar: Leiharbeit wird für ihn nur eine kurze Etappe sein.

    "Für immer und ewig Leiharbeit, das könnte ich mir auch nicht vorstellen. Irgendwann möchte man auch zur Arbeit kommen und wissen, dass man auch dableibt und nicht einen Monat später wieder komplett alles von vorne lernen muss, weil man an einem anderen Einsatzort ist."

    Bei Alexander Bechtold ist das anders. Der 46-Jährige ist ein hagerer, groß gewachsener Mann, verheiratet, drei Kinder. Vor sechs Jahren ist er aus Kasachstan nach Deutschland gekommen, er macht nicht viele Worte, nicht nur der Sprache wegen. Bechtold hat jahrelang auf Baustellen gearbeitet, bevor er als Leiharbeiter bei Siemens anheuerte. Hier verdiene er mehr, sagt er. Aber zum Leben, fügt er leise an, zum Leben reicht es nicht.

    "Ich muss noch vom Jobcenter zusätzlich etwas bekommen. 700 Euro."

    Bechtold geht es wie vielen Leiharbeitern. Weil sein Verdienst nicht reicht, bekommt er zusätzlich noch Geld vom Jobcenter. Doch der Industrieelektriker macht sich Hoffnung. Ein halbes Jahr muss er noch durchhalten, dann, so sagt er sich, winkt ein fester Job bei Siemens. Es klingt wie eine Verheißung, die seinem Leben eine entscheidende Wendung geben könnte.

    "Ja, ich denke, ich werde übernommen. Aber das ist nur eine Hoffnung. Das ist mein Traum, weil ich diese Arbeit liebe."

    Betriebsvereinbarungen wie bei Siemens gibt es auch bei anderen großen Metallkonzernen, bei Autofirmen wie BMW, VW und Daimler zum Beispiel. Oder beim Flugzeugbauer Airbus. Auch dort bekommen Leiharbeiter einen Zuschlag, der die Kluft zu den Stammbeschäftigten zwar nicht ganz schließt, aber doch vermindert. Die Mehrheit der knapp eine Million Leiharbeiter in Deutschland kann davon nur träumen. Sie bekommen den kargen Tariflohn der Zeitarbeitsbranche – und der liegt im Durchschnitt 30 bis 40 Prozent unter dem, was Festangestellte für die gleiche Arbeit bekommen, das haben zahlreiche Untersuchungen belegt.

    "Ich bin sehr dafür, dass Leiharbeit für das eingesetzt wird, für das sie geschaffen war: zur Vertretung für Auftragsspitzen, als flexibles Instrument. Aber nicht als Ersatz für unbefristete Vollzeittätigkeit."

    Helga Schwitzer leitet die derzeit laufenden Tarifverhandlungen der IG Metall mit der Zeitarbeitsbranche. Dabei geht es nicht, wie in der Metallindustrie - um ein paar Lohnprozente mehr oder weniger. Es geht ums Grundsätzliche. Es geht darum, dass Leihkräfte genauso bezahlt werden sollen wie die Stammbelegschaften in den Entleihbetrieben. Für die Arbeitgeber war dieses sogenannte Equal Pay lange Zeit ein rotes Tuch.

    "Die Einführung von Equal Pay würde Zeitarbeit in einem Maß verteuern, dass der Einsatz – insbesondere von Geringqualifizierten und Langzeitarbeitslosen – nicht mehr in Betracht käme."

    So warnte Dieter Hundt, der Präsident der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, noch vor anderthalb Jahren. Inzwischen verhandeln die Tarifparteien darüber ganz konkret. Auch wenn es in der heute begonnen dritten Runde noch keinen Durchbruch gegeben hat – die Chancen auf eine Einigung sind gar nicht schlecht. Leiharbeit dürfe kein Instrument für Lohndumping sein, sagt Dieter Hundt heute.

    "Wir wollen eine tarifvertragliche Regelung zur stufenweisen Anpassung der Vergütung an die Bezahlung der Stammarbeitnehmer."

    Der Meinungsumschwung im Arbeitgeberlager kommt nicht von ungefähr. Sondern ist auch eine Reaktion auf den wachsenden Druck, der auf Unternehmen und Wirtschaftsverbände einwirkt, nicht nur vonseiten der Gewerkschaften. Seit dem Skandal um die Drogerie-Kette Schlecker vor anderthalb Jahren ist auch die Politik hellhörig geworden. Der Discounter wollte Stammkräfte entlassen und als schlechter bezahlte Leiharbeiter wieder in einer hauseigenen Zeitarbeitsfirma anstellen. Ein Vorhaben, das auch die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen auf den Plan rief. Sie reformierte das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, setzte sich für einen Mindestlohn in der Branche ein und setzt den Arbeitgebern beim Thema "Equal Pay" nun die Pistole auf die Brust: "Entweder ihr einigt euch mit den Gewerkschaften auf einen Kompromiss. Oder ich regele das per Gesetz.

    "Ich will jetzt nicht über einen Tag oder eine Woche feilschen. Ich habe gesagt, dass sie im Frühjahr fertig werden müssten. Das darf jetzt kein Dauerverhandeln werden, sondern es muss schon ein Ergebnis kommen."

    Eine Drohung, die die Tarifparteien durchaus ernst nehmen. Equal Pay per Gesetz wäre die schlechteste Lösung, sagt Thomas Bäumer, der stellvertretende Vorsitzende und Verhandlungsführer des Bundesverbands der Personaldienstleister BAP. Es bleiben nur wenige Wochen, um einen Kompromiss zu finden. Eine schwierige Aufgabe. Aber Bäumer ist zuversichtlich. Nicht nur, dass sich die Tarifparteien einigen werden. Er glaubt, dass eine Vereinbarung mit der IG Metall Pilotfunktion haben wird. Andere Branchen werden nachziehen und nach dem Vorbild der Metallbranche Regelungen für die Zeitarbeit treffen.

    "Wir gehen fest davon aus, dass wir bei einem Ergebnis mit der IG Metall, dass dies Pilotcharakter hat und die Form haben wird, wo sich alle weiteren Einzelgewerkschaften anschließen werden."

    Die Forderung der IG Metall ist eindeutig. Gleiche Arbeit, gleiches Geld – also vollständige Gleichstellung, am besten vom ersten Tag an. Aber auch Verhandlungsführerin Helga Schwitzer ahnt, dass das nicht durchsetzbar sein wird.

    "Wir fordern, dass wir möglichst dicht drankommen. Dass die Differenz zum tatsächlichen Verdienst der Metallbeschäftigten möglichst gering bleibt. Zwischen 40 und 60 Prozent Zuschlag müssen wir auf jeden Fall erreichen."

    Wir brauchen den Branchenzuschlag von der ersten Einsatzstunde an, sagt Schwitzer. Genau das wollen die Arbeitgeber verhindern. Leiharbeiter brauchen eine Einarbeitungszeit, da müssen sie weniger verdienen, sagt der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Thomas Bäumer.

    "Ich denke, dass die Angleichung ab dem ersten Tag schon eine waghalsige Nummer ist, weil wir aufpassen müssen, dass wir Beschäftigungsbrücken für Menschen schaffen, die vorher arbeitslos gewesen sind oder andere Vermittlungshemmnisse haben. Die können wir nicht sofort so bezahlen wie den Stammmitarbeiter."

    Es läuft auf ein Stufenmodell hinaus: eine Angleichung der Entlohnung in mehreren Schritten. Wie groß die Abstände sein werden, ist die entscheidende Frage. Gewerkschaftsführerin Helga Schwitzer immerhin deutet an, wo für die Metaller die Schmerzgrenze liegt:

    "Wir wollen möglichst schnell den vollen Branchenzuschlag, aber sicher nicht schon nach drei Monaten. Das wird schwer. Aber sie muss auch unter einem Jahr liegen. Da lege ich mich mal fest."

    Wie weit die Arbeitgeber zu gehen bereit sind, ist unklar. Alte Ängste werden wieder sichtbar. Die Sorge, dass die Zeitarbeit zum Auslaufmodell wird, wenn die Löhne zu stark steigen und das Personal teurer wird.

    "Ich sehe da eine tiefe Bremsspur am Arbeitsmarkt. Dass Menschen, die über Zeitarbeit in Arbeit gefunden haben, diese Brücke zerstört wird, weil die deutsche Wirtschaft sich anders orientieren wird."

    Die Frage ist also: Sind BMW, Daimler oder Airbus bereit, künftig mehr für Zeitarbeiter zu bezahlen? Leiharbeit ist wichtig, sagt Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Nicht um Kosten zu sparen, nicht um die Löhne zu drücken. Flexibilität heißt das Zauberwort.

    Das BMW-Werk in Leipzig, die Fabrik der Zukunft. Kein grauer Industriebau, sondern ein Glaspalast mit sonnendurchfluteten Foyers, die mehr an ein Opernhaus erinnern als an Fließbandmontage und Dieselgeruch.

    Das Werk in Sachsen zählt zu den modernsten Autofabriken der Welt und ist auch ein Vorreiter in Sachen Flexibilität. BMW hat die Stammbelegschaft in Leipzig auf einen Kern reduziert, nur noch zwei Drittel der Beschäftigten sind direkt beim Münchener Autokonzern angestellt, der Rest kommt von Personaldienstleistern wie Adecco oder Randstad und kann bei Bedarf problemlos nach Hause geschickt werden, wie 2009, als auch bei BMW die Aufträge einbrachen. Alle Leihkräfte verloren damals ihren Job. Inzwischen laufen die Geschäfte wieder gut, der Konzern meldet Absatzrekorde – der Bedarf nach flexiblen Beschäftigten steigt. Inzwischen sind wieder mehr als 1000 Leihkräfte in Leipzig im Einsatz. Für Betriebsratschef Jens Köhler ist das ein Problem.

    "Bei BMW hat der unbefristete Einsatz von Leiharbeitern dazu geführt, dass eine zweite Belegschaft in den Betrieben aufgebaut wurde und weiter wird."

    Bislang scheint der Boom der Zeitarbeit in Deutschland ungebrochen. Die tiefe Rezession hat die Branche längst überwunden. Inzwischen arbeiten knapp eine Million Menschen bei Adecco, Randstad und Co. - fast 200.000 mehr als vor der Krise. Thomas Bäumer vom Bundesverband der Personaldienstleister ist dennoch skeptisch. Für ihn ist klar: Wie immer die Einigung in Sachen "Equal Pay" aussehen wird, Zeitarbeit wird teurer werden. Und das wird die Branche spüren.

    "Man muss sehen, wieweit das System von der deutschen Wirtschaft angenommen wird. Aber ich neige auch zu sagen: Die stürmischen Zeiten des Wachstums bei der Zeitarbeit neigen sich dem Ende zu."

    Es wird Anpassungsprozesse geben, sagt Bäumer. Heißt im Klartext: Die Unternehmen werden nach neuen Wegen suchen, um einfach und billig Personal zu rekrutieren. Das neue Zauberwort dafür heißt: Werkvertrag.

    Die Berliner Niederlassung von Kabel Deutschland. Betriebsrat Jürgen Swobodzinski steht vor einer weißen Brandschutztür, gleich neben seinem Büro. Swobodzinski ist ein besonnener Typ, keiner, der flammende Reden hält, kein Scharfmacher. Aber eine kleine Unverschämtheit hat er sich gegenüber der Geschäftsführung jetzt doch geleistet. Er zeigt auf den Zettel, der an der schweren Eisentür klebt:

    "Wir haben ein bisschen provokativ ein Schild angebracht. Auf dem steht: Hier ist Lohndumping angeordnet. Daneben steht, dass es eine Brandschutztür ist. Und diese Brandschutztür ist verschlossen."

    Hinter der weißen Brandschutztür wird gearbeitet. Dort sitzen Call-Agenten, die für Kabel Deutschland Störmeldungen entgegennehmen und bearbeiten. Sie sind aber nicht bei Kabel Deutschland angestellt, sondern beim Personaldienstleister Adecco. Der hat den gesamten Trakt hinter der Absperrung des Kabelnetzbetreibers angemietet, auch die Telefone und Computer. Für den Betriebsrat sind diese Räume tabu.

    "Wir haben keinen Zugang zu diesen Räumen. Man hat uns mal gesagt: Wenn wir da rein wollen, wäre das Hausfriedensbruch, weil wir da nichts zu suchen haben."

    Die Adecco-Leute zählen nicht zu den 50 Leihkräften, die seit Jahren in der Berliner Niederlassung arbeiten, sondern sind per Werkvertrag beschäftigt. Heißt vereinfacht gesagt: Kabel Deutschland hat einen Teil seines Callcenters ausgelagert. Der Grund sei klar, sagt Jürgen Swobodzinski:

    "Man versucht, Tarifverträge zu unterlaufen, Löhne zu drücken. In dem man sich externe Dienstleiter sucht. So geraten unsere Mitarbeiter auch unter Druck."

    Kabel Deutschland selbst hat sich zu den Vorwürfen nicht geäußert. Eine schriftliche Anfrage blieb unbeantwortet. Ähnliche Fälle werden auch aus dem Handel gemeldet. Einzelhandelsketten wie Netto oder Real setzen verstärkt auf Werkverträge, um nach Feierabend die Regale wieder auffüllen zu lassen. Bislang haben das überwiegend Leihkräfte gemacht. Und auch in der Autoindustrie macht das Modell Schule. Auch Akademiker sind betroffen. Zum Beispiel bei Audi in Ingolstadt.

    Der PS-Konzern in Ingolstadt hat ein fantastisches Jahr hinter sich, noch nie hat der Konzern so viele Autos verkauft, noch nie hat er soviel verdient. Das spüren auch die Beschäftigten, an die stattliche Jahresprämien ausgeschüttet wurden. Nadja Klöden dagegen ging leer aus. Sie organisiert den Ersatzteilvertrieb im Konzern, ist aber nicht bei Audi angestellt, sondern bei der Dienstleistungsfirma BFFT. Die 28-jährige Betriebswirtin verdient rund 40.000 Euro im Jahr, ein Drittel weniger als ihre Audi-Kollegen.

    "Ich gönne das meinen Kollegen auf jeden Fall, ich bin nicht eifersüchtig, aber selber wünscht man sich das natürlich auch. Vor allem, wenn man ja in der Firma arbeitet, für die gleiche Arbeit, dann wünscht (man) sich auch den gleichen Lohn."

    Noch erstaunlicher erscheint der Fall, über den das ARD-Magazin Monitor im Februar berichtet. Demnach soll der Elektro-Konzern Siemens im Nürnberger Lieferzentrum Leihkräfte auf die Straße gesetzt haben und anschließend auf Basis eines Werkvertrages wieder angeheuert haben. Siemens Betriebsrat Rainer Tomaschko.

    "Die Leute haben sich ein wenig verarscht gefühlt. Jetzt wäre gerade die Übernahme angestanden, und die 150 Leute hätten übernommen werden müssen. Und dann hat man sie halt outgesourct."

    Arbeitsrechtler halten das für eine gewagte Konstruktion. Werkverträge funktionieren nach anderen Spielregeln als Zeitarbeit, sagt der Münsteraner Jurist Peter Schüren.

    "Die Konstruktion klingt jedenfalls ziemlich windig. Wenn die erste Schicht mit eigenen Leuten gemacht wird und die zweite Schicht im Rahmen eines Werkvertrags, liegt die Vermutung nahe, dass es sich um einen Scheinwerkvertrag handelt. Also um illegale Arbeitnehmer. Dass kann man nur im Rahmen einer Betriebsprüfung der Sozialversicherung genau feststellen. Ich denke, dass die bei einer solchen Konstellation dringend angezeigt ist."

    Martin Kannegießer, den Chef der Metall-Arbeitgeber und selbst Unternehmer, sieht diese Debatten mit Unbehagen. Die Unternehmen müssten sich ständig verändern, das Kerngeschäft stärken, Randaktivitäten auslagern. Und dabei seien Werkverträge ein bewährtes und wichtiges Instrument. Man solle sie jetzt nicht kaputt reden, warnt er:

    "Ich beobachte zur Zeit mit einer gewissen Besorgnis, dass jetzt die Werkverträge zum nächsten Buhmann gemacht werden und man nicht erkennt, das Werkverträge eine uralte Geschichte haben. Und unsere Betriebe ja aus ganz anderen Gründen gezwungen sind, ihre Wertschöpfungsketten ständig anzugleichen. Wenn die deutsche Industrie das nicht gemacht hätte, wäre ein großer Teil nicht mehr hier."

    Die Debatte ist jedoch längst im Gang. Die Gewerkschaften wollen das Thema schon bald in den Mittelpunkt rücken, nach der Tarifrunde zur Leiharbeit. Und auch die Politik wird hellhörig. Beate Müller-Gemmeke von den Grünen fordert eine klare Trennlinie zwischen Werkverträgen und Zeitarbeit.

    "Ich sehe das Phänomen, dass durch Werkverträge die Löhne gesenkt werden. Dass man z.B. zu Unternehmen geht, die nicht tariflich gebunden sind – so ist man dann günstiger. Wenn es diese Tendenzen gibt, ist die Politik in der Pflicht zu handeln."

    Auch Arbeitsministerin Ursula von der Leyen verfolgt die Entwicklung aufmerksam, sieht aber vorerst keinen Handlungsbedarf. Die Spielregeln sind klar, sagt sie. Wir müssen nur dafür sorgen, dass sie auch eingehalten werden.

    "Bei den Werkverträgen sehe ich keine Lücke. Ich sehe nur die Schwierigkeit und Herausforderung, konsequent zu kontrollieren: Ist das ein Werkvertrag oder ist das verdeckt Leiharbeit, die da genutzt wird? Aber das ist keine Frage des Gesetzgebers, sondern der Zollbehörden da reinzugehen und mit Sanktionen dazwischenzugehen."