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Der Trick mit dem Tesafilm

Physik.- Es geht um Graphen, so viel ist bekannt. Aber was haben die beiden neuen Nobelpreisträger Andre Geim und Konstantin Novoselov eigentlich im Detail getan? Und vor allem wie?

Von Jan Lublinski | 05.10.2010
    Es war ein erstaunlich simples Experiment, das den beiden Physikern den Weg zum Nobelpreis ebnete: Sie nahmen einen Tesafilmstreifen und klebten ihn auf einen Grafit-Block. Dann zogen sie den Tesafilmstreifen wieder herunter. Auf dem Tesafilm befand sich eine sehr dünne Schicht aus Kohlenstoff, die immer dünner wurde, je öfter die beiden Physiker den Tesafilm auf andere Materialien aufklebten und wieder abzogen. Nach etwa 10 bis 20 mal Abziehen gelang es ihnen dann, einen Kohlenstofffilm herzustellen wie es dünner nicht geht: Graphen, das dünnste Material der Welt.

    "Stellen Sie sich ein Material vor, das hier auf diesem Tisch liegt, und das nur einen Angström dick ist, zehn hoch minus zehn Zentimeter, also so dick wie ein einzelnes Atom. Auch bei Raumtemperatur bleibt die Kristallstruktur immer erhalten. Es gibt nichts, was dieses extrem stabile Material beeinflussen könnte. Es ist unglaublich: Die Elektronen in diesem neuen Graphen fliegen Tausende von Atom-Abständen weit, ohne irgendetwas von der Umwelt dieser dünnen Schicht mitzubekommen."

    Andre Geim von der Universität Manchester, und mit 52 Jahren der ältere der beiden Preisträger. Gemeinsam mit seinem damals 29-jährigen Kollegen und ehemaligen Doktoranden Konstantin Novoselov fand er heraus, wie man nachweisen kann, dass es sich bei einer Probe tatsächlich um Graphen handelt.

    Die beiden legten das abgerissene Graphit-Material auf eine besondere Unterlage: Silizium-Oxid, das Standardmaterial der Halbleiterindustrie. Betrachteten sie das ganze dann unter dem Licht-Mikroskop, war ein regenbogenfarbenes Bild zu sehen, ähnlich wie wenn Öl auf Wasser schwimmt. Anhand dieser Farben konnten die beiden Physiker feststellen, ob es sich bei einer Probe wirklich um das neue Graphen handelte oder nicht. Außerdem konnten sie die besonderen elektronischen Eigenschaften dieser dünnen Schichten aus Kohlenstoff untersuchen.

    Dass ihnen dieser Coup gelungen war und dass dieses Graphen tatsächlich stabil blieb und sich nicht etwa zusammen rollte, das wollten den beiden zunächst niemand glauben. Große wissenschaftliche Zeitschriften wie "Nature" und "American Physics Letters" lehnten den ersten Fachaufsatz der beiden ab.

    Irgendwann akzeptierten dann, im Jahr 2004, die Gutachter des Fachblatts "Science" die Veröffentlichung. Es folgte ein gewaltiger Hype unter den Fachleuten: die Physikertagungen der folgenden Jahre hatten ein neues, großes Trend-Thema: Graphen. Die Wissenschaftler fanden neue Wege, wie man die ultradünnen Kohlenstoff-Filme herstellen kann, zum Beispiel indem man Grafit immer weiter auseinanderzieht oder indem man Kohlenstoff-Atome verdampft, so dass sie sich dann auf besonderen Schichten niederschlagen.

    Zuvor kannten die Physiker und Chemiker bereits andere Formen von Kohlenstoff-Materialien mit hauchdünner Oberfläche: zum einen die Bucky-Balls, die Fußbälle aus vielen kugelförmig angeordneten Kohlenstoff-Atomen. Und zum anderen die Nanotubes, winzige, lange Röhrchen, die aus einer dünnen Wand aus Kohlenstoff bestehen. Diese sind sehr stabil und reißfest und haben besondere elektronische Eigenschaften, die sie für den Bau von winzigen Transistoren geeignet erscheinen lassen. Doch dabei handelt es sich immer um sehr aufwendige Einzelanfertigungen. Beim Graphen hingegen wurde schnell klar, dass es sich auch für die industrielle Massenanfertigung eignet. Walt de Heer von der Technischen Hochschule in Georgia.

    "Ich glaube, dass dies eine Entwicklung mit einer großen Zukunft ist, weil sie tatsächlich planbar ist. Wir können inzwischen genau sagen, wie wir gezielt Graphenstrukturen herstellen können und wie wir diese Technologie weiterentwickeln werden. Mit Nanoröhrchen ist so etwas ganz und gar nicht möglich."

    Die Grundlagen dafür haben Andre Geim und Konstantin Novoselov mit ihren ersten Tesafilm-Experimenten gelegt. Aber auch in den Jahren danach waren sie führend, als es darum ging, die Eigenschaften des Graphens für verschiedene Anwendungen weiter zu erforschen.