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Deserteur-Denkmal
"Zurückhaltend, aber sehr präsent"

70 Jahre nach Kriegsende wird jetzt in Hamburg ein Gedenkort geschaffen, ein "Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz", wie es offiziell heißt. Eine elfköpfige Jury hatte sich im vergangenen Jahr für den Entwurf des Künstlers Volker Lang entschieden. Heute haben der Künstler und Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler über den Stand der Dinge informiert.

Kultursenatorin Barbara Kisseler im Gespräch mit Maja Ellmenreich | 10.07.2015
    Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler (rechts), die Staatsministerin und Vorsitzende des Welterbekomitees der UNESCO, Maria Böhmer und Hamburgs erster Bürgermeister Olaf Scholz posieren in Hamburg auf dem Chilehaus vor der Kulisse der Speicherstadt.
    Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler (rechts), die Staatsministerin und Vorsitzende des Welterbekomitees der UNESCO, Maria Böhmer und Hamburgs erster Bürgermeister Olaf Scholz posieren in Hamburg auf dem Chilehaus vor der Kulisse der Speicherstadt. (dpa / Daniel Bockwoldt)
    Maja Ellmenreich: "Der Soldat kann sterben, der Deserteur muss sterben." Dieser kompromisslosen Anweisung von Adolf Hitler wurde Folge geleistet. Allein in Hamburg sind während der NS-Zeit rund 300 Fahnenflüchtige umgebracht worden, aus welchem Grund auch immer sie ihrer vermeintlichen Pflicht fern geblieben waren: Sorge um die Familie, Sehnsucht nach der Geliebten oder die tiefe Überzeugung, im Dienste einer von Grund auf falschen Sache zu stehen. 70 Jahre nach Kriegsende wird jetzt in Hamburg zwischen Stephansplatz und Dammtor ein Gedenkort geschaffen, ein "Gedenkort für Deserteure und andere Opfer der NS-Militärjustiz", wie er offiziell heißt. Eine elfköpfige Jury hatte sich im vergangenen Jahr für den Entwurf des Künstlers Volker Lang entschieden und heute, kurz vor Baubeginn, hat er, gemeinsam mit Hamburgs Kultursenatorin Professor Barbara Kisseler, über den Stand der Dinge informiert. - Frage an Sie nach Hamburg, Frau Kisseler: Der Beginn der Bauarbeiten steht kurz bevor. Aber hinter Ihnen allen liegen jahrelange Diskussionen. Mit welchen Argumenten haben Sie Gegner dieser Gedenkstätte überzeugen können, die ja vielleicht behauptet haben, Vaterlandsverräter und Feiglinge verdienten keine solche Erinnerungsstätte?
    Barbara Kisseler: Ja, das war sicherlich zu Beginn eine Argumentation von gerade denjenigen, die mit einem solchen Deserteur-Denkmal sich nicht auseinandersetzen wollten, weil sie dabei ihre eigenen Sichtweisen auch hätten hinterfragen müssen, und ausgelöst war das Ganze auch durch das ziemlich monomentale bestehende 76er-Kriegerdenkmal von 1936, das die größten Diskussionen ausgelöst hat, weil es doch eine kriegsverherrlichende und Deserteure eigentlich herabwürdigende Aussage enthielt. Im Juni 2014 hat dann das Preisgericht entschieden, Volker Lang zu beauftragen, der mit seinem Entwurf zurückhaltend, aber sehr präsent und sehr klar eine Stellung zwischen diesen beiden vorhandenen Denkmälern behauptet, und das hat eigentlich alle Beteiligten überzeugt, auch diejenigen, die diese Erfahrung in ihrer persönlichen Biographie gemacht haben, wie zum Beispiel Ludwig Baumann, der Vorsitzende der Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz.
    Der Entwurf des Hamburger Künstlers Volker Lang für das Deserteur-Denkmal in Hamburg im Modell.
    Der Entwurf des Hamburger Künstlers Volker Lang für das Deserteur-Denkmal in Hamburg im Modell. (Axel Schröder)
    Ellmenreich: Das heißt, auf diesem Platz werden eines Tages drei Denkmäler stehen: eines aus dem Jahr 1936, dieser sogenannte Kriegsklotz, den Sie gerade schon angesprochen haben, dann aus den 80er-Jahren und jetzt dann noch ein neues aus dem 21. Jahrhundert. Ist das nicht zu viel? Muss man da nicht einen regelrechten Mahnmal-Parcours durchlaufen?
    Kisseler: ich glaube, das muss man deshalb nicht, weil es sich auf der Zeitleiste für Hamburger ja schon anders dargestellt hat. Dieser Kriegsklotz, der wirklich ganz furchtbar ist, der ist aber schon im Bewusstsein der Hamburger verankert, oder man nimmt ihn einfach als nicht angemessen zur Kenntnis. Jetzt durch diese eindeutige Aussage auch von Volker Lang kommt eigentlich die ganze Umbewertung dieses Themas endlich zum Tragen und auch mit dem, was neben der Skulptur, wenn ich das so sagen darf, noch dazukommt, die Zitat-Collage, die Audio-Installation. Dadurch wird eigentlich auch die politische Instrumentalisierung von Sprache, die wir ja alle kennen, als ein wesentliches Element in der Gewaltherrschaft wieder gespiegelt. Das, finde ich, ist einfach eine wirklich sehr, sehr überzeugende Aussage dieses neuen Denkmals.
    Politisches Zeichen für Zivilcourage
    Ellmenreich: Mit diesem neuen Denkmal soll ja ein wichtiges politisches Zeichen für Zivilcourage und Gerechtigkeit gesetzt werden, heißt es offiziell. Das klingt in meinen Ohren irgendwie auch abstrakt. Was wünschen Sie sich? Wie sollen die Hamburger mit diesem Ort umgehen, wenn er denn fertig gestaltet ist?
    Kisseler: Ich glaube, man muss gerade in einer Zeit, in der wir leben, in der an vielen Stellen der Welt quasi jeden Tag fast ein neuer Krieg ausbricht, auch noch mal anders über den Begriff des Deserteurs nachdenken. Wir haben die Anregung von Ludwig Baumann aufgegriffen, den Satz des Beschlusses des Deutschen Bundestages von 1997 mit zu berücksichtigen. Der Beschluss lautete: „Der Zweite Weltkrieg war ein Angriffs- und Vernichtungskrieg, ein vom nationalsozialistischen Deutschland verschuldetes Verbrechen." Das halte ich schon für eine zentrale Aussage und die wird aber nicht immer von jedem geteilt. Und auch das ist etwas, was in der Diskussion durch die Arbeit von Volker Lang befördert wird.
    Ellmenreich: Wird die Debatte jetzt beendet sein? Ist dann mit dem neuen Denkmal eine Leerstelle in Hamburgs Erinnerungskultur geschlossen?
    Kisseler: Auf den ersten Blick ist man geneigt zu sagen, ja, Gott sei Dank ist das so. Aber mir geht es nicht darum, dass jetzt der Satz des Films von Peter Lilienthal Wahrheit wird, es herrscht Ruhe im Land. Ich wünsche mir eine Diskussion und ich wünsche mir eine differenzierte Diskussion dazu, und der Ort, an dem wir das heute hier auch vorgestellt haben, der kann mehr sein als bloß ein unbewegliches Denkmal. Das kann ein Forum für Lesungen sein, für Versammlungen, für Formate jedenfalls, die sich gegen Krieg und Gewaltherrschaft wenden, ein im besten Sinne interaktiver Ort.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.