Sonntag, 12. Mai 2024

Archiv


Deutsch-schweizerische Offensive im Klassenzimmer

Ab dem Wintersemester 2007 bieten die Universität Konstanz und die Pädagogische Hochschule im Schweizer Kanton Thurgau eine gemeinsame Lehrerausbildung an. Aus Konstanz kommen die fachwissenschaftlichen Inhalte, die Nachbarn im Thurgau liefern das pädagogische Rüstzeug. Diese Form der deutsch-schweizerischen Kooperation ist bislang einzigartig.

Von Thomas Wagner | 02.11.2006
    Professor Ernst Preisig, Rektor der Pädagogische Hochschule Thurgau, hat eine große Leidenschaft: Er radelt gerne. Wenn er von seinem Dienstsitz, der Schweizer Grenzstadt Kreuzlingen, mal an die Uni Konstanz muss, braucht er nicht allzu lange in die Pedale treten.

    "Das ist mit dem Fahrrad vielleicht eine halbe Stunde. Die Universität Konstanz und die Pädagogische Hochschule, die liegen ja ungefähr, denke ich , zehn Kilometer auseinander. Wenn man das vergleicht mit einer Großstadt, dann sind die eigentlich in der selben Stadt, sehr nahe zusammen."

    Zwei Hochschulen, so nahe beieinander - da liegt eine enge Zusammenarbeit auf der Hand, selbst wenn der deutsch-schweizerische Grenzzaun dazwischen verläuft. Deshalb sollten auch jene 40 Lehramtsstudenten, die ab dem Wintersemester 2007 an der gemeinsamen deutsch-schweizerischen Lehrerausbildung teilnehmen, immer ihren Ausweis dabei haben. Das Projekt sieht vor: Die Uni Konstanz bietet die fachspezifische Ausbildung in insgesamt 17 Fächern an, angefangen bei Physik und Chemie bis hin zu Politik und Fremdsprachen. Die Pädagogische Hochschule Thurgau steuert die pädagogischen Inhalte bei. Das Ganze soll zum einen modular angeboten werden. Das heißt: Erst das Fachstudium in Konstanz, dann die pädagogische Ausbildung in der Nachbarstadt Kreuzlingen. Zum anderen sollen Studenten aber auch die Möglichkeit bekommen, Pädagogik-Vorlesungen in der Schweiz parallel zum Fachstudium in Konstanz zu hören. Dann ging's wirklich täglich über die Grenze. Am Ende steht der "Master of Advanced Studies in Secondary and Higher Education" - ein Abschluss, der selbst für Studenten aus Deutschland sofort die Lehrerlaubnis an Schweizerischen Berufsschulen und Gymnasien beinhaltet. Ernst Preisig:

    "Also ich kann mir vorstellen, dass deutsche Studierende, die Physik studiert haben oder Naturwissenschaften insgesamt, sofort eine Stelle finden in der Schweiz, ohne weitere Ausgleichsmaßnahmen."

    Für Absolventen der deutsch-schweizerischen Lehrerausbildung, die beispielsweise in Baden-Württemberg unterrichten wollen, ist es ein wenig schwieriger - ganz gleich, ob es sich um Schweizer oder deutsche Studierende handelt. Die bilateralen Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union sehen zwar grundsätzlich die gegenseitige Anerkennung der Lehramtsabschlüsse vor. Das schließt aber nicht aus, dass beispielsweise Baden-Württemberg so genannte "Ausgleichsmaßnahmen" einfordert.

    "Grundsätzlich bestehen die Ausgleichsmaßnahmen aus einer Eignungsprüfung. Man hat die eine Möglichkeit eine Eignungsprüfung zu absolvieren. Dazu muss man einige Wochen unterrichten. Oder man kann ein längeres Praktikum an einem baden-württembergischen Gymnasium machen und dann eine Lehrprobe abgeben."

    Eher unproblematisch gestaltet sich die fachliche Ausbildung an der Uni Konstanz auch für zukünftige Schweizer Lehrer: Zugegeben: Wer in Konstanz Geschichte studiert, wird sich ein wenig weniger mit Wilhelm Tell und ein wenig mehr mit Friedrich Barbarossa beschäftigen als an einer Schweizer Uni. Macht nichts, findet der Thurgauer Hochschulrektor Ernst Preisig:

    "Dazu kann man sagen, dass die Lerninhalte auch an den Schweizerischen Hochschulen nicht abgesprochen oder koordiniert sind. Da bringen die Studierenden ganz unterschiedliche Fachlerninhalte mit, wenn sie dann später unterrichten wollen. Das bedeutet, dass wir hier eventuelle Zusätze im Fachbereich liefern werden, damit sie dann auch in den Mittelschulen qualifiziert unterrichten können."

    Die Uni Konstanz verfolgt mit dem Projekt der gemeinsamen Lehrerausbildung vor allem ein Ziel: Attraktiver werden für Schweizer Studierende. Derzeit zählt die Uni über 10 000 Studentinnen und Studenten. Davon kommen nur rund 100 aus der Schweiz . Professor Gerhart von Graevnitz, Rektor der Uni Konstanz:

    "Die Schweiz ist Konstanzer Hinterland beziehungsweise wir sind Hinterland der Schweiz. Und seit der Gründung vor 40 Jahren gibt es den Auftrag, auch eine Universität für Schweizer Studierende zu werden. Und dafür ist das ein Riesenschritt."

    Im Kanton Thurgau wiederum sehen es die Verantwortlichen nicht ungern, wenn die Thurgauer Studierenden nach Konstanz zum Studieren gehen - ein Ziel, dem auch die neue deutsch-schweizerische Lehrerausbildung dient. Der Thurgau selbst verfügt über keine Uni. Zu dicht liegen die Eidgenössisch-Technische Hochschule Zürich und die Uni Zürich vor der Haustür. Mit der Uni Konstanz auf deutscher Seite ließe sich dazu, so der Thurgauer Regierungsrat Jakob Stark, ein Gegenwicht schaffen.

    "Es wäre schön, wir könnten eine reelle Konkurrenz aufbauen. Bis heute sehen wir, dass doch eine relativ kleine Schar Thurgauer Studentinnen und Studenten nach Konstanz geht. Und meine Bemühung ist, dass wir diese Aktivität erhöhen. Konkurrenz belebt. Das schadet dem Forschungs- und Hochschulstandort Zürich nicht. Das ist mehr eine sehr gute Ergänzung."

    Immerhin betreibt der Kanton Thurgau gemeinsam mit der Uni Konstanz und der Hochschule Konstanz bereits seit Jahren insgesamt vier An-Institute im bereich der Bio-, Wirtschafts- und Materialwissenschaften. Die gemeinsame deutsch-schweizerische Lehrerausbildung soll diese Verzahnung vertiefen.