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Diabetes Typ 2
US-Forscher kommen Ursache auf die Spur

Diabetes Typ 2 gilt heute als eine Zivilisationskrankheit. Sie wird gefördert durch Übergewicht, falsche Ernährung und wenig Bewegung. Die genauen Ursachen sind allerdings noch unklar. Doch nun sind US-Forscher auf eine möglicherweise revolutionäre Erklärung gestoßen.

Von Lucian Haas | 01.08.2017
    Eine Packung weißer Zucker (M), Würfelzucker (l) und brauner Rohzucker werden von einer Eisenkette samt Schloss zusammen gehalten.
    Zu viel Zucker kann Diabetes Typ 2 befördern. Die eigentliche Ursache könnte aber eine andere sein, wie US-Forscher jetzt herausgefunden haben. (imago/Thomas Eisenhuth)
    Der Neurologe Claudio Soto von der University of Texas erforscht seit Jahren die Grundlagen von Hirnkrankheiten wie Alzheimer und Parkinson. Dort spielen fehlgefaltete kleine Proteine, sogenannte Prionen, eine Rolle. Sie klumpen sich zusammen und zwingen dabei auch gesunden Proteinen ihre degenerierte Form auf. Sie wirken also gewissermaßen ansteckend. Einen vergleichbaren Mechanismus hat Claudio Soto gemeinsam mit Forscherkollegen jetzt bei einer ganz anderen Krankheit beobachtet: Diabetes Typ 2.
    "Es ist seit Jahren bekannt, dass ein Protein namens IAPP bei Patienten mit Diabetes Typ 2 Klumpen bildet, die sich in der Bauchspeicheldrüse ansammeln. Man findet sie bei fast allen Patienten mit Diabetes Typ 2. Und wir glauben, dass diese verklumpten Proteine die Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstören."
    Ein Verdacht kommt auf
    IAPP steht für Insel Amyloid Polypeptid. Ähnlich wie Insulin ist es ein Hormon, das den Stoffwechsel steuern hilft. Seine genaue Rolle ist allerdings nur wenig erforscht. Verklumptes IAPP, sogenanntes Amyloid, wurde bisher nur als Symptom eines Diabetes Typ 2 gewertet. Auf Basis seiner Erfahrung mit krank machenden Prionen und ähnlichen Proteinen bei Alzheimer und Parkinson kam Claudio Soto aber auf eine Idee: Könnte Amyloid bei Diabetes Typ 2 ebenfalls eine Art ansteckende Wirkung haben und damit zu einer Ursache der Krankheit werden? Ein Laborversuch mit Mäusen erhärtete seinen Verdacht.
    "Für das Experiment haben wir genetisch veränderte Mäuse genommen, die humanes IAPP produzieren. Den Tieren haben wir dann IAPP-Amyloid gespritzt, das von anderen Mäusen stammte, die bereits an Diabetes litten. Die Versuchstiere haben dann selbst schnell Diabetes entwickelt und weiteres Amyloid gebildet. Wir haben also gezeigt, dass IAPP – ganz ähnlich wie Prionen – die Krankheit übertragen und alle Symptome eines Diabetes in den Tieren auslösen kann."
    Für die Entstehung eines Diabetes Typ 2 hat Claudio Soto folgende Theorie: Anfangs entwickeln Patienten nur eine Insulinresistenz. Der Körper reagiert dann weniger auf Insulin, weshalb die Bauchspeicheldrüse immer mehr davon liefern muss. Die Produktion von Insulin und IAPP hängen allerdings zusammen. Deshalb steigert eine Insulinresistenz auch die IAPP-Konzentration in den Zellen der Bauchspeicheldrüse. Die IAPP-Moleküle beginnen dann zu verklumpen. Dieser Prozess wirkt wie ein Keim, der noch weiteres Verklumpen induziert. Schließlich gehen die insulin-produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse unter der toxischen Wirkung des Amyloids zugrunde. Dann ist der Diabetes Typ 2 voll entwickelt.
    "Wir müssen allerdings noch nachweisen, dass dieser Prozess mit übertragbarem IAPP-Amyloid so auch bei Menschen abläuft. Das zu erforschen wird schwierig, weil man dafür entsprechende Versuche an Menschen machen müsste. Wir planen deshalb als nächstes Experimente mit Primaten, die dem Menschen viel ähnlicher sind als Mäuse. Daneben stehen auch noch epidemiologische Studien an, um erkennen zu können, ob das Diabetes-Risiko in einer Population steigt, wenn sie potenziellen Quellen von Amyloid ausgesetzt sind."
    Ein wichtiger Schritt
    Sollte sich die krankmachende Rolle von IAPP-Amyloid bei Menschen mit Diabetes Typ 2 bestätigen lassen, müssten viele Mediziner hinsichtlich der Ursachen der Krankheit umdenken. Die schwedische Diabetes-Expertin Gunilla Westermark von der Universität Uppsala sieht in der Studie Claudio Sotos einen wichtigen Schritt.
    "Niemand hatte bislang belegt, dass Amyloid Diabetes auslösen kann. Doch genau das haben sie jetzt bei Mäusen gezeigt. Das halte ich für sehr wichtig. In der Diabetes-Forschung ist es noch populär, über andere periphere Ursachen zu reden. Aber ich glaube es ist tatsächlich so simpel, dass Amyloid eine fundamentale Ursache für Diabetes Typ 2 darstellt."
    Gunilla Westermark forscht selbst an der Rolle von IAPP bei Diabetes. Sie glaubt, dass die neuen Erkenntnisse weitreichende Folgen haben könnten. Es wäre möglich, dass Amyloid zum Beispiel bei Bluttransfusionen übertragen wird und so die Entwicklung eines Diabetes Typ 2 bei anderen Menschen auslösen oder beschleunigen könnten. Noch ist das nur eine Hypothese. Der Beweis am Menschen steht noch aus. Würde er gelingen, würde das viele weitere Fragen aufwerfen.