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Die Elegien von Muzot

Seine Grabstätte hat sich Rilke sorgsam ausgesucht. Sie liegt spektakulär in den Schweizer Alpen, schon von weitem erkennbar von den Zügen, die aus Deutschland ins Wallis kommen, auf einem Felsenhügel unterhalb der blitzweißen Burgkirche von Raron, einem kleinen Flecken im Rhone-Tal. Der Blick öffnet sich Richtung Genfer See auf der einen Seite, auf der anderen zu den Viertausendern um das Matterhorn.

Von Werner Bloch | 30.12.2006
    "Hier auf dem Friedhof wollte Rilke begraben sein. Du siehst diese zweigeteilte Gesellschaft, einmal der einfache Bauer, der hier begraben liegt, und dann hier an der Kirche die bessere Gesellschaft sich breit gemacht hat. Rilke wurde aber nicht hier begraben, sondern an der Südseite der Kirche."

    Rilke war nur zweimal kurz hier. Mit den Einheimischen hatte er kaum zu tun, und die wollten ihn in Raron auch gar nicht haben, erzählt Alfred Kalber-Matter, der als Heimatkundler viel über Rilke geforscht hat.

    "Weil man nicht wusste, ob er katholisch war, und früher hat man natürlich Leute nicht begraben, wenn man nicht wusste, ob er katholisch war. Wir haben ihn unter Mitnahme von 2000 Franken genommen."

    Rilke hatte zur christlichen Religion ein distanziertes Verhältnis, seine Mystik vertrug sich nicht mit christlichen Dogmen, An der Kirchenmauer nur der Name, das Familienwappen und die Lebensdaten sowie Rilkes Grabspruch: "O Rose, reiner Widerspruch Lust / Niemandes Schlaf zu sein unter so vielen Lidern."
    Es ist aber nicht nur die Poesie, die die Einwohner von Raron umtreibt. Man macht gern auch Geschäfte mit ihm. Unser Führer Kalber-Matter zum Beispiel verkauft einen lokalen Weißwein, einen sogenannten Fondant, als "Rilke-Wein", obwohl der Wein mit Rilke gar nichts zu tun hat.

    Respektvoller geht es einige Kilometer rhoneabwärts zu, in Sierre, einer Kleinstadt mit 11.000 Einwohnern, wo Rilke seine letzten Jahre verbracht hat. Hier gibt es ein Rilke-Museum und Rilke-Zentrum mit Konferenzen und Ausstellungen über Leben und Werk des Dichters. Der Leiter des Instituts, Curdin Ebneter:

    "Warum kam er ins Wallis? Er war auf der Suche nach einem abgelegenen Ort des Rückzugs. Er wollte nicht in der Stadt, Paris oder ähnliches,. bleiben, sondern er wollte die 1912 in Dueno begonnenen und in Paris und München fortgesetzten Duineser Elegien abschließen. Das war seine Aufgabe, seine Lebensaufgabe, die er sich selbst gestellt hatte, dazu bedurfte es der Stille, der Einkehr, der Abgeschiedenheit, das hoffte er hier zu finden."

    Rilke wollte noch einmal anknüpfen an seine beste Zeit, die Pariser Jahre. Dafür kam ihm das französischsprachige Wallis gerade recht. Er schrieb selbst französische Gedichte, die fantastische Bergwelt, die ihn umgab, beachtete er kaum.

    Auf Schloss Muzot, eigentlich ein mittelalterlicher Wohnturm, lebt Rilke inmitten eines Gartens mit vielen Blumen, züchtet Rosen und baut selbst Wein an. Er beklagt sich bitter, als die Ernte misslingt. Die Villa hat ihm der Industrielle Werner Reinhard zur Verfügung gestellt. Heute ist sie dem Publikum nicht mehr zugänglich, nur junge Künstler dürfen gelegentlich hier wohnen.

    "Hier kann ich Ihnen vielleicht zeigen, das war sein Schalzimmer auf dieser Seite, mit diesem Balkönchen, wo er die Morgensonne begrüßt hat oder sie ihn. Ganz oben im Stockwerk war sein Arbeitszimmer, sein Lehnstuhl, seine Bibliothek, sein Ofen, der häufig gestreikt hat, er nannte ihn auch seinen Jähzorn-Ofen. In diesem Raum sind die Dueneser Elegien in jenem berühmten Fieber 1922 vollendet worden, ebenfalls fast gleichzeitig die Sonette an Orpheus. Da sind auch seine Sonette an Valéry entstanden und sehr sehr viele Briefe."

    In den letzten Jahren erkrankt Rilke, begibt sich mehrfach in Sanatorien. Erst Wochen vor seinem Tod wird Leukämie diagnostiziert - wirkungsvolle Medikamente gab es damals nicht. Am 29. Dezember 1926 stirbt Rilke im Sanatorium von Valmont, oberhalb von Genf. Am 2. Januar wird er in Raron beigesetzt.

    Die Dorfbevölkerung kommt aus dem Staunen nicht heraus, dass die aus Deutschland anreisenden Trauergäste mit frischen Rosen zum Grab kamen - frische Rosen mitten im Winter.