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Die Essenstester

Die Lebensmittelindustrie macht sich die Vorlieben und Gepflogenheiten der Deutschen zunutze und bringt Fertigprodukte auf den Markt, die hochwertig aussehen, knapp kalkuliert sind und schnell zubereitet sind. Beratend zur Seite stehen der Industrie auch externe Kochexperten, wie die der Food Professionals Köhnen AG.

Von Klaus Deuse | 08.06.2012
    "Heute morgen um halb neun gab’s bei uns eine Filetpfanne mit roten Paprikaschoten und mit Schmand verfeinert. Sehr lecker."

    Schon so früh am Tag eine delikate Mahlzeit zuzubereiten und zu verzehren, das ist für Susanne Cremer beruflich nichts Außergewöhnliches. Schließlich gehört sie zum Team der Versuchsküche der Food Professionals Köhnen AG im westfälischen Sprockhövel. Der übrigens einzigen unabhängigen Versuchsküche in Deutschland. Und in dieser Küche werden an manchen Vormittagen die Pfannen nicht kalt:

    "Heute entwickeln wir verschiedene Fleischgerichte. Und zwar zum einen Rezepte für den Endverbraucher. Und zum anderen für eine Kooperation eines Kunden für Rezeptkarten. Die werden heute hier in der Küche nachgekocht. Das heißt: Wir müssen gucken, wie das Verhältnis von Fleisch zu Soße ist, müssen die verkosten mit sensorisch geschulten Personen, dann beurteilen und gegebenenfalls noch optimieren."

    Der Tagesplan an der Wandtafel liest sich wie die Belegungsübersicht für einen Operationssaal. Nur nicht so steril, sondern für den Besucher ausgesprochen delikat. Vom Roastbeef in Senfkruste bis zum mediterranen Bratentopf, den Heike Jackowski vorbereitet.

    "Das ist ein italienischer Braten mit einer Füllung aus Frischkäse, Parmesan und getrockneten Tomaten. Und ich hoffe, der wird sehr lecker."

    Auch wenn sie sich inzwischen aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen hat, schaut Unternehmensgründerin Friederun Köhnen ab und zu noch vorbei. Was in Millionen deutscher Haushalte auf den Teller kommt, das weiß kaum jemand besser als sie. Immerhin hat sie seit über 40 Jahren im Auftrag von Lebensmittelherstellern deren Produkte verkostet und aromatisch abgerundet – oder selbst Gerichte entwickelt. Im Anfang im Alleingang, als Ein-Frau-Unternehmen im Haus ihrer Eltern.

    "Da bin ich in den Keller gezogen. Dachte, ach, hier ist auch noch ein schöner Kellerraum. Dann hab ich da einfach einen Herd reingestellt. Und damit fing das Ganze an. Sonntags hatte ich eine Idee, montags hab ich Müllers Mühle angerufen."

    Einen der ersten Hersteller von Fertiggerichten in deutschen Landen. Dieser Anruf blieb nicht ohne Folgen. Die gelernte Hauswirtschafterin Friederun Köhnen gilt als die Mutter aller tellerfertigen Eintöpfe aus der Dose. Ob Bohne, Erbse oder Linse.

    "Diese Art von Hülsenfrüchten, das war meine erste Idee, werden in Dosen gepackt mit Suppengrün, um somit all das lästige Reinigen weg zu haben, das Einweichen weg zu haben Und somit fing ich eigentlich für Müllers Mühle an, die ersten Hülsenfrüchte aus der Dose zu machen."

    Neben der Produktentwicklung bietet das Unternehmen auch Marktforschung und Markenberatung an. Und da das Auge mit isst, befindet sich auch ein Fotostudio für Food-Styling unter dem Firmendach. Nach Einschätzung von Experten drängen auf dem Lebensmittelmarkt jeden Monat etwa 600 neue Produkte in die Supermarktregale und Kühltheken. Bei dem Ringen um Käufer kommt es für die Hersteller dabei auf kleinste Geschmacksnuancen an. Und die Food Professionals wissen aus Erfahrung, was den deutschen Gaumen kitzelt. Darum engagieren neben deutschen Lebensmittelherstellern auch Produzenten unter anderem aus Italien, Spanien, Frankreich und den USA die Geschmacksexperten von Unternehmensgründerin Köhnen:

    "Ich muss ganz ehrlich sagen: Ich war immer jemand, die den Massengeschmack und den Massenartikel mochte. Hummer und Kaviar, das hab ich den Sterneköchen überlassen und mich lieber hauswirtschaftlich um unsere Tageskost mit den Tagesmenüs und den Tageszutaten gekümmert."

    Nicht nur in der Versuchsküche. Ihre Kochbücher haben eine Auflage von über einer Million erreicht. Außerdem gehörte Friederun Köhnen vor mehr als 25 Jahren zu den ersten Köchinnen im deutschen Fernsehen, lange bevor geradezu eine Flut von Kochsendungen über die deutschen Mattscheiben schwappte. Verändert haben sich in den Jahren nicht nur die Arbeitsbedingungen, sondern auch die Ernährungsgewohnheiten der Deutschen:

    "Der Convenience-Grad geht immer weiter. Das heißt, der Endverbraucher will von montags bis freitags nicht länger als 25 Minuten, höchstens 30 Minuten zur Zubereitung der Speisen brauchen. Er hat keine Lust, sich stundenlang in die Küche zu stellen, zu kochen und irgendetwas zuzubereiten. Am Wochenende sieht es dann anders aus. Dann kommen meist die Hobbyköche in die Küche. Kochen wird zum Event, dann kommt erst mal der große Messerblock für 500 Euro raus und dann kommen die Nudelmaschinen raus und dann wird Kochen, ja, zum Freizeitvergnügen."

    Friederun Köhnen und ihr Team haben die Trends jeweils früh erkannt und die dafür erforderlichen Gerichte und Rezepte geliefert. Sowohl für das schnelle, aber schmackhafte Sattwerden als auch für die genussvolle Zubereitung von aufwendigen Menüs am heimischen Herd. Heute beschäftigt und ernährt das Familienunternehmen über 60 Mitarbeiter. Was übrigens nicht weiter wundert: fast nur Frauen. Für die gelernte Hauswirtschaftslehrerin erklärt sich die weibliche Dominanz schlicht aus den unterschiedlichen Talenten der Geschlechter in der Küche und der im Alltag abverlangten Kompetenz, eine Familie zu verköstigen:

    "Ein Mann braucht fünf Töpfe, um eine Suppe zu kochen. Eine Frau braucht einen Topf, um ein Gericht zu kochen."

    Aber es gibt männliche Ausnahmen. Inzwischen agiert der Sohn der Gründerin an der Spitze des Unternehmens, das sich beim jährlichen Umsatz in einem sättigenden Millionenbereich bewegt. Für ausländische Kunden geht es vor der Einführung ihrer Produkte auf dem deutschen Markt vor allem um die Abstimmung der Geschmacksnote. Und darauf kommt es, sagt Susanne Cremer aus der Versuchsküche, selbst bei Soßen an:

    "Zum Beispiel bei Tomatensoßen. Da ist der Geschmack sehr unterschiedlich. Die Engländer essen oftmals sehr, sehr süß. Die Holländer mit viel Curry, und die Deutschen mögen es insgesamt gerne fruchtiger. Also, da muss man schon gucken, das dem deutschen Geschmack dann anzupassen."

    Natürlich nicht nur Soßen. Auf ihre geschulten Geschmackssinne kann sich ein Profi wie Susanne Cremer auch bei jedem anderen Gericht verlassen, das auf ihren Test-Teller kommt.

    "Ich kann auch morgens um halb neun schon Heringe essen oder Schnitzel. Gar kein Problem!"