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Die Kunst des Reisens

"Denken ist schön, macht aber viel Arbeit." Karl Valentin möge diese Umdichtung seines berühmt gewordenen Satzes über die Kunst verzeihen. Aber wer die Bücher des jungen Erfolgsautors Alain de Botton liest, der gewinnt in der Tat einen Eindruck davon, wie schön Denken sein kann. Dass de Botton seinen Lesern dann auch noch durch einen leichten Erzählstil und eine klare Sprache die Denkarbeit erleichtert, das macht wohl einen Teil seines Erfolges aus.

Elke Biesel | 24.04.2002
    Noch nie hatte der heute 32 Jahre alte Schweizer mit festem Wohnsitz in England Angst vor großen Themen. "Versuch über die Liebe", "Wie Proust ihr Leben verändern kann", und "Trost der Philosophie" heißen seine bekanntesten Titel. Auch in seinem neuen Buch wendet sich de Botton wieder einem mythisch besetzten, literarischen Langzeitthema zu: der Kunst des Reisens. In neun Kapiteln denkt er mit Hilfe historischer Weggefährten darüber nach, wie und warum der Mensch reist und was es auf sich hat mit den verführerischen Glücksversprechen der Fremde:

    Ich glaube, wir haben zu allen Zeiten das Reisen mit dem Glück assoziiert. Es gibt zwei große romantische Fantasien darüber, was uns glücklich machen kann: die erste betrifft die Liebe, die zweite das Reisen. Auch wenn wir 12 verheerende Urlaube hinter und haben und 15 gescheiterte Liebesaffären, wir werden immer noch daran glauben, dabei glücklich zu werden. Das sind sehr, sehr starke Fantasien...

    Doch die eigenen, von bunten Bildern genährten Erwartungen stellen dem Reisenden Fallen. Während eines perfekten Sonnenaufgangs am weißen Strand von Barbados erlebt de Botton, dass eine ungetrübte Zufriedenheit, die er ob der Schönheit des Ortes erwartet hat, sich nur kurzzeitig einstellen will. Schnell holen ihn Gedanken und Ängste wieder ein - denn sein Ich ist mit ihm gereist. "Ich sollte eine unerwartete Kontinuität zwischen dem Melancholiker, der ich zu Hause gewesen war und der Person auf der Insel entdecken," schreibt de Botton, "eine Kontinuität die nicht recht passen wollte zur radikalen Diskontinuität von Landschaft und Klima."

    Doch immer wieder findet der reisende Autor über Kunst und Literatur seine Wege in fremde Landschaften:

    Die meisten Künstler malen Plätze oder schreiben über solche, die ihnen besonders gefallen und so werden wir sehr häufig von Kunstwerken inspiriert, irgendwo hin zu fahren ... Und oft wissen wir Dinge gar nicht zu schätzen bis ein Künstler uns die Augen öffnet, uns eine ästhetische Möglichkeit zeigt.

    Die Bilder van Goghs öffnen de Bottons Augen für die Farben Südfrankreichs und mit William Wordsworth entdeckt er die Natur des Lake District. Auch Charles Baudelaire und Alexander von Humboldt, Edward Hopper und John Ruskin gehören zu den Führern, die de Botton sich für sein neues Buch ausgewählt hat. Mit ihnen konfrontiert er sein eigenes Denken und Handeln:

    Es gibt nicht viele Autoren, die so schreiben, wie ich es gerne tue. Ich liebe es, andere Philosophen, Maler oder wen auch immer zu benutzen. Dabei möchte ich aber nicht auf eine akademische Weise über sie schreiben, das heißt ohne jede persönliche Note. Ich möchte mit anderen und durch die Hilfe von anderen denken.

    Seine Art zu schreiben, hat de Botton neben dem Erfolg auch Kritik eingebracht. Er vereinfache zu stark und nivelliere komplexe Themen auf Ratgeber-Niveau, sagen seine Kritiker. De Botton wehrt sich mit dem Hinweis, dass es sehr einfach sei, mysteriös und unverständlich zu sein:

    Wenn man etwas Interessantes zu sagen hat, dann sollte man auch in der Lage sein, es in einer einfachen Sprache zu sagen. Das ist meine feste Überzeugung. ... Wahrscheinlich habe ich einen idealen Leser im Kopf, der ein bisschen ungeduldig ist und der will, dass ich sage, was ich wirklich denke und er will, dass ich es klar ausdrücke. Ich bin so ein ungeduldiger Leser. Deshalb ist es mir sehr wichtig, beim Schreiben klar und logisch zu sein.

    Dass der Philosophie-Professor de Botton sich gegen eine akademische Sprache entschlossen hat, hängt wohl auch mit einer tiefer greifenden Kritik an seiner Disziplin zusammen. Die zeitgenössische Philosophie sei ebenso wie die Psychologie sehr stark von den Naturwissenschaften beeindruckt und das sei bisweilen ein Problem, sagt de Botton, denn viele der grundlegenden Fragen des Daseins könnten auf dieser Ebene nicht behandelt werden.

    De Bottons Favoriten in der Philosophen-Zunft sind denn auch keine Zeitgenossen, sondern Nietzsche und Schopen- hauer - auch aufgrund ihrer schönen Sprache, wie er betont. Überhaupt die "Schönheit" - mit diesem mysteriösen Begriff hat die "Kunst des Reisens" erst begonnen:

    Mein Ausgangspunkt war ein merkwürdiges Wort: die Schönheit. Ich interessierte mich für schöne Plätze und dafür, welche Wirkung sie auf uns ausüben. Denn es schien mir, dass wir genau das tun, wenn wir reisen: Wir suchen nach Schönheit und wollen erfahren, wie schöne Plätze uns verändern können.

    Deutschland hielt der weit gereiste Alain de Botton ursprünglich für ein ziemlich hässliches Land. Dass er seine Meinung inzwischen revidiert hat, hängt maßgeblich mit Wim Wenders Film "Alice in den Städten" zusammen. Der habe ihm die Augen für die "melancholische Schönheit" deutscher Industrielandschaften geöffnet, erinnert sich de Botton, der gerade eine Stippvisite in Wuppertal hinter sich hat. Gefahren ist er mit der Bahn, dem Verkehrsmittel, in dem er am besten denken kann und das den Reisenden an so magische Orte wie Bahnhöfe bringt:

    In einem Bahnhof kann man die Leben so vieler Menschen beobachten, jeder scheint alleine zu sein und alle sind auf dem Weg irgendwo hin. Es ist leicht, an diesen Orten melancholisch zu werden, aber gleichzeitig sind sie sehr interessant. ... aber falls sich jemand ein wenig traurig fühlt, empfehle ich ihm den Kölner Hauptbahnhof. Das ist ein wunderbarer Platz, um einen Tag dort zu verbringen.