Archiv

Die USA unter Trump
"Der Zerfall des Politischen setzt sich fort"

Hintergrund der Präsidentschaft von Donald Trump sei eine Entwicklung, die in den USA schon in den 90er-Jahren begonnen habe, sagte der Historiker Norbert Frei im DLF. Sein Vorgänger Barack Obama sei nur ein Intermezzo gewesen. Mit Trump setze sich der Zerfall des Politischen fort.

Norbert Frei im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    Der Historiker Norbert Frei auf der Leipziger Buchmesse 2008.
    Der Historiker Norbert Frei. (imago stock&people)
    Anja Reinhardt: Er gehörte zu den wichtigsten Historikern des 20. Jahrhunderts, letztes Jahr im Mai starb er mit 90 Jahren: Fritz Stern. Mit zwölf Jahren floh er mit seiner jüdischen Familie vor den Nazis, kehrte später aber immer wieder nach Deutschland zurück, auch um hier zu lehren, unter anderem an der Schiller Universität in Jena, wo er Gastprofessor war. Die Schiller Universität veranstaltet heute Fritz Stern zu Ehren ein Symposion in Berlin, wo unter anderem der Historiker Jürgen Osterhammel und der Sozialphilosoph Jürgen Habermas sprechen werden, außerdem Sterns ehemaliger Kollege, der Historiker Norbert Frei, mit dem wir vor dieser Sendung über das Symposion sprechen konnten, das frappierend aktuell ist, denn Fritz Stern hat noch letztes Jahr kurz vor seinem Tod sehr deutlich über Donald Trump gesprochen, von der, wie er sagte, Verdummung, die mit ihm einhergeht und davon, dass mit Trump die Macht des Geldes siegt.
    Ich habe Norbert Frei gefragt, was Fritz Stern, der ein halbes Jahr vor der US Wahl starb, wohl heute an diesem Tag zur Lage in den USA gesagt hätte.
    Norbert Frei: Ja. Ich glaube, er wäre so sprachlos wie viele andere und würde auf das tatsächlich verweisen, was er schon seit Jahren sagt, und das ist ja auch eine Entwicklung, die er in Amerika beobachtet hat. Ich denke, seine Unzufriedenheit mit der Entwicklung in den USA, die beginnt eigentlich schon in den 90ern und ganz sicher dann mit George W. Bush, Bush dem Jüngeren, den er ja ebenfalls auch schon als einen Radikalen im Unterschied zu einem wirklichen Konservativen charakterisiert hat, und es setzt sich mit diesem Intermezzo Barack Obama aus der Wahrnehmung eines Mannes wie Fritz Stern dieser Zerfall, kann man sagen, des Politischen fort.
    Reinhardt: Barack Obama als das letzte Aufbäumen einer Verfassung sozusagen, die für Freiheit, für Gleichheit steht?
    Obama war ein Präsident, in den "messianische Hoffnungen gesetzt worden waren"
    Frei: Ja. Aber auch natürlich als ein Präsident, in den so viele geradezu messianische Hoffnungen gesetzt worden waren - darüber habe ich mit ihm seinerzeit 2008 gesprochen -, dass er eigentlich von vornherein dazu verurteilt war, nicht alle diese Hoffnungen erfüllen zu können.
    Reinhardt: Nun heißt das Symposion, das heute stattfindet, "In Memoriam: Fritz Stern". Wird denn auch Donald Trump, das was Fritz Stern zu Amerika gesagt hat, auf dem Symposion ein Thema sein?
    Frei: Von unserer Planungsseite aus nicht, nicht in dem Sinne, dass wir jetzt explizit von uns aus gewissermaßen den Ausgang der amerikanischen Wahlen und die neue Situation kommentieren wollen. Aber ich kann mir angesichts der politischen Versammlung, die das ja auch ist, angesichts der vielen politisch nachdenklichen und wachen Geister, die da zusammenkommen, gar nicht vorstellen, dass es nicht zur Sprache kommen wird.
    Reinhardt: …, die sich ja auch teilweise wiederum sehr deutlich geäußert haben nicht nur zu dem, was in Amerika passiert, sondern auch zu dem, was in Europa passiert - Habermas zum Beispiel. Ist dieses Symposion, das heute veranstaltet wird, letztendlich doch der Versuch, mit dem historischen Blick zu begreifen, auf welchem Weg wir sozusagen sind?
    Der doppelte Blick auf die USA und auf Deutschland
    Frei: Ja, und da stehen wir ja in bester Tradition von dem, was Fritz Stern immer das Anliegen gewesen ist, Geschichte nicht um ihrer selbst willen zu studieren, sondern immer auch mit Blick auf die Fragen der Gegenwart. Das ist ja geradezu charakteristisch für ihn und das war ja auch dieser doppelte Blick auf die USA und auf Deutschland, und auf Europa, den er immer gehabt hat, und das zeichnet ihn aus und das wollen wir in diesem Geiste heute auch ein Stück fortführen.
    Reinhardt: Der Historiker hat ja auch die Aufgabe, Geschichte zu deuten. Er hat es eben nicht nur mit Fakten zu tun, sondern mit der Deutung von Fakten. Jetzt wird immer wieder auch auf die Weimarer Republik verwiesen, um zu schauen, wie da Entwicklungen stattgefunden haben, die heute vielleicht so ähnlich stattfinden. Wird darüber heute auch gesprochen?
    Frei: Das glaube ich ganz sicher, denn es ist, wie Sie sagen, in der Tat ja so, dass es mindestens äußerliche Parallelen gibt, die ganz frappierend sind, und es wird dann darauf ankommen, genauer hinzusehen und zu fragen, sind das tatsächlich auch in den politischen Grundlagen gewissermaßen unserer gegenwärtigen Situation Parallelen, oder müssen wir sagen, es sind insbesondere Formen, die sich ähneln, und Rhetoriken, die sich ähneln. Das wird sicherlich heute eine wichtige Frage sein, die wir diskutieren.
    "Analyse auf der Grundlage eines Wertefundaments"
    Reinhardt: In den letzten Jahren vor seinem Tod hat Fritz Stern auch immer wieder gewarnt davor, dass die Demokratie bedroht sei, dass die Freiheit bedroht sei. Ist es auch die Aufgabe eines Historikers zu zeigen, welchen Wert freiheitliche Verfassungen haben und auch die Verfassungen von 1776 in den USA, die Ideale der französischen Revolution?
    Frei: Das denke ich schon, dass wir auch eine Aufgabe haben, die gewissermaßen über die Wertneutralität der Betrachtung hinausgeht, sondern wir müssen einen Standpunkt einnehmen. Das jedenfalls war immer das klare Ziel von Fritz Stern und da hat er Mustergültiges geleistet. Und das ist natürlich auch heute wichtig, denn wie sonst könnte man denn als Historiker einen Beitrag zur Analyse der gegenwärtigen Situation leisten, wenn nicht auf der Grundlage eines Wertefundaments.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.