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Selbstverständnis der USA
"Der amerikanische Nationalismus ist widersprüchlich"

Ohne Einwanderung wären die USA als Land nicht möglich gewesen, sagte der Amerikanist Simon Wendt im DLF. Doch sei Einwanderung in der Geschichte des Landes immer wieder auch als Problem angesehen worden. Der amerikanische Nationalismus bewege sich "hin und her zwischen einem Staatsbürger-Nationalismus und einem ethnischen Nationalismus".

Simon Wendt im Gespräch mit Änne Seidel |
    Die Freiheitsstatue auf Liberty Island auf ihrem Sockel, im Hintergrund angedeutet die Skyline von New York
    Die Freiheitsstatue in New York - für viele Einwanderer jahrehundertelang Symbol für ein neues Leben. (dpa / Klaus Nowottnick)
    Änne Seidel: Was für ein Aufschrei! Der neue amerikanische Präsident verhängt einen Einreisestopp für Menschen aus sieben Ländern – Iran, Irak, Libyen, Somalia, Sudan, Syrien und Jemen. Und das ist nicht alles: Die Mauer an der Grenze zu Mexiko, auch mit der will Donald Trump jetzt ernst machen. Und die bestehenden Einwanderungsgesetze, die sollen in Zukunft so streng angewendet werden wie möglich.
    Die USA schotten sich ab. Und hierzulande reibt sich manch einer die Augen: Ausgerechnet die USA, das Land, das doch als DAS Einwanderungsland schlechthin gilt. Das Land, das als "Melting Pot" gilt, also als Schmelztiegel der Kulturen; das Land, in dessen kultureller DNA angeblich geschrieben steht: "Wir sind eine Einwanderernation!"
    Das alles passt irgendwie so gar nicht zu dem, was da zurzeit in den USA passiert – und diesen Widerspruch, den wollen wir zumindest mal versuchen, ein bisschen aufzudröseln. Gemeinsam mit Simon Wendt, Professor für Amerikanistik an der Universität in Frankfurt am Main. Herr Wendt, haben wir da irgendwas ganz und gar missverstanden – ist die Einwanderung womöglich doch gar nicht so wichtig für das Selbstverständnis der Amerikaner?
    "Der amerikanische Nationalismus ist widersprüchlich"
    Simon Wendt: Es kommt immer darauf an, wen man fragt, und es kommt darauf an, zu welchem Zeitpunkt man fragt. Natürlich ist die USA ein Land, das ohne Einwanderung gar nicht möglich gewesen wäre. Allerdings gibt es heute und auch in der Geschichte der USA immer wieder Momente, in denen eine Abschottung stattfindet beziehungsweise in denen die Einwanderung erschwert wird. Das heißt, der amerikanische Nationalismus ist widersprüchlich insofern, weil er sich immer wieder hin und her bewegt zwischen einem Staatsbürger-Nationalismus, in dem es darum geht, dass man einfach nur die politischen Werte des Landes akzeptieren soll, und einem ethnischen Nationalismus, in dem es tatsächlich um mehr geht, nämlich um eine gemeinsame Kultur, um eine gemeinsame ethnische Herkunft. Und diese letztere Form des Nationalismus ist doch immer wieder Teil des amerikanischen Verständnisses der Nation geworden und da geht es tatsächlich in erster Linie um weiße, alteingesessene Amerikaner, die sich fürchten vor dem Einfluss von nicht weißen beziehungsweise von als fremden angesehenen Einwanderern.
    Seidel: Das heißt, zurzeit kippt es dann wieder sehr in Richtung dieses ethnischen Nationalismus?
    Wendt: Richtig. Gerade natürlich die Befürworter von Donald Trump, die sich mehrheitlich aus der weißen Bevölkerung des Landes zusammensetzen, gerade diese Befürworter haben Angst vor Terrorismus, haben Angst vor dem Einfluss des Islam in den USA und sind deswegen überhaupt nicht so schockiert wie viele Deutsche oder auch Europäer, sondern befürworten vielmehr diese Abschottung, die allerdings ja tatsächlich für relativ wenige Menschen gilt. Es ist also in erster Linie eine symbolische Geste, die weder etwas am Bedrohungspotenzial ändert, noch die Einwanderung an sich sehr stark beeinflusst.
    Seidel: Dann lassen Sie uns doch vielleicht mal einen kurzen Blick zurückwerfen in die Geschichte. Wann gab es vielleicht auch früher schon mal Phasen, in denen die USA ihr Selbstverständnis als Einwanderernation zumindest eingeschränkt oder vielleicht sogar auch ganz über Bord geworfen haben?
    Wendt: Ja, es gibt eine Reihe von historischen Perioden, in denen die Einwanderung als Problem angesehen wurde. Im späten 19. Jahrhundert wurden vor allem Einwanderer aus Asien abgelehnt und dementsprechend wurde ein Gesetz verabschiedet, das diesen Einwanderern einen Riegel vorschob. Und dann im 20. Jahrhundert, in den 1920er-Jahren wurde eine sehr strikte Quotenregelung für Einwanderer verabschiedet, die verhindert, dass zum Beispiel Menschen aus Südosteuropa, die um 1900 mehrheitlich in die USA einwanderten, dass diese Gruppe auch ausgeschlossen wird. Und diese Quotenregelung gab es letztendlich bis in die 1960er-Jahre, als ein neues Gesetz verabschiedet wurde, das Quoten abschaffte und es viel mehr Einwanderern erlaubte, ins Land zu kommen.
    Das Phänomen mit Nativismus
    Seidel: Das heißt, diese gezielte Selektion der Einwanderer, die Donald Trump da jetzt ja auch gerade wieder vornimmt - Menschen aus besagten sieben Ländern, die dürfen nicht kommen, andere aber schon -, so was Ähnliches hat es früher auch schon gegeben?
    Wendt: Ja. Tatsächlich ist das nicht wirklich neu in der amerikanischen Geschichte und geht immer einher mit einem Phänomen, das man als Nativism, als Nativismus bezeichnet, eine Bewegung, die in erster Linie von diesen alteingesessenen, weißen Amerikanern getragen wird, die Angst haben, dass Einwanderer die "amerikanische" Kultur verunreinigen sozusagen und dazu führen, dass sich diese weißen Amerikaner fremd im eigenen Land fühlen.
    Seidel: Würden Sie zusammenfassend so weit gehen und sagen, dass die Idee der USA als Einwanderungsland, dass das vielleicht schon immer eher ein Mythos war als wirklich gelebte Wirklichkeit?
    Wendt: Es ist auf jeden Fall so, dass der Mythos teilweise stärker war als die Realität, die tatsächlich gelebt wurde. Die Idee dieses Einwanderungslandes war letztendlich das, was auch zur Größe des Landes geführt hat, allerdings immer mit Einschränkungen zu sehen, dass dieser Nativismus, von dem ich gesprochen habe, immer wieder seinen Kopf in die Höhe streckt in bestimmten Perioden der amerikanischen Geschichte. Insofern bleibt abzuwarten, ob das zu Auswirkungen führt, die man wie zum Beispiel im frühen 20. Jahrhundert gesehen hat. Es ist im Augenblick noch zu früh, das zu sagen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.