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Digitale Nachbarschaftshilfe
Posten statt klingeln

Im Stadtteil Hamburg-Eimsbüttel verabreden sich Leute zum Löcher-in-Wände-bohren, zum Waschmaschine-Tragen oder Fahrradreifen-Flicken - verabredet über eine App. Die "Do me a Favour"-App (deutsch: "Tu mir einen Gefallen") bringt Menschen zusammen, die entweder Hilfe suchen oder Hilfe bieten.

Von Axel Schröder | 30.04.2015
    Marion Heymann demonstriert in Hamburg in einer Musterwohnung einen frei programmierbaren Notrufschalter, über den Nachbarn oder ein Rettungsdienst informiert werden können, oder ein technischer Ablauf, wie das Öffnen eines Vorhanges, gestartet werden kann.
    Es fällt den Menschen offenbar leichter, etwas in einer App was zu posten als beim Nachbarn zu klingeln. (dpa / picture alliance / Markus Scholz)
    Till Tolkemitt blinzelt ins Sonnenlicht. Der junge Berliner Verleger sitzt auf einer Bank ganz in der Nähe der Hamburger Außenalster. Um seine Idee, die so gar nichts mit Büchern zu tun hat, zu präsentieren, zieht er sein Smartphone aus der Jeans, tippt auf die "Do me a Favour"-App, auf den "Tu-mir-einen-Gefallen-Knopf". Auf dem Handy öffnet sich eine Karte der Umgebung. Rote Blasen zeigen die Standorte von Menschen, die entweder Hilfe suchen oder Hilfe bieten:
    "Nette Familie sucht Wohnung", "Hilfe bei PC-Problemen", "Biete Tipps für Hamburg", "Auto-Scheiben-Tönen", "Biete Deutsch gegen Englisch". Oder hier – eine meiner Lieblings-Favours dieser Woche: "Im Porsche mitfahren!" Also es ist sehr, sehr unterschiedlich und allein das Durch-die-Liste-der-Favours-Gehen hat einen hohen Unterhaltungswert, finde ich!"
    700 Menschen registriert
    Ein Babysitter wird gesucht und Ratschläge für die vegane Küche. Im Stadtteil Hamburg-Eimsbüttel wurden vor sechs Wochen die ersten vierzig Testnutzer der App ausgestattet. Mittlerweile haben sich 700 Menschen registriert und verabreden sich zum Löcher-in-Wände-bohren, zum Waschmaschine-Tragen oder Fahrradreifen-Flicken. Nachbarschaftshilfe im digitalen Zeitalter.
    "Wir haben jetzt die Technologie, wo man ganz leicht mal um einen Gefallen bitten kann. Auch vielmehr Leute als die aus dem eigenen Haus. Und es fällt den Menschen ja anscheinend leichter, mal eben in einer App was zu posten als beim Nachbarn zu klingeln."
    Kosten- und werbefrei
    Entwickelt hat er die Idee zusammen mit seinem Kompagnon Axel Sven Springer, einem Enkel der Hamburger Verlegerlegende Axel Springer. Die Nutzung ist kosten- und - noch - werbefrei. – Ein erster Test: ich suche mit der App Menschen in Eimsbüttel, die mit mir über ihre Erfahrungen mit dem digitalen Nachbarschaftsdienst sprechen. - Suche: "Interviewpartner". Drei Stunden muss ich warten. Dann ploppt auf meinem Handy die Nachricht von Delphine auf: "Hallo, schieß gerne los mit den Fragen!" Wir verabreden uns. 17 Uhr. Eingang U-Bahn Hoheluftbrücke. Meine Interviewpartnerin kommt tatsächlich. Delphine ist 16 Jahre alt, wohnt ein paar Straßen weiter. Ein Interview im Stehcafé um die Ecke:
    "Also, wir haben uns jetzt hier gefunden, über diese tolle App. Seit wann machst Du das? Und was für Erfahrungen hast Du schon damit gemacht? Also, ich habe von der App vor einer Woche erfahren. Und habe sie dann auch gleich genutzt. Hab Leuten geholfen, einen Hausarzt zu finden. Oder ein schönes französisches Café. Und dann habe ich, weil ich nächste Woche einen Flohmarkt mache, nach Umzugskartons gesucht. Worauf sich auch gleich drei Leute gemeldet haben, die da mir gerne ihre Umzugskartons geben wollten. Und das war auch sehr erfolgreich. Die stehen jetzt nämlich bei mir zuhause."
    Und der Witz dabei ist, dass es unentgeltlich laufen soll, oder?
    "Genau. Ich habe für die Kartons auch nichts bezahlt. Aber dann sehe ich auch dann vermerkt, dass da so steht: "Wenn es tiefgründiger wird, mache ich das natürlich nur für Bezahlung". Das heißt, es ist schon eine gewisse Art an einer kostenlosen Leistung da. Aber es kommen auch wieder kleine, versteckte Sätze, wo dann steht: "Ich würde schon ganz gerne Geld dafür haben."
    Fünf Herzen für Nachbarschaftsdienst
    Und das könne ja nicht der Sinn der Sache sein, findet Delphine. So toll sie die App auch findet: ganz arglos sollte niemand mit den neuen Möglichkeiten. Immerhin könnte man dabei auch auf wildfremde Menschen treffen, die alles andere als Nachbarschaftshilfe im Hinterkopf haben.
    "Ich würde mich wenn, dann nur mit Leuten auf offener Straße treffen, um Sachen zu übergeben, et cetera. Aber nicht ins Treppenhaus und schon gar nicht in die Wohnung reingehen. Das ist ganz klar!"
    Aber schließlich, erzählt die Schülerin, gibt es ja auch ein Bewertungssystem für alle, die einen Gefallen tun oder Hilfe suchen. Und wer nett war zu seinen Mitmenschen, kann für einen Nachbarschaftsdienst fünf Herzen bekommen. Delphine bewerte ich ganz klar mit der Höchstzahl an Herzen. Und morgen Abend habe ich meinen ersten Einsatz: ganz in der Nähe werde ich bei wildfremden Menschen aus meinem Viertel drei Regale an die Wand dübeln.