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Drogenmafia, organisiertes Verbrechen und illegale Migranten

Mexiko wird seit Jahren von zunehmender Gewalt erschüttert. Denn die Drogenmafia, die in den 80er und 90er Jahren vor allem Kolumbien heimsuchte, hat hier im Vorfeld der Hauptkonsumenten in den USA ein neues Aufmarschgebiet gefunden. Die letzte Regierung des schwachen Präsidenten Fox hatte dem Treiben der Mafia allzu tatenlos zugesehen. Seinem Nachfolger, Felipe Calderón, fällt es nun schwer, den Moloch einzudämmen. Aber er hat durch Barack Obama einen neuen Alliierten erhalten.

Von Peter B. Schumann | 17.01.2009
    "Der Schusswechsel und die Verfolgung der Killer in einem Wohnviertel von Torreón dauerte vier Stunden. Während dieser erneuten Konfrontation unterzeichnete Präsident Calderón das "Gesetz über das nationale System für die öffentliche Sicherheit", das an diesem Freitag in Kraft tritt" - so berichtet Televisa. "Das Gesetz koordiniert die Sicherheitsapparate in den 32 Bundesstaaten mit denen der Bundesregierung. Es legt auch sehr viel härtere Strafen für Polizisten und Beamte fest, die mit dem organisierten Verbrechen zusammenarbeiten. Und es verordnet, dass sich künftig alle Polizisten auf Bundes-, Länder- und Gemeindeebene einer Vertrauensprüfung unterziehen müssen."

    Es ist der zweite Anlauf, den der mexikanische Staatspräsident unternimmt, um die unverminderte Gewalt durch das organisierte Verbrechen wirksam zu bekämpfen. Vor einem halben Jahr hatte eine nationale Sicherheitskonferenz mit allen verantwortlichen Gremien die Voraussetzungen hierfür geschaffen. Danach ging jedoch das Morden weiter. Insgesamt 5630 Menschen wurden 2008 auf teilweise bestialische Weise umgebracht, doppelt so viele wie im Jahr zuvor. Die meisten Opfer stammten zwar aus den Reihen der Mafia und waren eine Folge des erbitterten Kriegs um Marktanteile und Einflussgebiete der verschiedenen Kartelle. Aber es waren auch zahlreiche Polizisten, mehrere Bürgermeister und sogar Kinder darunter. Und allein in der ersten Woche des neuen Jahres hat die Gewalt wieder 63 Menschenleben gefordert, vor allem in Tijuana, der berüchtigten Grenzstadt zu den USA.

    "Das Problem reicht inzwischen über Mexico hinaus" - so der Reporter von Televisa. "Vertreter Mittel- und Südamerikas, selbst Argentiniens haben eine erhöhte Präsenz der mexikanischen Mafia festgestellt. Deshalb halten die mexikanischen Behörden eine globale Bekämpfung des Drogenhandels für dringend erforderlich, damit die Anstrengungen nicht scheitern."

    Global heißt vor allem: zusammen mit den USA. Denn über Mexico laufen die wichtigsten Routen des Drogenschmuggels zu der Masse der Konsumenten im Nachbarland. Washington hat zwar nicht tatenlos zugesehen, sondern die mexikanischen Behörden mit Geld, Gerät und Knowhow unterstützt, aber oft nur halbherzig. Gegen die 12.000 Waffenläden auf US-amerikanischer Seite wurde zum Beispiel nichts unternommen.

    Für politischen Zündstoff zwischen beiden Ländern sorgt jedoch nicht nur die Mafia, sondern auch das Problem der sogenannten indocumentados, der etwa sechs Millionen mexikanischer Wanderarbeiter ohne legalen Status in den USA. Den Hardlinern der Bush-Regierung fiel dazu nichts Besseres ein, als eine Mauer an ihrer Südgrenze zu errichten, um den illegalen Zustrom zu unterbinden. Deshalb hoffen die Mexikaner nun auf Barack Obama. Die Begegnung der Präsidenten beider Staaten im mexikanischen Kulturinstitut in Washington war von hohem symbolischem Wert. Denn Calderón war der einzige ausländische Regierungschef, den Obama vor seinem Amtsantritt offiziell getroffen hat. Dabei wurde zunächst das Thema Sicherheit angesprochen.

    "Je sicherer Mexico ist, um so sicherer sind auch die USA" - so Felipe Calderón. "Und deshalb wollen beide Regierungen internationale Probleme wie das organisierte Verbrechen, den Terrorismus und den Drogenhandel gemeinsam bekämpfen."

    Obama bestätigte dies und bot eine intensivierte strategische Allianz im Kampf gegen die Gewalt an.
    "Wir haben aber nicht nur über die Sicherheitslage gesprochen" - so Obama, "sondern auch darüber, was die USA bei der einvernehmlichen Lösung der Grenzprobleme und der Immigrationsfragen tun können. Wir haben über die Finanzkrise geredet und welche Auswirkungen sie auf die Wirtschaft beider Länder hat ... Wir haben über die gesamte Hemisphäre gesprochen und die Schlüsselrolle, die Mexico an unserer Südgrenze spielt."

    Konkrete Ergebnisse waren bei dieser ersten Begegnung nicht zu erwarten. Aber der künftige US-Präsident, der weder Mexico noch Lateinamerika aus eigener Anschauung kennt, hat die zentrale Bedeutung gewürdigt, die das traditionsreiche Nachbarland für den gesamten Kontinent besitzt.
    So gestärkt kann die mexikanische Regierung an die Aufarbeitung der inneren Existenzfragen gehen, und das ist vordringlich die Gewalt. Sie hat längst Teile des Staatsapparats infiltriert. Das beschreibt unter dem Pseudonym Tomás Borges ein Mitglied der polizeilichen Sondereinheit zur Verbrechensbekämpfung in seinem Buch Machiavelli für Narcos. Es bietet eine Innensicht der Drogenmafia und eine Auseinandersetzung mit der Regierungspolitik.

    "Wir bekämpfen die Drogenhändler noch immer so, wie es die Kolumbianer in den 80er Jahren getan haben" - meint der Autor. "Aber sie haben sich längst zu Viren entwickelt, die ständig mutieren und sich anzupassen verstehen. Das sind nicht mehr die Typen mit den Goldklunkern auf der Brust, sondern ganz diskrete Leute, die auch von ihren Killern verlangen, so unauffällig wie möglich zu erscheinen. Sie sehen aus wie gut gekleidete Angestellte."

    Tomás Borges hat jahrelang als verdeckter Ermittler gearbeitet und ist mit den Verhaltensweisen vertraut. Er kritisiert die Strategie der Regierung.

    "Es war ein voraussehbarer Fehler, dem Drogenhandel einfach den Krieg zu erklären, ohne die Verantwortlichen und ihre Hintermänner genau zu kennen. Man hätte vor allem als erstes ihre gesellschaftliche Basis zerschlagen müssen. Denn sie haben die Polizei weitreichend unterwandert. Wenn beispielsweise für eine neue Einheit öffentlich geworben wird, dann schicken sie ihre noch unbekannten Leute, damit sie aufgenommen und von der Polizei trainiert werden. Sie legen sogar Prüfungen ab, bilden schlafende Zellen und fangen dann irgendwann an zu operieren."

    Weil die Polizei jegliches Vertrauen verloren hat, begann die Regierung damit, das Militär zu mobilisieren und schickte 23.000 Mann gegen die sieben Kartelle und ihre organisatorischen Metastasen los. Diese Militarisierung des Landes wird inzwischen von vielen abgelehnt. Auch von Carmen Aristegui, einer der profiliertesten Journalistinnen Mexicos.

    "Felipe Calderón hat den Einsatz der Armee im Kampf gegen den Drogenhandel so stark ausgeweitet, dass sich die Spirale der Gewalt weiter gedreht hat und es heute Tausende von Morden, von Exekutionen gibt. Wir haben so viele Todesopfer wie in einem Krieg. Und das kann doch nicht die adäquate Strategie sein. Es müssen vielmehr die finanziellen Strukturen der Mafia zerschlagen werden und das Netzwerk, das sie bis hinein in die Politik und Polizei unterstützt."

    Doch außer der Säuberung des Polizeiapparats ist davon beim zweiten Anlauf der Regierung Calderón gegen das tägliche Morden der Drogenmafia bisher nichts zu erkennen.