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Ein Energiebündel unter permanenter Hochspannung

"Der allmächtige Gott weiß alles, aber Arthur Koestler weiß alles besser." Kein Geringerer als Albert Einstein ironisierte so einen Schriftsteller, der heute, um es mal salopp zu sagen, ein wenig aus der Mode gekommen ist. Dabei hätte dieser Arthur Koestler, dessen 100. Geburtstag im September des kommenden Jahres ansteht, auch den Zeitgenossen des 21. Jahrhunderts einiges zu sagen - etwa zum Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern oder zu den Problemen, die Genetik und Reproduktionsmedizin heraufbeschwören. Und auch für die Auseinandersetzung mit totalitären Ideologien ist der Autor des antistalinistischen Klassikers "Sonnenfinsternis" nicht der schlechteste Gewährsmann. Zu diesem Fazit führt jedenfalls die Lektüre von Christian Buckards Biographie: "Arthur Koestler. Ein extremes Leben. 1905 - 1983." Ein äußerst sorgfältig recherchiertes Buch, das mit vielfältigen Belegen die Vita eines anregenden, aber nicht durchweg sympathischen Intellektuellen nachzeichnet.

Von Wolfgang Stenke | 13.01.2005
    Mehr als sieben Jahrzehnte hat Arthur Koestler dieses Jahrhundert der Extreme durchmessen und dabei oft die Städte, Länder und Kontinente gewechselt - von Budapest nach Berlin, von Tel Aviv nach Paris, von Moskau nach Malaga - ein Irrwisch des internationalen Journalismus. Als Zionist, Parteigänger der Kommunisten, späterer Renegat und strammer Antikommunist schaffte der politische Schriftsteller es immer, alle Seiten gegen sich aufzubringen. Den Juden in der Diaspora war er ebenso ein Ärgernis wie den Apologeten der sowjetischen Politik. Und selbst der Freitod, den er 1983 als todkranker Mann gemeinsam mit seiner Frau Cynthia wählte, war für viele eine moralische Provokation. Der Doppelsuizid warf die Frage auf, ob der Befürworter eines selbst bestimmten Sterbens nicht die um 22 Jahre jüngere Gattin mitgerissen habe in einen allzu frühen Tod.

    Der Biograph Buckard präpariert vor allem die jüdischen (und zionistischen) Seiten dieser Vita heraus. Arthur Koestlers Eltern waren assimilierte Juden und nicht sonderlich religiös. Erst Anfang der 20er Jahre während der Wiener Studentenzeit, als Mitglied der schlagenden zionistischen Verbindung "Universitas", wurde dem jungen Mann in der Auseinandersetzung mit dem österreichischen Antisemitismus sein Judentum bewusst. Er brach das Maschinenbaustudium ab und ging wenig später als radikaler Zionist nach Palästina. Die Lehr- und Hungerjahre in Haifa und Tel Aviv zeigten ihm das Gesicht des "neuen jüdischen Menschen": In den hart arbeitenden Kibbuzniks sah Koestler das Gegenbild zu den Juden der Diaspora, denen er eine verachtenswerte Ghetto-Mentalität unterstellte. Ähnlich krass fiel auch sein Urteil über die Araber aus. Koestler hielt sie für "unberechenbar, unpolitisch, dumpf, kriegerisch, fanatisch, nomadenhaft". Er selbst war übrigens bei der Landarbeit im Kibbuz ein Versager. Aber journalistisch wurde Palästina sein Sprungbrett: Nachdem er sich monatelang mit knurrendem Magen durchgeschlagen hatte, machte ihn der renommierte Ullstein-Nachrichtendienst dank der Vermittlung eines Freundes zum Nahostkorrespondenten. Das war der Durchbruch. Koestler machte sich einen Namen als Reporter - ein Energiebündel unter permanenter Hochspannung, die nach Aussagen von Freunden für fünf gewöhnliche Menschen gereicht hätte.

    1931, nach einer Zwischenstation in Paris, entdeckt Koestler in Berlin den "wissenschaftlichen Sozialismus" als Leitidee der Moderne. Er tritt der KPD bei - eine erstaunliche Wendung, denn dem wohl informierten Journalisten dürfte nicht verborgen geblieben sein, dass in der Sowjetunion die Ausübung der jüdischen Religion und zionistische Aktivitäten verboten waren. Kaum ein Jahr später, während einer langen Reise durch die Sowjetunion beschleichen ihn erste Zweifel. Doch es dauert noch sechs Jahre, bis er im französischen Exil mit der Partei bricht. Dazwischen liegt die existentielle Grunderfahrung mit einer anderen Spielart des Totalitarismus: Während einer Reportage über den Spanischen Bürgerkrieg sammelt Koestler Beweise für die Unterstützung der Franquisten durch Mussolinis Faschisten und das nationalsozialistische Deutschland. Er wird verhaftet und zum Tode verurteilt, kommt erst aufgrund britischer Interventionen wieder frei. Die Zeit in der Todeszelle lehrt ihn, was permanente Angst und Unterdrückung in der menschlichen Psyche anrichten können. Fortan urteilte er milder über die Eigenschaften von Ghetto-Juden und anderen Menschen, denen er zuvor Sklavenmentalität bescheinigt hatte. Die Hafterfahrungen fließen auch ein in seinen Roman "Sonnenfinsternis", in dem der Autor Stalins Schauprozesse angeprangert hat. Das Buch machte ihn bis zum Hitler-Stalin-Pakt für viele ehemalige Genossen zur Unperson. Für manche Fellowtravellers sogar über den Tod hinaus.

    Nach der Absage an den Kommunismus - "Ein Gott, der keiner war" - blieb in Koestlers Leben und Werk der Zionismus als Konstante. Und die Auseinandersetzung mit den Totalitarismen jeglicher Couleur. Als Flüchtling und Lagerinsasse im deutschbesetzten Frankreich erhielt Koestler hier noch einmal Anschauungsunterricht. Nur mit knapper Not entkam er 1940 via Marseille und Casablanca nach England. Die ersten Nachrichten vom Massenmord an den europäischen Juden bestärkten Koestler in der Auffassung, dass die Gründung eines jüdischen Staates überlebensnotwendig sei. Für diese Sache hat er sich Zeit seines Lebens eingesetzt. Koestler-Biograph Buckard beschreibt dieses Engagement in allen Verästelungen. Zu knapp wird freilich die wissenschaftspublizistische Seite dieses Autors abgehandelt, der den Menschen als "Irrläufer der Evolution" beschrieb, nachdem er sich von seinen politischen Aktivitäten verabschiedet hatte. "Cassandra ist heiser geworden", befand der politische Kreuzritter Koestler Mitte der 50er Jahre und beschloss, sich vor allem psychologischen und evolutionsbiologischen Themen zu widmen. Mit Israel, seiner alten Liebe, hat er sich trotzdem weiter auseinandergesetzt. Auch auf skurrilen wissenschaftlichen Irrwegen, mit denen er die nichtjüdische Herkunft der europäischen Diaspora belegen wollte, um den Antisemiten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Und trotz Cassandras Heiserkeit erhob Koestler in Großbritannien noch einmal seine Stimme im Kampf gegen die Todesstrafe: Wie immer engagiert, oft jähzornig und ungerecht - ein europäischer Intellektueller in der Tradition Zolas. Für den sterilen Popjournalismus in den deutschen Feuilletons zu Beginn des 21. Jahrhunderts hätte er vermutlich nur ein müdes Lächeln gehabt.