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Einblicke in den modernen Krieg am Hindukusch

Sebastian Christ ist in Frankenberg aufgewachsen. In jender Stadt, in der diejenigen Bundeswehrsoldaten stationiert waren, die als erste deutsche Uniformträger im Afghanistankrieg starben. Nun hat er als "embedded journalist" Reportagen verfasst.

Von Daniel Blum | 05.12.2011
    Sebastian Christ ist ein heute dreißigjähriger Pressejournalist, der im Inland unter anderem für den "Spiegel" und die "Zeit" geschrieben und mehrere Auszeichnungen eingeheimst hatte - bis er sich ab Februar letzten Jahres dreimal von der Bundeswehr nach Afghanistan einladen ließ, für insgesamt acht Wochen. Im Nachwort seines Buches reflektiert er seine Arbeitsbedingungen als "eingebetteter Journalist":

    Ich habe diesen Krieg vor allem mit den Augen der ISAF-Truppen gesehen. Ich bin mir dieses Umstandes immer bewusst gewesen. Dennoch habe ich stets versucht, meine Unabhängigkeit als Autor zu wahren.

    Was ihm auch gelungen ist: Public Relations fürs Militär liefert Christ trotz aller Nähe zu den Soldaten nicht ab. Ein Beispiel: Der Journalist schildert, wie ihm im Feldlager befohlen wird, nach Einbruch der Nacht doch um Himmels willen die Verdunkelung einzuhalten, denn offenes Licht ziehe feindliche Raketen an. Am darauffolgenden Abend kommt hoher Besuch ins Lager, ein General, der einige der heimkehrenden Bundeswehrsoldaten mit Orden ehren möchte:

    Der General hatte gerade seine Rede beendet, als jemand das Flutlicht anschaltete. Auf einmal schlugen die Soldatenkörper lange Schatten, und die weißen Lichtkegel leuchteten die Fläche aus wie einen Fußballplatz. Der General konnte jetzt genau ablesen, wem er welchen Orden anheften durfte.

    Sebastian Christ hat versucht, aus seinem verführerisch bequemen Status als eingebetteter Journalist das Beste zu machen. So oft es ging, ist er aus dem goldenen Käfig hinausgestiegen, hat an Patrouillenfahrten der deutschen Soldaten teilgenommen, war Augenzeuge von Gefechten - und hat vor allem immer wieder das Gespräch gesucht, mit Bundeswehrangehörigen, aber auch mit Einheimischen. Was ihm die deutschen Soldaten erzählen, wirkt illusionslos; ihnen geht es nicht darum, in eine Mission für Menschenrechte und Demokratie zu ziehen, sondern ums nackte Überleben. Christ gibt wieder, was ihm ein hoher deutscher Offizier erzählt:

    Wenn die Amerikaner eines Tages hier abziehen, dann bricht hier das ganze Land zusammen. Ich möchte nicht der Letzte sein, der mit einem Hubschrauber vom Dach des Feldlagers ausgeflogen wird. Das wird unser Vietnam. Mag sein, dass wir Deutschen uns rechtzeitig retten können. Aber ich möchte nicht wissen, was mit den ein- oder zweihunderttausend Zivilangestellten passiert, die uns hier in den Jahren geholfen haben. Die werden ein schreckliches Ende nehmen. In Vietnam konnten sie sich noch aufs Wasser retten. Die Boatpeople. Aber Afghanistan hat noch nicht einmal einen Zugang zum Meer.

    Sebastian Christs Buch ist nun wirklich nicht das Erste zum deutschen Afghanistan-Abenteuer. Weiß er etwas Neues zu diesem Thema beizutragen? Nun, Politikwissenschaftler haben dazu schon komplexere und konkretere Analysen auf den Punkt gebracht, Bundeswehraussteiger authentischere Einblicke in den Alltag des Armeeapparats gewährt, gestandene Kriegsreporter aufregendere Frontabenteuer geschildert. Nein, inhaltlich weiß Christ nicht Neues zu liefern - in der Form aber durchaus. Der Journalist ist ein genauer Beobachter - und vor allem ein geduldiger. Statt hektische Bildfolgen zu liefern, friert er Augenblicke ein, lässt sie als Stillleben wirken. Von seinem afghanischen Übersetzer, einem Englischstudenten, den er "A." nennt, lässt sich der Deutsche an einem Ausflugstag dessen Heimatstadt Mazar-i-Scharif zeigen und dessen prachtvolle blaue Moschee - denn

    A. wollte uns die Ecken von Mazar zeigen, in denen Hoffnung zu erkennen war. Der Mullah bat uns zu sich in die Stube und bot uns Tee an. Er deutete auf einen bärtigen Mann neben sich. "Dies ist Mohammed. Er ist ein Taliban." Schweigen. Er blickte in unsere Gesichter. Dann prustete er vor Lachen los. "Nein, keine Sorge, Freunde. Er ist ganz bestimmt kein Taliban." Zu essen gab es getrocknete Aprikosen, aus denen man den Stein herauslutschen müsste. Zum Abschied umarmten wir uns. Danach fuhren wir in einen wunderschönen, kleinen Park. Vielleicht war dies nun der passende Zeitpunkt. Ich musste A. diese Frage stellen, weil ich sie seit dem Gespräch mit dem Offizier im Kopf hatte und sie mich zunehmend plagte. "A., was passiert eigentlich, wenn die NATO-Truppen wieder abziehen? Was geschieht mit Leuten wie dir, die ihr für die Deutschen arbeitet?

    Solche Fragen können Angst und Bange machen - aber nur ruhigen Zeitgenossen, die sich die Muße nehmen, darüber nachzudenken. Wer in Reportagebüchern nach emotional krachenden oder politisch skandalösen Stellen sucht, wird sich beim Lesen dieses Titels langweilen. Bewegend ist die Lektüre indes für Menschen, die zum Beispiel auch gerne ins Museum gehen, die statt des Lärms Stille und Konzentration suchen - nur dass bei diesem Buch kein unbelebtes Objekt im Schaukasten steht, sondern ein Krieg und dessen Teilnehmer. Zu dem zwangsläufig auch Zivilisten werden wie Christs Übersetzer, für den es eine Katastrophe wäre, wenn die Taliban wieder ans Ruder kämen:

    Sie werden dann wohl eines Tages vor meiner Haustür stehen und mich fragen, ob ich für die ISAF gearbeitet habe. Und ich kann ihnen dann nicht verschweigen, dass ich das drei Jahre meines Lebens getan habe. Es weiß schließlich jeder. Wahrscheinlich müssen wir dann das Land verlassen. Wir würden dann sicherlich die Deutschen um Hilfe bitten. Wir haben ihnen ja auch jahrelang geholfen. Es wäre doch sicherlich kein Problem, die deutsche Staatsbürgerschaft zu bekommen. Wir würden uns dann einfach in Deutschland niederlassen.

    Auf gerade mal zweihundert Seiten und in einer Vielzahl kurzer Kapitelchen reiht Sebastian Christ Momente aneinander, die er bei seinen kurzen Besuchen in Afghanistan beobachtet hat. Nicht als routinierter Frontberichterstatter, sondern als Gast an einem Schauplatz, der ihm letztlich fremd geblieben ist - und auf dem ihm dennoch einige eindringliche Beobachtungen gelungen sind.

    Sebastian Christ:
    Das Knurren der Panzer im Frühling. Ein Kriegsbericht aus Afghanistan. Pattloch, 224 Seiten, 16,99 Euro
    ISBN: 978-3-629-02301-8