Karin Fischer: Im Dezember 2006 hat man Hans Haacke in Deutschland zuletzt ausführlich gesehen: Die Hamburger Deichtorhallen und die Akademie der Künste in Berlin würdigten den Politkünstler mit einer Retrospektive. Davor und danach war es eher ruhig um Haacke, der im Jahr 2000 mit dem Werk "Der Bevölkerung" den Bundestag aufmischte und sich noch im Jahr 2008 mit der Stadt München um sein schon 1991 entstandenes Werk "Die Fahne hoch" streiten musste. Jetzt ist eine Retrospektive in der Reina Sofia in Madrid zu sehen. Paul Ingendaay, den Korrespondenten der "FAZ" vor Ort, habe ich gefragt, ob dieses latent, oder besser: dauerexplosive Potenzial den Kunstwerken auch in so geballter Form abzulesen sei?
Paul Ingendaay: Ich finde, ja. Es ist hier in Madrid die, wie man sagt, größte Retrospektive seines Werkes überhaupt. Und ein großes Werk - das größte der Ausstellung - wurde nur für Madrid geschaffen. Es ist eine Reaktion des Künstlers auf die Immobilienblase, die dann geplatzt ist. Und er ist also, inspiriert durch merkwürdige Ansichten von Skeletten von Gebäuden, liegen gebliebenen, abgebrochenen Bauvorhaben, in den Süden der Stadt gegangen und traf dort auf Straßen, die merkwürdigerweise nach Kunstrichtungen benannt waren: Straße der Konzeptkunst, Straße der Pop-Art, Straße der abstrakten Kunst. Und der krasse Gegensatz zwischen diesem hohen Ziel, nämlich künstlerische Straßennamen zu finden, und der tristen Realität, nämlich einer völlig verwahrlosten Bauruine, dieser Gegensatz hat ihn animiert, eine große Installation zu schaffen für Madrid, für das Reina Sofia. Und das wurde zusammengepackt mit der größten Retrospektive überhaupt, 40 Werke über viele Säle, darunter seine klassischen polemischen deutschen Werke, "Der Pralinenmeister" oder die Werke in New York, die ja geächtet wurden. Das Ganze ist wirklich eine große Hommage an den Künstler.
Fischer: Dann beschreiben Sie doch bitte, wie diese Installation aussieht!
Ingendaay: Das sind mehrere Säle, und ganz zentral ist ein 35 Meter langer Saal, wo auf der rechten Seite Videowände wiedergeben, wie ein, sag ich mal, ein Fußgänger oder ein langsam fahrendes Auto die Straßen entlangfährt. Und man hat diesen visuellen Eindruck der ewigen Wiederholung von leerem, toten Asphalt. Das ist auf der einen Seite. Auf der anderen Seite hängen 35 Meter Wäscheleine mit Fotos des Künstlers, er hat 2000 Fotos gemacht in diesem Baugebiet, und das kontrastiert damit, das ist der Anblick dieser Ruine. Und dann gibt es einen weiteren Saal, wo Haacke im Katasteramt war, er hat sich dokumentiert mithilfe von Spaniern, und da ist dann zu sehen, dass diese Gebäude und die Wohnungen großenteils an die Banken zurückgefallen sind, weil die Leute nicht zahlen konnten. Sodass wir also hier sowohl eine ökonomische wie kulturelle wie urbanistische Wüste haben. Und das ist im Grunde, wie ich finde, die beste Zusammenfassung von dem, was Spanien im Augenblick durchleidet. Nämlich eine Krise, in der der Mensch verschwindet und nur die große Bauruine bleibt.
Fischer: Haacke lebt seit 1965 in New York. Wir in Deutschland kennen ihn vor allem mit seinen kritischen Bezügen zur deutschen Geschichte, aber symptomatisch war ja 1971 die Absage einer Haacke-Ausstellung im Guggenheim-Museum aus Angst vor Klagen der Sponsoren gegen diese Ausstellung. Wie geht Haacke denn in jüngerer Zeit mit der jüngeren amerikanischen Geschichte um? Ist da was zu sehen?
Ingendaay: Ja, es ist genau dieses Werk, auf das Sie gerade anspielen, auch zu sehen. Und ich finde, dass es im Museumskontext, in einem Land, in dem er nichts zu befürchten hat, fast etwas Klassisches annimmt. Es geht natürlich auch um die Immobilienspekulation und er hat mir auch klar gesagt, ich könnte diese Ausstellung weder in New York, noch in Köln, noch in Paris machen, nur in Madrid, weil der Direktor des Museums hier seit vielen Jahren ein Fan ist und ihn animiert hat, einmal sein Werk zusammenzufassen. Im Museumskontext erkennt man jetzt viel klarer, dass die Polemiken, die Aufgeregtheiten und die Skandale eigentlich auf die Verursacher zurückfallen und nicht auf den Künstler. Das Werk altert nicht, ich meine sogar, es hat sehr grandios recht behalten, weil die gegenwärtigen Jahre uns zeigen, dass Haacke mit seinen Intuitionen immer richtig lag. Er hat ja die Zusammenhänge zwischen Kunst und Kommerz immer sehr klar aufgezeigt. Für mich ist diese Schau eine große Genugtuung natürlich für ihn, aber auch ein Ins-Recht-Setzen seiner Arbeit.
Fischer: Sie haben das gesagt, Paul Ingendaay, es geht bei Haacke ja fast immer um auch den kulturindustriellen Komplex, also genau diese Verflechtungen von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Und was Sie beschreiben, das klingt fast, als ob seine Kunst prophetische Züge hätte. Was kann man dafür noch als Beispiel geben?
Ingendaay: Hier in Madrid ist außer dem "Pralinenmeister", der ja auf Peter Ludwig und seine Sammlung und die Vergangenheit dieser Sammlung Bezug nimmt, noch der Drucker, der unendliche Nachrichten ausspuckt, zu sehen, also ein Kommentar über die permanente Informationsüberflutung, bis der ganze Raum voller Druckerpapier steckt. Dann gibt es natürlich die Immobilienspekulation in Manhattan, dann gibt es die Marlboro-Parodie, die "Helmsboro" heißt. Und dieses Kunstwerk hat sogar, wie ich finde, sehr gut in Jesse Helms selber überlebt. Denn natürlich ist die Kunst dauerhafter als ein Politiker, der Wirbel macht. Helms steht ja heute auch gar nicht mehr besonders gut da.
Dann gibt es noch diese wunderbare Installation des Grases, das er hier pflanzt. Das hat er in mehreren Museen schon getan und kontrastiert ses mit einer großen Fotografie von 1970 in Südspanien am Strand, wo er einen Müllberg gebaut hat. Hier haben wir also doch verschiedene Anliegen: ökologische, ökonomische Zusammenhänge und natürlich immer wieder die Frage: Muss Kunst nicht auf die Straße gehen? Ich finde diese Schau deshalb so anregend, so vital, ohne diesen Skandal, der ja oft abgelenkt hat von der formalen Schönheit der Werke.
Fischer: Paul Ingendaay war das über die große Hans-Haacke-Retrospektive in der Reina Sofia in Madrid.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Paul Ingendaay: Ich finde, ja. Es ist hier in Madrid die, wie man sagt, größte Retrospektive seines Werkes überhaupt. Und ein großes Werk - das größte der Ausstellung - wurde nur für Madrid geschaffen. Es ist eine Reaktion des Künstlers auf die Immobilienblase, die dann geplatzt ist. Und er ist also, inspiriert durch merkwürdige Ansichten von Skeletten von Gebäuden, liegen gebliebenen, abgebrochenen Bauvorhaben, in den Süden der Stadt gegangen und traf dort auf Straßen, die merkwürdigerweise nach Kunstrichtungen benannt waren: Straße der Konzeptkunst, Straße der Pop-Art, Straße der abstrakten Kunst. Und der krasse Gegensatz zwischen diesem hohen Ziel, nämlich künstlerische Straßennamen zu finden, und der tristen Realität, nämlich einer völlig verwahrlosten Bauruine, dieser Gegensatz hat ihn animiert, eine große Installation zu schaffen für Madrid, für das Reina Sofia. Und das wurde zusammengepackt mit der größten Retrospektive überhaupt, 40 Werke über viele Säle, darunter seine klassischen polemischen deutschen Werke, "Der Pralinenmeister" oder die Werke in New York, die ja geächtet wurden. Das Ganze ist wirklich eine große Hommage an den Künstler.
Fischer: Dann beschreiben Sie doch bitte, wie diese Installation aussieht!
Ingendaay: Das sind mehrere Säle, und ganz zentral ist ein 35 Meter langer Saal, wo auf der rechten Seite Videowände wiedergeben, wie ein, sag ich mal, ein Fußgänger oder ein langsam fahrendes Auto die Straßen entlangfährt. Und man hat diesen visuellen Eindruck der ewigen Wiederholung von leerem, toten Asphalt. Das ist auf der einen Seite. Auf der anderen Seite hängen 35 Meter Wäscheleine mit Fotos des Künstlers, er hat 2000 Fotos gemacht in diesem Baugebiet, und das kontrastiert damit, das ist der Anblick dieser Ruine. Und dann gibt es einen weiteren Saal, wo Haacke im Katasteramt war, er hat sich dokumentiert mithilfe von Spaniern, und da ist dann zu sehen, dass diese Gebäude und die Wohnungen großenteils an die Banken zurückgefallen sind, weil die Leute nicht zahlen konnten. Sodass wir also hier sowohl eine ökonomische wie kulturelle wie urbanistische Wüste haben. Und das ist im Grunde, wie ich finde, die beste Zusammenfassung von dem, was Spanien im Augenblick durchleidet. Nämlich eine Krise, in der der Mensch verschwindet und nur die große Bauruine bleibt.
Fischer: Haacke lebt seit 1965 in New York. Wir in Deutschland kennen ihn vor allem mit seinen kritischen Bezügen zur deutschen Geschichte, aber symptomatisch war ja 1971 die Absage einer Haacke-Ausstellung im Guggenheim-Museum aus Angst vor Klagen der Sponsoren gegen diese Ausstellung. Wie geht Haacke denn in jüngerer Zeit mit der jüngeren amerikanischen Geschichte um? Ist da was zu sehen?
Ingendaay: Ja, es ist genau dieses Werk, auf das Sie gerade anspielen, auch zu sehen. Und ich finde, dass es im Museumskontext, in einem Land, in dem er nichts zu befürchten hat, fast etwas Klassisches annimmt. Es geht natürlich auch um die Immobilienspekulation und er hat mir auch klar gesagt, ich könnte diese Ausstellung weder in New York, noch in Köln, noch in Paris machen, nur in Madrid, weil der Direktor des Museums hier seit vielen Jahren ein Fan ist und ihn animiert hat, einmal sein Werk zusammenzufassen. Im Museumskontext erkennt man jetzt viel klarer, dass die Polemiken, die Aufgeregtheiten und die Skandale eigentlich auf die Verursacher zurückfallen und nicht auf den Künstler. Das Werk altert nicht, ich meine sogar, es hat sehr grandios recht behalten, weil die gegenwärtigen Jahre uns zeigen, dass Haacke mit seinen Intuitionen immer richtig lag. Er hat ja die Zusammenhänge zwischen Kunst und Kommerz immer sehr klar aufgezeigt. Für mich ist diese Schau eine große Genugtuung natürlich für ihn, aber auch ein Ins-Recht-Setzen seiner Arbeit.
Fischer: Sie haben das gesagt, Paul Ingendaay, es geht bei Haacke ja fast immer um auch den kulturindustriellen Komplex, also genau diese Verflechtungen von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft. Und was Sie beschreiben, das klingt fast, als ob seine Kunst prophetische Züge hätte. Was kann man dafür noch als Beispiel geben?
Ingendaay: Hier in Madrid ist außer dem "Pralinenmeister", der ja auf Peter Ludwig und seine Sammlung und die Vergangenheit dieser Sammlung Bezug nimmt, noch der Drucker, der unendliche Nachrichten ausspuckt, zu sehen, also ein Kommentar über die permanente Informationsüberflutung, bis der ganze Raum voller Druckerpapier steckt. Dann gibt es natürlich die Immobilienspekulation in Manhattan, dann gibt es die Marlboro-Parodie, die "Helmsboro" heißt. Und dieses Kunstwerk hat sogar, wie ich finde, sehr gut in Jesse Helms selber überlebt. Denn natürlich ist die Kunst dauerhafter als ein Politiker, der Wirbel macht. Helms steht ja heute auch gar nicht mehr besonders gut da.
Dann gibt es noch diese wunderbare Installation des Grases, das er hier pflanzt. Das hat er in mehreren Museen schon getan und kontrastiert ses mit einer großen Fotografie von 1970 in Südspanien am Strand, wo er einen Müllberg gebaut hat. Hier haben wir also doch verschiedene Anliegen: ökologische, ökonomische Zusammenhänge und natürlich immer wieder die Frage: Muss Kunst nicht auf die Straße gehen? Ich finde diese Schau deshalb so anregend, so vital, ohne diesen Skandal, der ja oft abgelenkt hat von der formalen Schönheit der Werke.
Fischer: Paul Ingendaay war das über die große Hans-Haacke-Retrospektive in der Reina Sofia in Madrid.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.