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Endstation Sehnsucht

Die Ukraine gilt innerhalb der EU als einer der wichtigsten Partner, weist das Land doch mehr als 1000 Kilometer Grenze zur EU auf. Den Schutz ihres Schengen-Raums lassen sich die Europäer einiges kosten: Allein 30 Millionen Euro stellte die EU der Ukraine für die Errichtung von Flüchtlingslagern zur Verfügung.

Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster | 27.11.2009
    Ein gelbgraues Haus, vier Stockwerke, direkt hinter dem Bahnhof der ukrainischen Kleinstadt Mukachevo, unweit der ungarischen Grenze. Drei Teenager lümmeln auf einer Bank vor dem Eingang, rauchen...

    "Somalia, afghanistanice, palesticne..."

    Da oben wohnen Somalier, Afghanen und Palästinenser, sagen sie: "Die dürfen nicht raus". Und deuten auf eine Fensterreihe im vierten Stock. Dort tauchen ein paar dunkelhäutige Gesichter auf. Blicken nach unten...

    Ein Fenster öffnet sich. "Was wollen sie hier?", ruft eine stämmige Ukrainerin: "Hier darf man nur mit Genehmigung der Grenzbehörden rein".

    Eine schwere graue Metalltür versperrt den Weg nach oben. Daran hängt ein gelber Zettel. Mit der Aufschrift "Project Capacity Building and Migration Management" - daneben die EU-Flagge. Rund 30 Millionen Euro hat die EU bereitgestellt, damit die Ukraine auf ihrem Gebiet neue Lager für Migranten errichtet. Für all diejenigen, die auf ihrem Weg in die Europäische Union beim illegalen Grenzübertritt gefasst werden.

    "Die Hilfeleistung, die die Ukraine von der EU bekommt, besteht darin, dass die Grenzbeamten Schulungen bekommen und die Grenze ausgebaut wird. Und die Ukraine bekommt Gelder, um Lager zu bauen."

    Sagt Irene Fedorovych, vom Social Action Center aus Kiew. Die Nichtregierungsorganisation unterstützt Flüchtlinge in der Ukraine. Seit den 90er-Jahren läuft durch den Staat eine der Hauptmigrationsrouten Richtung EU. Vor allem aus Afrika, Afghanistan, Pakistan, dem Irak aber auch den ehemaligen Sowjetrepubliken drängen Menschen Richtung Westen. Tausende werden jedes Jahr an den Grenzen festgenommen. Vor allem in Transkarpatien, wo die Ukraine an die Slowakei, Ungarn und Polen grenzt:

    "Auch wenn der Migrant an der Grenze geschnappt wird und in ein Lager für Menschen ohne Papiere gebracht wird, hat er das Recht in diesem Lager einen Asylantrag zu stellen und der Staat ist verpflichtet diesen Antrag anzunehmen. So jedenfalls ist es in der Theorie."

    Während der Prüfung auf Asyl erhält der Antragsteller keinerlei soziale oder rechtliche Unterstützung vom Staat. Die Chancen als Asylbewerber anerkannt zu werden sind gering:

    "In der Praxis sieht es so aus, dass 97 bis 98 Prozent der Anträge negativ beschieden werden. Es ist längst gängige Praxis, dass die Flüchtlinge durch alle Instanzen abgelehnt werden."

    Während Bürger der ehemaligen Sowjetrepubliken ausgewiesen werden, bleiben die meisten anderen Migranten im Land. Der Ukraine fehlen die Mittel für eine Abschiebung. Bis zu 500.000 Illegale leben zurzeit in der Ukraine, schätzt die IOM, die International Organisation for Migration. Demnächst werden diese Zahlen weiter ansteigen, glaubt Irene Federovych. Denn am 1. Januar 2010 tritt das sogenannte Readmission-Abkommen mit der EU in Kraft. Dann kann die Europäische Union abgelehnte Asylbewerber und illegale Migranten in die Ukraine zurückschieben:

    "Es geht darum: wenn in der EU Migranten aufgegriffen werden, die kein Visum oder keine Dokumente haben, denen man aber nachweisen kann, dass sie über die Ukraine eingereist sind, werden diese Leute in die Ukraine zurückgeschoben. Dann kann die Ukraine selbst entscheiden, was sie mit ihnen macht: Ob die weitergeschoben werden sollen, ob sie zum Asylverfahren zugelassen werden oder nicht. Die Migranten werden sich in der Ukraine sammeln."

    Die Ukraine, sagt Irene Fedorovych, ist mit der Vielzahl der Flüchtlinge schon jetzt überfordert. Auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen kritisiert, dass das ukrainische Asylverfahren nicht den internationalen Standards genügt. Was nach dem 1. Januar mit denen aus der EU zurückgeschobenen Migranten passieren wird, ist dann auch vollkommen unklar. Fest steht: Mit staatlicher Unterstützung werden sie nicht rechnen können. Die beiden mit EU-Geldern gebauten Lager sind zum Großteil schon jetzt belegt. Sie bieten gerade mal Platz für 400 Menschen... .