Sonntag, 05. Mai 2024

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"Es entsteht eine neue Lage"

Der israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, sieht nach dem vollständigen Bruch zwischen den rivalisierenden Palästinenserorganisationen Hamas und Fatah neue Chancen auf eine Friedenslösung. Seine Regierung trete prinzipiell für eine Zweistaatenlösung ein, in der Israel und ein palästinensischer Staat nebeneinander existierten, sagte Stein. Weil das mit der Hamas im Gazastreifen nicht möglich sei, müsse man es jetzt mit der Fatah im Westjordanland anstreben.

Moderation: Margarete Limberg | 24.06.2007
    Margarete Limberg: Herr Botschafter, waren Sie eigentlich überrascht vom Zeitpunkt und auch der Schnelligkeit, mit der Hamas in Gaza die Fatah davon gejagt und die Macht an sich gerissen hat?

    Shimon Stein: Zu dem Zeitpunkt, als die Sache dort schnell über die Bühne gelaufen ist, war man etwas überrascht. Im Nachhinein, glaube ich, hätte man es schon sehen können. Es war ja eben nicht eine Hochzeit Hamas und Fatah, wo man sagen könnte, die zwei passen zueinander. Wir waren schon längst der Auffassung, dass es ja langfristig nicht funktionieren wird und auch nicht funktionieren kann – sei es, dass eine Seite total besiegt wird oder aufgibt.

    Denn Abbas, der für eine politische Lösung steht – für die Zweistaatenlösung, gegen den Terror und die Intifada –, kann nicht gemeinsam mit einer Terrororganisation, die für keine politische Lösung, für die Islamisierung von Palästina, die Einführung der Scharia und die Auslöschung des Staates Israel steht. Deshalb glaube ich, war es ja prädestiniert, wenn Sie so wollen, auch zum Scheitern. Wundert es mich, dass es jetzt passiert ist? Ich glaube, über die Brutalität ist man schon überrascht. Wir Israelis sagen, wenn die miteinander so umgehen, was kommt auf uns – Gott behüte – zu, wenn Hamas in der Tat die Oberhand je haben wird.

    Limberg: Man könnte sich ja fragen, was hat eine Organisation davon, so einen übervölkerten Slum an sich zu reißen, wenn nicht als Ausgangspunkt für weitere Pläne in der Region?

    Stein: Hamas hat ja eben nie einen Hehl daraus gemacht, wo seine Ziele auch sind. Hamas als Abzweig der Moslem-Bruderschaft steht für eine klare Vision, und die Vision ist, glaube ich, die Islamisierung dieses Raumes. Sie haben ja nicht nur Juden im Visier, sondern sie haben, wie die Moslem-Bruderschaft und andere Extremisten, zu denen auch Iran gehört, ein klares Ziel, nämlich sie wollen ein "Haus des Islams" gründen. Israel und der arabische Raum gehört zum "Haus des Islams", und auf diesem heiligen Boden haben weder Juden, noch Christen, noch andere Platz.

    Deshalb ist das eine anspruchsvolle Agenda, eine Vision, die übrigens nicht nur Juden, Amerikaner oder andere aus dem Westen im Visier hat, sondern auch arabische, pro - westliche, säkulare Regime. Das ist Ägypten, das ist Jordanien, das ist auch zum Teil Syrien. Insofern glaube ich, das ist eine anspruchsvolle Agenda, die Hamas als Teil dieser großen extremistischen Bewegung verkörpert.

    Limberg: Herr Botschafter, welche Rolle hat der Iran bei dieser jüngsten Entwicklung gespielt Ihrer Ansicht nach?

    Stein: Zunächst, was wir wissen, dass aus dem Gazastreifen nicht wenige zur Ausbildung in den Iran gereist sind – direkt, um dort etwas mehr zu erfahren, wie man weiter für Unruhe im Gazastreifen sorgt. Und darüber hinaus, glaube ich, haben wir schon seit geraumer Zeit feststellen können, dass in diesem Raum ein Paradigmawechsel stattfindet. Man spricht ja eben nicht mehr über einen Konflikt zwischen Israel und den arabischen Staaten, man spricht ja eben nicht mehr primär über Auseinandersetzungen, die einen nationalen Charakter haben, sondern eher einen religiösen Charakter.

    Man spricht über eine Auseinandersetzung zwischen Extremisten, geführt von dem Iran, durch die Unterstützung, die ja nicht immer so logisch ist, von Syrien – mit Hamas als Terrororganisation gegen die Gemäßigten, die ja politische Lösungen anstreben. Insofern spielt der Iran schon heute direkt und indirekt bei der Unterstützung des Terrors und darüber hinaus bei der Mission eine herausragende destruktive Rolle in dieser Region.

    Limberg: Die Menschen – 1,5 Millionen – in Gaza leben in großem Elend. Sie sind auf die Hilfe von außen angewiesen, nicht zuletzt auf die Lieferungen auch aus Israel – von Wasser, von Strom, von Gas usw. Wie kann so eine Hilfe gewährleistet werden, ohne Kontakt mit der Hamas aufzunehmen?

    Stein: Die findet in diesen Tagen auch statt. Aber lassen Sie mich kurz sagen: Humanitäre Hilfe wird weiter geleistet werden. Man muss ja eben nicht direkt zur Hamas Kontakt aufnehmen, sondern auch heute und in den letzten Tagen, seit die Entscheidung in Gaza gefallen ist, haben wir Kontakt zu dritten Personen oder Drittorganisationen. Das sind NGOs, die auch dort weiter für die humanitären Belange der Palästinenser sich einsetzen.

    Und über die werden wir auch weiter versuchen, das Notwendige an die Bevölkerung weiter zu liefern, damit es eben nicht zu einer humanitären Katastrophe kommt. Das muss klar gesagt werden, dafür werden wir auch sorgen. Momentan, glaube ich, lassen wir Strom und Wasser, auch Lebensmittel, durch. Und ich glaube, das bleibt weiter unsere Aufgabe, durch Drittorganisationen dafür zu sorgen, dass ein Minimum gewährleistet wird.

    Limberg: Aber wie lange kann man so etwas durchhalten, dass eine ganze Bevölkerung sozusagen am Tropf der Hilfe hängt?

    Stein: Ich danke Ihnen für diese Frage, denn ich glaube, dass diese Frage beinhaltet, dass es eine Adresse gibt, von der alles abhängig ist. Und die Frage in der Region und im arabischen Raum ist ja eigentlich immer, die Schuld und die Verantwortung den anderen zuzuschieben. Ich meine, am Ende muss die Frage gestellt werden an die Palästinenser selber, denn wir haben ja nicht die Hamas gewählt. Das sind ja nicht die Israelis, die Hamas gewählt haben, sondern Hamas ist – auch wenn es nicht demokratisch war und nicht demokratisch sein konnte – von der Bevölkerung gewählt worden.

    Die Bevölkerung, die Hamas gewählt hat, auch wegen der Korruption der Fatah, muss sich am Ende im Klaren sein über die Entscheidung, die sie getroffen hat. Deshalb – anstatt sich die Frage zu stellen, was können die Israelis tun, muss man die Frage stellen: Wie können die Palästinenser dafür sorgen, dass die Hamas-Organisation, die eine Terrororganisation ist, ihre Position ändert. Und wenn Hamas die Position ändert, wenn Hamas die drei Bedingungen des Quartettes erfüllt, nämlich das Existenzrecht des Staates Israel anzuerkennen, dem Terror abzuschwören und Verträge, die unterschrieben worden sind, auch zu akzeptieren, dann wird es eine neue Lage sein.

    Übrigens, das ist genau der Punkt, wo Abbas eben mit der Hamas jetzt Schluss gemacht hat. Insofern ist für sie Hamas ein Feind oder ein Gegner. Warum fragt man jetzt, wie lange wird Israel es zulassen. Die Palästinenser sind heute, glaube ich, uneinig darüber, und Hamas wird von Abbas als Feind betrachtet. Deshalb glaube ich, zunächst muss die Frage immer gestellt werden, was können die Palästinenser zunächst tun, damit ihre Lage sich verbessern wird. Erst dann kann die Frage gestellt werden: Was kann Israel, was können die Europäer, was kann die Staatengemeinschaft für die Palästinenser tun?

    Limberg: Israel, die USA, das Quartett, aber auch gemäßigte arabische Staaten setzen ja auf Mahmud Abbas. Nun hat der die Wahlen Anfang 2006 verloren, er hat die Hamas jetzt zwar als "Bande von Mördern" beschimpft, aber doch vor kurzem noch in einer Koalition mit ihnen gemeinsam regiert.

    Er gilt als schwach, als Zauderer und vielleicht, was am verhängnisvollsten ist: Er hat nach den Wahlen 2006, nach der Niederlage, nicht die Reform der Fatah vorangetrieben. Die Korruption blüht weiterhin und raubt ihm ja auch einen Teil der Glaubwürdigkeit. Wie kommt es, dass man jetzt auf ihn setzt, sozusagen als Hoffnungsträger?

    Stein: Zunächst – wie kommt es, dass man erst jetzt das tut? Das stimmt nicht so sehr, denn ich glaube, wir haben auf die gemäßigten Kräfte innerhalb des palästinensischen Lagers von Anfang an gesetzt. Abbas war für uns ein Gesprächspartner, seitdem er Vorsitzender der palästinensischen Behörde geworden ist . . .

    Limberg: … aber er hat nicht gebracht, was Sie von ihm erhofft haben.

    Stein: Ich glaube, er hat nicht nur uns das nicht gebracht, er hat den Palästinensern selber nicht gebracht die Dinge, die wir hofften, dass er sie eigentlich bringen wird. Er war und blieb für uns die Adresse. Wir sind uns im Klaren, dass er schwach ist. Wir sind uns im Klaren, dass die Probleme, die heute im palästinensischen Lager geschehen, nicht zuletzt auf seine Unentschlossenheit zurückzuführen sind.

    Wir haben von Anfang an die Auffassung vertreten, dass Abbas mit großer Entschiedenheit gegen Hamas vorgehen hätte müssen, dass er, anstatt sie zu kooptieren, die Konfrontation mit der Hamas hätte suchen müssen, und zwar von Anfang an. Das hat er nicht getan. Und dafür bezahlt er zunächst und die Palästinenser den hohen Preis, und dann erst wir. Aber es entsteht eine neue Lage. Der kann man eigentlich zumindest auf zweierlei Arten begegnen.

    Erstens, indem man gar nichts tut und wartet – mit der Ungewissheit, was dann passieren wird. Oder sehen, was man aus dieser Lage machen kann. Und weil heute innerhalb des palästinensischen Lagers klare Richtungen entstehen – die Hamas mit ihrer Weltanschauung, die kein Partner ist, und Abbas –, wollen wir sehen, ob wir mit Abbas vorankommen können. Anderes bleibt uns ja eben nicht übrig, und das ist eine Möglichkeit, dass wir sehen, dass vielleicht nach dieser klaren Entscheidung und Positionierung von Abbas sich bei den Palästinensern etwas ändert. Das ist die Hoffnung, aber nichts tun, glaube ich, ist nicht in unserem Interesse.


    Limberg: Was halten Sie eigentlich von einer Strategie, die aus Westjordanland sozusagen ein palästinensisches Musterland macht, das den Menschen im Gaza zeigen soll, wie weit man auf friedlichem Wege kommt. Ist das überhaupt eine mögliche Strategie?

    Stein: Ironischerweise, wenn Sie mir das erlauben, war das genau die Überlegung, die wir hatten, nachdem Ministerpräsident Scharon die strategische Entscheidung getroffen hatte, sich bedingungslos aus dem Gazastreifen zurück zu ziehen, mit der Hoffnung, dass, wenn Israel sich aus dem Gazastreifen völlig zurück gezogen hat, die Palästinenser dann im Gazastreifen, frei von Israelis, frei von Siedlungen, frei von Besatzung, dort eigentlich mit einem Nationbuilding und Statesbuilding anfangen würden. Das hat sich leider dort nicht ergeben.

    Und so treten wir weiter prinzipiell für die Zweistaatenlösung ein, Israel neben einem palästinensischen Staat. Und wenn jetzt nicht im Gaza, sondern auf der Westbank der Anfang eines Prozesses stattfindet, der am Ende zur Gründung eines Staates führen kann, frei von Terror, dann werden wir uns selbstverständlich freuen. Insofern noch einmal: Es entsteht eine neue Lage, es entstehen neue Möglichkeiten, also wollen wir alles tun, damit die Zweistaatenlösung realisierbar sein wird.

    Limberg: Sicherlich. Sie haben es ja gesagt, die Palästinenser müssen Verantwortung für ihr eigenes Schicksal auch übernehmen, auch die notwendigen Entscheidungen treffen. Aber Israel kann ja bestimmte Dinge tun, um vielleicht manches gerade auch für Herrn Abbas zu erleichtern. Es hat ja bereits angekündigt, die gesperrten Zoll- und Steuereinnahmen freizugeben, einige Straßenblockaden aufzuheben. Was wäre noch möglich? In der Diskussion ist ja auch immer wieder die Forderung, palästinensische Gefangene frei zu lassen.

    Stein: Ich glaube, die neue Lage und die Notwendigkeit, die neue Lage eigentlich gemeinsam zu nutzen, öffnet für uns neue Chancen. Ministerpräsident Olmert wie auch die Außenministerin Livni haben das gesagt. Wie wir wissen, findet nächste Woche ein Treffen in Scharm el Scheich statt. Mubarak hat uns, Abbas und König Abdullah eingeladen. Wir haben auch in Aussicht gestellt, dass wir das Geld, das wir eingefroren haben, dann an die Palästinenser weiterleiten, nachdem wir die technischen Probleme noch abwickeln.

    Darüber hinaus wollen wir auch in anderen Bereichen sehen, wie weit wir voran kommen können. Fragen Sie mich jetzt nach den Details, wann wir Gefangene frei lassen? Ich gehe davon aus, dass das auch Gegenstand der Gespräche zwischen Olmert und Abbas sein wird. Und über die tagtäglichen Maßnahmen zur Erleichterung hinaus glaube ich, werden wir auch mit Abbas über den Horizont reden, sollte es zu einem palästinensischen Staat kommen und darüber, was unsere Vorstellungen von einem solchen Staat sind und was sind deren Vorstellungen von einem Staat. Zum Beispiel: Wir werden einen demilitarisierten palästinensischen Staat sehen wollen. Die Frage wird sich dann stellen, wie weit das ein lebensfähiger Staat sein wird.

    Limberg: Was wird aus den israelischen Siedlungen?

    Stein: Das wird auch ein Thema, beziehungsweise wollen wir darüber sprechen, was kommt eigentlich, nachdem man die Erleichterungen macht. Und wenn wir in den Gesprächen so weit kommen, was sind dann die Zukunftsvisionen von beiden Seiten? Das wollen wir auch besprechen. Sobald uns der Terror ja nicht tagtäglich heimsucht, sobald die Behörde auch für Sicherheit sorgt – das war immer unsere große Hoffnung, dass die Palästinenser und wir gemeinsam den Terror bekämpfen werden –, dann öffnen sich zahlreiche neue Möglichkeiten, die ja bis heute nicht vorhanden waren.

    Limberg: Was versprechen Sie sich von dem Treffen in der nächsten Woche, dem Treffen zwischen Ihrem Premierminister Olmert, Abbas, König Abdullah und dem ägyptischen Staatspräsidenten Mubarak?

    Stein: Ich glaube, das ist genau ein Treffen von gemäßigten Staaten, die äußerst besorgt über die Extremisten in dieser Region sind, die ja gemeinsam beraten wollen, welche gemeinsamen Schritte man unternehmen könnte. Und ich habe gesagt, dass wir mit den Palästinensern eine volle Agenda zu besprechen haben. Aber bei dieser Gelegenheit, glaube ich, kommt es auch darauf an, dass die arabische Welt Israel auch entgegen kommt, dass man auch ein Zeichen von Normalisierung zeigt.

    Insofern glaube ich, die arabischen Staaten können das, was sich zwischen uns und den Palästinensern abspielt, komplementieren. Und insofern glaube ich, dieses Treffen ist ein interessantes und ich hoffe, auch wenn die Erwartungen hoch sind, dass man aus diesem Gespräch hervorgeht mit einer Unterstützung für diese Kräfte, die ja hoffentlich im Nahen Osten die Oberhand haben werden und nicht die Extremisten.

    Limberg: Was könnte Deutschland in dieser Situation tun oder was erwarten Sie von der Bundesrepublik?

    Stein: Die Bundeskanzlerin als EU-Ratspräsidentin hat sich eingeschaltet, war sehr engagiert, war sehr aktiv, hat die Region, Israel und die arabischen Staaten auch besucht. Das Quartett ist durch die deutsche Präsidentschaft wieder aktiviert worden. Die Bundeskanzlerin sieht auch mit großer Sorge die Auseinandersetzung zwischen Extremisten und den Moderaten. Und sie setzt sich eigentlich voll für den moderaten Kurs ein, auch für Abbas, den sie gut kennt.

    Insofern glaube ich, dass die Bundesrepublik, wenn sie die EU-Präsidentschaft abgeben wird, einen Beitrag innerhalb der Europäischen Union leisten wird. Und die Europäische Union kann die Bemühungen von Abbas, Olmert, Israel und den gemäßigten Palästinensern unterstützen, indem sie, wenn ich von einer Vision spreche, auch den wirtschaftlichen Teil der Hilfe und Abbas bei der Bildung von Institutionen berücksichtigt, wo Deutschland auch als Staat helfen kann.

    Insofern glaube ich, wenn wir ins Gespräch kommen, frei von Terror, dann stelle ich mir vor, dass die Europäische Union und Deutschland auch einen großen Beitrag leisten können zu dem Prozess der Friedensgestaltung zwischen uns und den Palästinensern.

    Limberg: Herr Stein, in Deutschlands Medien, in der Öffentlichkeit hat es immer wieder viel Kritik an Israels Politik gegenüber den Palästinensern gegeben. Warum, glauben Sie, ist es so schwer, Verständnis für Israel zu finden?

    Stein: Ja, eine gute Frage, über die ich seit langem auch nachdenke. Ich meine am Ende, die Kritik, die man hier manchmal hört, leidet manchmal an einer gewissen Oberflächlichkeit. Nicht immer verfolgt man die Lage, Ursache und Wirkung. Man neigt dazu, schnell zu urteilen. Aber generell meine ich, die Deutschen gehen mit Israel und den Juden ja befangen um.

    Ich meine nicht, dass die Kritik immer legitim ist und auf eine gewisse Maßnahme bezogen ist. Ich hätte mir gewünscht, dass, wenn man eigentlich schon Position zur israelischen Maßnahmenpolitik bezieht, dass diese Haltung ja eigentlich zur Sache sein wird, fundiert, wo man Ursache und Wirkung hat.

    Ich habe auch manchmal das Gefühl, dass die Israelis, die heute Terroropfer sind, von den Deutschen ja nicht mehr als Opfer gesehen werden, denn die Rolle des Opfers haben die Palästinenser übernommen. Etwas mehr Empathie und Verständnis und Bereitschaft, sich in die Lage der Israelis hinein zu versetzen, wäre auch sehr hilfreich bei der Betrachtung der Haltung der Deutschen gegenüber Israel.

    Limberg: Sie werden Deutschland in einigen Wochen verlassen. Sie waren sieben Jahre hier Botschafter. Sie haben in dieser Zeit schwierige Zeiten erlebt: der 11. September, Intifada, Irak-Krieg, die Drohungen aus Teheran, Israel zu zerstören. Zu allem mussten sie ja Stellung nehmen. Wenn sie eine vorläufige Bilanz ziehen, wie fällt die aus?

    Stein: Die fällt insgesamt gemischt aus. Sie haben auf die schwierige Lage hingewiesen. Die hat ja nicht direkt mit den deutsch-israelischen Beziehungen zu tun. Gleichzeitig haben wir auch hier in 2005 40 Jahre deutsch-israelische diplomatische Beziehungen begangen. Und dann blicken wir auf eine eindrucksvolle Agenda zurück.

    Und darüber hinaus haben sich die deutsch-israelischen Beziehungen eindrucksvoll entwickelt. Die politische Elite bekennt sich weiter zum Existenzrecht des Staates Israel. Und die Beziehungen auf allen Ebenen der Politik, der Wirtschaft, der Kultur sind gut. Wir haben ein gewisses Defizit, was die öffentliche Meinung anbelangt. Hoffentlich wird sich das auch ändern.

    Darüber hinaus hat dieses Land eine unwahrscheinliche Kulturlandschaft, die ich schon bereits vermisse. Aber ja, ich scheide offiziell aus dem Amt. Aber wie ich auch in meinem Abschiedsbrief gesagt habe, das ist ein Abschiedsbrief über das Bleiben, auch wenn man geht. Endgültig gehe ich aus diesem Land eben nicht. Sieben Jahre hinterlassen Spuren, und ich glaube, alles in allem habe ich auch Menschen angetroffen, die wunderbar sind, die offen sind, die auch Freunde geworden sind. Über die Bilanz bin ich im Großen und Ganzen zufrieden.

    Limberg: Sie haben als israelischer Botschafter oft auch zu Fragen Stellung nehmen müssen, zu denen Diplomaten normalerweise nicht Stellung nehmen müssen, nämlich zu Ereignissen hier bei uns in Deutschland selbst in der Innenpolitik, Antisemitismus, Rechtsradikalismus. War das eine Last?

    Stein: Deutsch-israelische Beziehungen, deutsch-jüdische Beziehungen tragen mit sich ja eine Bürde. Es ist ja, wie ich Ihnen gesagt habe, nicht nur eine Gegenwart, sondern es ist auch Vergangenheit. Ich freue mich sehr, dass ich die Zeit als israelischer Botschafter in Deutschland sein durfte. Das ist ja schon eine besondere Herausforderung und eine Auseinandersetzung mit der alten Geschichte, mit der gemeinsamen Geschichte.

    Deshalb habe ich mir auch erlaubt, Stellung zu nehmen, und zwar ja nicht unbedingt als jemand, der als Gegner in Deutschland ist, sondern eben als einer, der sich durchaus der Geschichte bewusst ist, der Verantwortung und der Notwendigkeit, die deutsch-israelischen Beziehungen auf einen vernünftigen Kurs zu bringen. Ich bin ja immer jemand, der klar spricht. Und deshalb, glaube ich, kommt man nur weiter, wenn man eigentlich klare Positionen bezieht und dem Freund Anlass zum Nachdenken über gewisse Positionen, gewisse Entwicklungen gibt, die ja nicht in die erhoffte Richtung sich entwickeln.

    Insofern glaube ich auch in dieser Hinsicht, hoffentlich habe ich ja eben nicht allzu viele Menschen verletzt, als ich klare Positionen bezogen habe. Das war aus einem gewissen Bedürfnis, uns beiden zu helfen, indem man klar macht, wo wir uns verletzt fühlen, wo wir eben Besorgnis haben. Und wenn man das so verstanden hat, dann freue ich mich sehr.