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"Es sind eindeutig gesteuerte Proteste"

Die aktuellen gewaltsamen Proteste seien durch radikale Islamgruppen entfacht worden, der ägyptische Präsident Mursi und hohe Geistliche hätten sich beispielsweise entschieden dagegen ausgesprochen, sagt der Islamwissenschaftler Stefan Weidner. Dennoch müsse der Westen in islamischen Ländern mehr Aufklärung betreiben, was Meinungsfreiheit bedeute.

Stefan Weidner im Gespräch mit Beatrix Novy | 17.09.2012
    Beatrix Novy: Auch auf der Opernbühne sind sie unentbehrlich, die "Bilder der Gewalt", und immer sind sie Teil der Medienökonomie. Zurzeit verstören die Bilder aus der islamischen Welt, eine stehende Formulierung ist das, die man oft hört. Diese Bilder sind auswechselbar wie ein Indianerüberfall im Western: Fahnenverbrennungen, verzerrte Gesichter, gereckte Fäuste. Der Anlass: das Mohammed-Video eines obskuren kleinstädtischen Islamhassers aus dem sehr großen Amerika.

    Zehntausend Wutentbrannte – nur ein Beispiel – gingen vorige Tage in Kairo auf die Straße, eine Stadt von acht Millionen Einwohnern, in Kabul, drei Millionen Einwohner, waren es zum Beispiel 1500. Ich habe den Islamwissenschaftler Stefan Weidner für unser Gespräch zunächst gefragt, ob uns solche Zahlen hinter den Bildern vielleicht etwas sagen sollten?

    Stefan Weidner: Ja. Kairo hat wahrscheinlich 20 Millionen Einwohner …

    Novy: Mit dem Drumherum.

    Weidner: … und wahrscheinlich waren es deutlich weniger als zehntausend Demonstranten. Wir müssen sehen, wie viele alle nicht gekommen sind. Das müssen wir zum einen sehen. Zum anderen: der Korrespondent von Al-Dschasira, der daneben stand, hat gesagt, dass 90 Prozent dieser Demonstranten – er hätte sie gefragt – nicht wüssten, worum es bei diesen Protesten geht. Das heißt, sie haben ein Lumpenproletariat, Leute, die in völlig prekären Verhältnissen aufwachsen, keinerlei Bildung besitzen, die Sie sofort für jeden Blödsinn mobilisieren können, wenn Sie wollen, wenn Sie die richtigen Kanäle, die richtigen Mittelsmänner einsetzen.

    Mubarak hat das gemacht, er hat irgendwelchen Touristenführern Geld bezahlt, damit sie mit ihren Kamelen auf den Tahrir-Platz kommen und dort die Demonstranten angreifen. Das können Sie jederzeit machen und das geschieht, glaube ich, in allen diesen Ländern.

    Es sind eindeutig gesteuerte Proteste. Es gibt politische Fraktionen, es gibt Bewegungen in der arabisch-islamischen Welt, die ein Interesse daran haben, diese Proteste zu schüren, und das sind nicht nur El Kaida, sondern eben auch die anderen, eher radikalen Islamgruppen wie etwa die Salafisten.

    Novy: Und das klappt dann, wenn die Menschen im Westen auf diese Bilder hereinfallen?

    Weidner: Ja. Also, das Spiel schaukelt sich ja hoch, nicht wahr. Die ganzen Anti-Islam-Bewegungen, die wir haben und die so einen Dummsinn produzieren wie diesen Film und wie vieles andere, Webseiten wie Politically Incorrect und so etwas, die sich auf Deutsch gesagt daran aufgeilen, dass sie den Islam schlecht finden, die sind ja in gewisser Hinsicht von einer Reaktion auf die Bilder, die wir aus der islamischen Welt sehen. Andererseits sind diese Bilder wieder eine Reaktion auf die westliche Reaktion. Das schaukelt sich gegenseitig hoch und es gelingt einem eigentlich nicht mehr, daneben zu schauen, zu schauen, was passiert jenseits dieser wechselseitigen Bilder, an denen manche Leute ein Interesse haben, der Normalbürger aber nicht.

    Und wenn wir neben diese Bilder schauen, dann sehen wir, dass zum Beispiel alle, in halbwegs verantwortlichen Positionen sich befindlichen Politiker oder Geistlichen im Islam sich entschieden gegen die Gewalt ausgesprochen haben, die in Libyen oder in Ägypten praktiziert wurde.

    Sheik Hadaoui, ein konservativer Islam-Intellektueller, hat es ganz eindeutig gesagt: Das ist nicht der Weg des Islams, so schlimm dieser Film sei. Das ist nicht die Art, wie wir uns verhalten müssen. Der ägyptische Präsident, übrigens ein großer Fortschritt, der ägyptische Präsident ist jetzt ein Muslimbruder, er hat eine große Glaubwürdigkeit auch bei konservativen Muslimen, und er hat sich ebenfalls eindeutig dagegen ausgesprochen.

    Und ich erkenne sogar einen Fortschritt in dem, was jetzt passiert, weil wir dank der Arabischen Revolution eine halbwegs demokratisch legitimierte Regierung haben, die für die Bevölkerung sprechen kann und die für die Bevölkerung spricht und der es besser gelingen wird, diese Revolten einzuschränken, als etwa einer rein autoritären Mubarak-Regierung, wie es vorher der Fall gewesen wäre.

    Novy: Trotzdem stehen ja den Versuchen, aus dem Teufelskreis dieser Bilder herauszukommen, offenbar doch stark geprägte Vorstellungswelten entgegen, zum Beispiel, wenn man hört, dass viele Menschen in den islamischen Ländern die Perspektive ihrer eigenen autoritativen Regierungen noch so stark verinnerlicht haben, dass sie zum Beispiel nicht glauben können, dass so ein Video nicht auf sozusagen Anweisung der westlichen Regierungen, der US-Regierung entstanden sein müsse, oder die berühmte Verschwörungstheorie, die zionistisch-amerikanische, an die angeblich eine Mehrheit glaubt.

    Weidner: Das stimmt, das ist weit verbreitet. Ich glaube, es liegt am Westen. Der Westen kann eine Aufklärung in dieser Hinsicht betreiben, dass die Regierung nicht identisch ist mit dem, was die Bevölkerung macht, was Meinungsfreiheit bedeutet, eben dass jeder seinen eigenen Blödsinn machen kann, wenn er denn partout will. Das ist etwas, was wir vermitteln müssen. Ich habe heute Morgen gehört – ich glaube, im Deutschlandfunk habe ich es gehört -, dass Herr Mißfelder, der außenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, gesagt hat, man hätte zu viel Dialog betrieben und man müsse ein wenig anders vorgehen, man hätte das mit dem Dialog übertrieben, müsse andere Seiten aufziehen sozusagen, und das ist natürlich eine schiere Dummheit.

    Man hat zu wenig Dialog betrieben, weil genau diese Perspektive nicht vermittelt worden ist. Man hat den Leuten zu wenig Deutsch beigebracht in den Goethe-Instituten, denn die Kurse in den Goethe-Instituten sind sehr teuer, das kann sich nur eine Elite leisten, die sowieso schon prowestlich ist, und so weiter und so weiter. Das heißt, die auswärtige Kulturpolitik hat viel zu wenig getan, auch wenn es von hieraus scheint, sie hat wahnsinnig viel getan.

    Novy: Der Islamwissenschaftler Stefan Weidner war das über Bilder und die Spirale der Missverständnisse.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.