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Evan Wright: Generation Kill. Das neue Gesicht des amerikanischen Kriegs.

Wie verhalten sich die Videokids, wenn man sie mit der Lizenz zum Töten ausstattet werden? Wie spiegelt sich die zynische Arroganz der Bush Regierung, die die GIs auf der Grundlage von Fälschungen und Lügen in den Krieg schickte? "Generation Kill" hat Evan Wright seine Beobachtungen aus dem Irakkrieg überschrieben, die von den Folgen handeln, wenn eine Soldatengeneration zu Söldnern wird, denen es völlig egal ist, wofür oder wogegen sie kämpfen.

Von Wolfgang Sofsky . Am Mikrophon: Hermann Theißen | 06.06.2005
    Evan Wrights Beobachtungen aus dem Irakkrieg, die er "Generation Kill" überschrieben hat, Jürgen Elsässers Recherchen über "Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan", Ad van Liempts Erkenntnisse über "Bezahlte Denunziation von Juden in den besetzen Niederlanden", sowie ein von Jean-Paul Picaper und Ludwig Norz verfasstes Buch über das Schicksal deutscher Besatzungskinder in Frankreich: das sind die Themen unserer heutigen Revue politischer Literatur, Wolfgang Sofsky, Ursula Rütten, Sven-Claude Bettinger und Ariane Thomalla die Rezensenten.

    "Diese jungen Männer repräsentieren mehr oder weniger Amerikas erste Generation von Wegwerfkindern. Über die Hälfte der Jungs im Zug kommt aus zerbrochenen Elternhäusern, wurde von häufig abwesenden, allein stehenden, arbeitenden Müttern erzogen. Vielen sind Videospiele, Reality-Shows und Internetpornografie vertrauter als ihre eigenen Eltern."

    So charakterisiert Evan Wright die Soldaten eines Aufklärungsbataillons, die er als "eingebetteter Journalist" zwei Monate lang im Irakkrieg begleitet hat.

    "Sie sind die erste Generation junger Amerikaner seit Vietnam, die in einen Konflikt mit offenem Ende geschickt werden. Der herrschende Mythos Vietnams kreist indessen um die verlorene Unschuld einer Generation, um junge Männer, die noch mit edelmütigen Filmen wie Davy Crockett, König der Trapper aufwuchsen, um später, als sie im südostasiatischen Dschungel kämpften, schockiert die Lügen ihrer Regierung zu entdecken, während die Nation nach den mythischen Verheißungen der Kennedy-Jahre in der Scham von Watergate versank. Die heutige Generation junger Soldaten dagegen ist bei ihrem Einfall in den Irak auf die Idee vorbereitet, dass die "große Lüge" ein so zentraler Bestandteil des Regierens in Amerika ist wie das Eintreiben der Steuern. Obwohl ihnen ihr Oberbefehlshaber erzählte, dass sie heute im Irak kämpfen, um die amerikanische Freiheit zu schützen, wären nur wenige von ihnen erschüttert, wenn sie entdecken müssten, dass es in Wirklichkeit nur um Ölreserven geht. In gewisser Weise erwarten sie beinahe, angelogen zu werden."

    Wie verhalten sich die Videokids, wenn man sie mit der Lizenz zum Töten ausstattet, wenn der Joystick durch das Maschinengewehr ersetzt wird? Wie spiegelt sich die zynische Arroganz der Bush Regierung, die die GIs auf der Grundlage von Fälschungen und Lügen in den Krieg schickte, und die deutlich machte, dass sie es mit dem Kriegs- und Völkerrecht im Kampf gegen den Terror nicht so genau nehmen wolle, im Verhalten der Soldaten. Welche Folgen hat es, wenn eine ganze Soldatengeneration zu Söldnern wird, denen es völlig egal ist, wofür oder wogegen sie kämpfen?

    "Generation Kill" hat Evan Wright seine Beobachtungen aus dem Irakkrieg überschrieben. Ob die Reportagen des amerikanischen Journalisten tatsächlich das Bild einer neuen Soldatengeneration zeichnen, sagt Ihnen nun Wolfgang Sofsky.

    Die Strapazen des Krieges sind immer dieselben. Nach ein paar Tagen sind viele Soldaten ausgebrannt, hungrig oder krank. Manche leiden an Durchfall, Fieber und nervöser Erschöpfung. Schlaf ist ein seltenes Privileg. Die meisten wissen nicht, wo sie sich gerade befinden und auf welcher Mission sie unterwegs sind. Der Kontakt zum Hauptquartier ist abgebrochen, feindliche Stellungen lassen sich trotz heftigen Feuers nicht ausmachen. Es fehlen Batterien für die Funk- und Sichtgeräte, und obwohl die Rationen bereits gekürzt sind, verschlingen die Krieger in den Feuerpausen, was sie an Trockennahrung noch bei sich tragen. Mitten im Gefecht klemmt der Verschluss der Gewehre, die Granaten der Artillerie explodieren vor der eigenen Stellung. Vielen Offizieren fehlt die Erfahrung. Sie reagieren hysterisch, verlieren den Überblick, erteilen falsche Befehle. Andere packt der Ehrgeiz, und sie treiben ihre Männer mitten in einen feindlichen Hinterhalt. "In der Armee führen die Unfähigen die Unwilligen zur Vollbringung des Un-nötigen", lautet ein Erfahrungssatz der amerikanischen Marineinfanterie. Behielten nicht manche Unteroffiziere einen kühlen Kopf, wären die Verluste immens.

    Evan Wright, ein Reporter des Musikmagazins "Rolling Stone", hatte das Glück, bei der Eroberung des Iraks von einem Truppführer unter die Fittiche genommen zu werden, der bei seinen Leuten nur der "Eismann" hieß. Wenn andere die Nerven verloren, wurde er immer ruhiger. Um sich über die aktuelle Lage zu unterrichten, hörte er regelmäßig BBC. Er liebte sarkastische Kommentare und elektronische Spielereien, und er hasste Country-Musik, Dummheit und schießwütige Offiziere. So kaltblütig er unter Beschuss zu agieren pflegte, als Beduinen einen tödlich verwundeten Hirtenjungen herbei trugen, den einer seiner Leute versehentlich getroffen hatte, brach er in Tränen aus. Der Kampf war seine Leidenschaft, aber der Anblick ziviler Opfer schlug ihm aufs Gemüt. Anders als Piloten und Kanoniere sehen Fußsoldaten tagtäglich aus der Nähe, was ihre Waffen anrichten.

    Wright schildert den kurzen Feldzug von der kuwaitischen Grenze bis nach Bagdad aus der Perspektive des einfachen Frontsoldaten. Die Fernspäher der Marineinfanterie, die er als beteiligter Beobachter begleitete, bildeten die Avantgarde der Invasion. Entgegen ihrer Ausbildung und Ausrüstung schlichen sich die Kundschafter nicht heimlich hinter die feindlichen Linien, sondern wurden mehrfach im geschlossenen Konvoi vorausgeschickt, um feindliches Feuer auf sich zu ziehen und den Gegner vom Marschweg der Hauptstreitmacht abzulenken. So bewegten sich die Fernspäher häufig im Niemandsland und durchquerten in waghalsigen Sturmfahrten ganze Stadtviertel, um dem Gegner den Fluchtweg abzuschneiden. Als Bagdad schon besetzt war, rückte das Bataillon weiter nach Norden vor, um als menschliche Bremsklötze den Gegenangriff von Saddams Garden abzufangen. Tempo, Beweglichkeit und Feuerkraft zeichneten die Manöver dieser Eliteeinheit aus. Von einem Mangel an Sprit und Munition ist nirgendwo die Rede.

    Anders als die meisten seiner "eingebetteten" Kollegen erlebte Wright den Feldzug nicht in der Geborgenheit eines Nachschubverbands oder eines Offizierkasinos, sondern im Kugelhagel an der Spitze. Mut und Risiko zahlten sich aus. Die Reportage vermittelt ein ungewöhnlich genaues Bild vom Handwerk des Krieges. Dieses Genre des naturalistischen Kriegsberichts ist hierzulande wenig bekannt und wenig geschätzt. Kaum ein Detail lässt Wright aus. Er redet von dem Müll, den die Truppen hinterlassen, von den Toten am Straßenrand, von den Hunden, die sich auf die Kadaver stürzen. Er spricht von der Notdurft auf dem Schlachtfeld, vom Schweiß in den klobigen Chemieschutzanzügen, von sexuellen Phantasien, vom Schüttelfrost der Angst. Nahe an den physischen Tatsachen und der robusten Sprache der Berufskrieger, ohne Beschönigung, ohne Pathos, aber auch ohne moralisierende Selbstgerechtigkeit schildert er den Krieg, wie er ist.

    Entgegen einem landläufigen Vorurteil sind Marineinfanteristen durchaus keine Tötungsmaschinen. Titel und Werbetext des Buches suggerieren dem kritischen Publikum, im Irak sei eine neue, durch Medien und Kriegsspiele abgestumpfte Generation von Killern am Werk. Davon ist im Buch keine Rede. Wright schildert Individuen: einen besonnenen Leutnant, der alte Sprachen studiert hat und in Gefahr alle Gefühle einkapselt; einen muskelbepackten Sergeant, der im Gefecht das Ave Maria herunterleiert und sich mit seinem Hauptmann anlegt, als jener mit aufgepflanztem Bajonett auf einen wehrlosen Gefangenen losgeht; oder den Fahrer des Humvee, einen Corporal aus Missouri, der unentwegt redet, sich mit Tabak, Instantkaffee und Ephedrin wach hält und ohne Führerschein seine Passagiere in halsbrecherischen Manövern wohlbehalten durch den Krieg bringt. Gemeinsam ist den Soldaten des Spähbataillons weder die soziale Herkunft, der Bildungsstand noch die emotionale Neigung. Was sie zusammenschweißt ist die Gefahr, der Reiz des Abenteuers, die geringe Toleranz für Langeweile, die Männerfreundschaft - und der Ehrenkodex des Marinekorps.

    Dass Soldaten zum Töten ausgebildet werden, ist eine Banalität, die keinen Leser verwundern sollte. In den Reihen der Marines zählen – wie in allen Elitetruppen - körperliche Fitness, Treffsicherheit, Kaltblütigkeit, Disziplin und Opferbereitschaft. Wenn ein Fußsoldat aus kurzer Distanz einen schweren Kampfpanzer in die Luft jagt, zollen sie ihm höchste Anerkennung. Wenn die Artillerie, diese grobschlächtigste aller Waffen, ein Stadtviertel in Schutt und Asche legt, vermischen sich Gefühle der Erhabenheit mit Erleichterung und leiser Beklemmung. Wenn Kinder niedergemetzelt oder Zivilisten verwundet werden, flüchten viele in innere Versteinerung. Als ein Offizier den Transport eines verletzten Irakers ins Militärlazarett verbot, richtete sich alle Wut auf ihn. Massaker an Unbeteiligten und unterlassene Hilfeleistung sind im Kodex der Krieger nicht vorgesehen.

    Es gehört zum Dilemma des Guerillakrieges, dass an dieser Tradition der Kriegerehre kaum festzuhalten ist. Schon in den ersten Tagen der Invasion zeichnete sich die spätere Entwicklung ab. Die Soldaten waren nicht im geringsten auf den Widerstand der Fedajin und syrischen Djihadisten vorbereitet. Ahnungslos ließen sie die Taxis und weißen Pritschenwagen der Terrorkrieger passieren. Erst allmählich lernten sie, ihr Feindbild der Wirklichkeit anzupassen. Harmlose Bauern trugen gewöhnlich Vollbärte, Vorsicht geboten war indes bei glatt rasierten Männern in Stadtkleidung, die aussahen wie arabische Taxifahrer in New York. Männer oder Frauen, die mit Ferngläsern oder Handy in der Nähe herumlungerten und nach jedem Mörsereinschlag eifrig telefonierten, waren nichts anderes als vorgeschobene Artilleriebeobachter. Im kleinen Krieg ist der Stand des Zivilisten ein Tarnmanöver. Die Demaskierung übernahm in der Regel ein Scharfschütze.

    Ein Kodex bedarf der institutionellen Absicherung. Aber die Einsatzregeln, welche die moralische Ordnung des Krieges garantieren sollten, mussten von Tag zu Tag geändert werden. Zuerst durften die Soldaten nur auf bewaffnete Iraker feuern, wenn sie selbst angegriffen wurden. Anderntags wurde jeder Bewaffnete als legitimes Ziel markiert. Auf einem Militärflugplatz galt jeder, der sich dort aufhielt, als Feind. In kritischen Situationen wurde auf alles geschossen, auch wenn kein Ziel zu erkennen war. Um die sinnlosen Opfer an den Straßensperren zu vermeiden, erfanden die Späher schließlich ihre eigene Regel. Anstatt scharfe Warnschüsse auf heranrasende Autos abzufeuern, setzten sie farbige Rauchgranaten ein. Diese sanfte Methode rettete manchen Irakern das Leben und ersparte den Kriegern weitere Schuldgefühle.

    Ein Jahr nach der Eroberung Bagdads erschien in den USA Evan Wrights grandiose Erzählung vom Abenteuer Krieg. Zur selben Zeit wurden die Fernspäher gerade in Falludja eingesetzt. Wrights Trupp geriet in einen Hinterhalt und wurde mit Raketen beschossen. Eine detonierte innerhalb des Humvees, in dem der Reporter den Irak durchquert hatte. Schrapnellsplitter fegten durch die Kabine, das Fahrzeug fing Feuer. Dem Soldaten auf dem Rücksitz, auf dem Wright gewöhnlich gesessen hatte, wurden beide Hände und ein Bein abgerissen.

    Wolfgang Sofsky über Evan Wright, Generation Kill, Das neue Gesicht des amerikanischen Kriegs. Andreas Simon dos Santos hat das Buch aus dem Amerikanischen übersetzt. Es ist bei Zweitausendeins in Frankfurt erschienen, 429 Seiten, 22 Euro.