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Fährnisse des gemeinsamen Lebens

Mit der Zweisamkeit ist es so eine Sache. Einerseits gehört sie zu den Hauptzielen unserer sozialen Existenz. Andererseits bringt sie Belastungen mit sich, die jedem Single beweisen, wie gut es ihm allein ergeht. Die Zweisamkeit ist das einzige Thema in den zehn Erzählungen der Katalanin Empar Moliner. Doch zum großen Vergnügen des Lesers variiert sie die Fährnisse des gemeinsamen Lebens auf witzigste Weise.

Von Florian Felix Weyh | 09.11.2006
    Um das Ende des letzten Konflikts gebührlich zu feiern, geht man schick essen, doch der Liebhaber brütet seit dem Morgen einen neuen Streit aus. Plácid kann machen, was er will. Wo für jemanden Querelen lustvoller sind als Sex, verschärft der Beilegungsversuch die Lage noch, weil er den Widerspruchsgeist des Lüsternen entfacht. Ein Erdbeben, deus ex machina, das beide im Restaurant verschüttet, rettet Plácid vor einem missratenen Abend. Er kann sein Glück kaum fassen, bis er begreift, dass er nun stundenlang neben seinem Geliebten eingeklemmt bleibt. Und der redet und redet auf ihn ein ...

    Solcherart von schwarzem Humor geprägt und quälender Aufrichtigkeit im Detail gezeichnet sind die zehn Erzählungen der Katalanin Empar Moliner, die - über Nebenfiguren geschickt miteinander verwoben - nur ein Thema kennen, dieses aber zum großen Vergnügen des Lesers variieren: die Fährnisse des gemeinsamen Lebens.

    In der Regel spielen mittelalte Eheleute die Hauptrolle. Sie absolvieren Paartherapien, langweilen sich auf der von erwachsenen Kindern geschenkten Hochzeitsreisenwiederholung und reden im gesellschaftlichen Verkehr mit anderen mittelalten Paaren genau über das nicht, was sie eigentlich umtreibt: der seltsam verkehrte Konflikt zwischen Pflicht und Neigung. Denn die Neigung, Ehe und Zusammenleben als eine Art geruhsamen Abschied vom Diktat der sexualisierten Leistungsgesellschaft zu begreifen, kollidiert ständig mit der gefühlten Pflicht, das brachliegende Sexualleben anderweitig zu aktivieren, als gehöre der Ausbruch aus dem bürgerlichen Ehegefängnis seit Erscheinen der "Madame Bovari" zu jeder gelungenen Biografie dazu.

    Selbst im Milieu der Bohéme, beim Literaturkritiker Susaeta, der zwischen mehreren Exfrauen, Groupies und Geliebten hin und her wechselt, erscheint der Vorgang eher pflichtbestimmt als lustbetont. Diese Literaturbetriebssatire wartet übrigens auch mit der überraschendsten Schlusspointe des Buches auf, wie sich die Ex-Kabarettistin Moliner überhaupt auf dosierte Entlarvungseffekte versteht.

    In manchen Erzählungen berührt sie dabei durchaus die Schmerzgrenze bloßgestellter Intimität, was sich in niedergeschriebener Literatur problematischer darstellt als auf einer Bühne. Beim gesprochenen Wort toleriert man mehr als beim geschriebenen und erwischt sich seltener beim Gefühl, dieses letzte, peinliche Detail aus dem Intimleben anderer Menschen nicht wissen zu wollen.

    Der katalanischen Autorin gelingt der heikle Hochseilakt indes, indem sie ihn unterspielt und in Randzonen verlegt, wenn etwa das Ehepaar auf der gemeinsamen Hochzeitsreisenwiederholung sein stilles Glück darin findet, am Zielort Tunis gleichzeitig unter einer Reiseverstopfung zu leiden. Man ist so lange zusammen und hat sich dabei so einander angeglichen, dass die körperliche Spiegelidentität den größten Trost des Lebens spendet.

    An diesen Punkt muss man freilich erst einmal gelangen. Meistens scheitert man schon zu Beginn, dort, wo eine gefestigte Persönlichkeit mit einer anderen nicht nur sein Bett, sondern seine Wohnung teilen will. "Die Wichtigkeit der Mundpflege" heißt eine kurze, doch intensive Erzählung über jene Verschmelzung von Alltagssphären, die nicht ohne Blessuren vonstatten gehen kann.

    Der Welt-umarmende Wohnungsgeber vermag nämlich überhaupt nicht zu begreifen, warum die Frau, mit der er den Rest seinen Lebens verbringen will, die Badezimmertür verriegelt und sich auch noch darüber beschwert, dass er ihr eine von ihm benutzte Zahnbürste zuteilt. Schließt denn das großartige Verschmelzungsprojekt nicht solcherart kleinliche Abgrenzungspolitik prinzipiell aus?

    In den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts schrieb der Amerikaner John Cheever ähnlich schmerzlich-direkte Short-Stories über das Innenleben der Zweisamkeit. Empar Moliner erweist sich in ihrer "Verführung mit Aspirin" als würdige Enkelin Cheevers. Äußerlich, im Gesellschaftsleben, hat sich zwar einiges gelockert und vereinfacht - im Inneren der Zweisamkeit geht es aber immer noch ziemlich kompliziert zu.

    Empar Moliner: "Verführung mit Aspirin"
    Aus dem Katalanischen von Theres Moser
    Wagenbach, 140 Seiten, 9,90 Euro