Freitag, 10. Mai 2024

Archiv


Faule Dächer

Viele Reetdächer in Norddeutschland verrotten. Selbst Dächer, die erst vor wenigen Jahren eingedeckt worden sind, gammeln vor sich hin. Die Gründe sind unklar.

Von Jörn Breiholz | 09.05.2007
    "Ja, schauen Sie: Alles ist so porös, das ist total zerstört in der Struktur."

    Auf dem Dach der Familie Odefey in Birristoff bei Flensburg: Vor wenigen Jahren erst hat sich Jutta Odefey mit ihrem Mann Rainer für den Kauf des schmucken Reetdachhauses in dem verschlafenen Dörfchen in Angeln entschieden. Die Norddeutsche liebt die landestypischen Häuser mit dem gemütlichen Reetdach. Vor fünf Jahren hatte sie die Reetdeckung auf ihrem Dach erneuert, nun ist das Dach kaputt, wie ihr Reet-Dachdecker Michael Ingwersen-Andersen feststellen muss:

    "Beim Rausziehen kann ich sehen, der Halm ist unnatürlich feucht, er ist schon schwarz, er ist nicht mehr goldgelb, wie er eigentlich sein sollte. Normalerweise ist die Eindringtiefe von Regenwasser fünf Zentimeter in einem gut funktionierenden Reetdach. Und hier ist es so, dass der Halm viel zu feucht ist, und Feuchtigkeit kann das Reet nicht mehr ab. Das fängt jetzt an zu rotten wie in einem Komposthaufen."

    Für die 45-Jährige war es ein Schock. Vor vier Wochen erst haben Rainer und Jutta Odefey den Grund für den intensiven Fäulnisgeruch entdeckt, nachdem sie vorher schon Wände, Fußböden und Decken ihres Hauses untersucht hatten. Ausgerechnet das erst fünf Jahre alte Reetdach war es, das faulte. Gut 40 Jahre soll ein Reetdach eigentlich halten. Nun steht Jutta Odefey vor einer schwierigen Entscheidung:

    "Das Problem ist, wenn ich das neu eindecken lasse, ich hab keinerlei Garantie, keine Gewährleistung von den Unternehmen, von den Reetdachlieferanten. Und ich kann mein Haus auch nicht versichern, das heißt, gegen diese Art von Schaden gibt es keine Versicherung."

    Also überlegt Jutta Odefey, ob sie sich vielleicht sogar für ein konventionelles Ziegeldach entscheidet. Dafür muss sie dann allerdings auch den Dachstuhl neu ausrichten, da ihr Reetdachhaus wie viele andere eben für Reet und nicht für Ziegel ausgelegt ist. Mindestens 20.000 Euro wird sie draufzahlen müssen, schätzt Jutta Odefey. So wie ihr ergeht es derzeit vielen Reetdach-Hausbesitzern in Norddeutschland: Wie nie zuvor gammeln die Reetdächer von Niedersachsen bis nach Rügen. Reet-Dachdeckermeister Ingwersen-Andersen hat deswegen sogar schon seine zwölf Mitarbeiter entlassen und Insolvenz anmelden müssen. Er rät dringend davon ab, jetzt ein Dach neu eindecken zu lassen, da es kein einwandfreies Reet auf dem Markt gebe.

    "In den letzten vier Wochen habe ich ungefähr 30 Dächer beguckt, und da war ein einziges dabei, was nicht befallen war."

    Der Hauptgrund für das Rotten der Dächer dürfte die rasante Ausbreitung von Pilzen sein. Die befallenen Dächer sind durchsetzt von Myzelen, den Zellen eines Pilzes. Die zersetzen die Zellulose in den Reetpflanzen. Doch warum sich der Pilz so rasant ausbreitet, darüber gibt es zumindest beim Landesverband der Dachdecker in Kiel noch keine gesicherte Erkenntnis. Jan Juraschek, der dort für das Thema Reet zuständig ist:

    "Wir haben mehrere Punkte im Fokus, aber leider können wir noch keine wirkliche Ursache benennen."

    Ein Betroffener, der Physiker Ulrich Schäfer, meint, gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern die Ursache für den raschen Zerfall der Dächer gefunden zu haben: eine neu auftretende Pilzfamilie, die bis zu 300-mal schneller Zellulose zerlegen kann:

    "Wir vermuten und verfolgen auch verschiedene heiße Spuren, dass diese Mikroorganismen, speziell die daran beteiligten Pilze, Produkte moderner biotechnologischer Forschungsprojekte sind, bei denen versucht wird, aus Zellulose durch Einwirkung von Pilzenzymen neue Grundstoffe, Biomasse, Zuckerarten und andere Nahrungsmittel zu gewinnen."

    Die Dachdeckerinnung mag dieser Theorie nicht folgen und hat nun eine Studie an verschiedene Universitäten in Auftrag gegeben, die im Herbst Ergebnisse liefern soll. Als Ursache kommt auch der Klimawechsel in Frage: Die milden Winter der letzten Jahre töten Schädlinge wie eben Pilze nicht mehr ab. Aber auch generell schlechtes Reet, eine zu frühe Ernte des Reets bereits vor Frostbeginn oder die unfachmännische Lagerung des Biostoffes kämen in Frage. Unterdessen bleiben die Betroffenen auf ihrem Schaden sitzen. Denn für Reet gibt es bisher keine Qualitätszertifikate und nur selten eine Garantieleistung bei Schadensfällen, wie Jan Juraschek vom Dachdeckerverband sagt:

    "Ich spreche das Wort ungern aus, aber es ist ein bisschen das Lebensrisiko. Genauso wie bei einem Auto, das sie für 50.0000 oder 30.000 Euro kaufen, da haben sie auch nur eine eingeschränkte Gewährleistung."

    Jutta Odefey hat nun eine Selbsthilfegruppe gegründet. Zum ersten Treffen kamen gleich 20 Reetdach-Besitzer.