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"Faust" im Kino

Man darf sich diesen Film nicht als texttreue "Faust"-Verfilmung vorstellen.Es sind vor allem die spätbarocke Anmutung der Bildsequenzen, die Ruhe- und Rastlosigkeit der Kameraführung und das konsequent expressionistische Spiel der Darsteller, die Sokurovs "Faust" zu einem grandios-betörenden Filmkunstwerk machen.

Von Josef Schnelle | 15.01.2012
    Meisterregisseur Alexander Sokurov schließt mit seinem Film "Faust" eine Tetralogie ab, mit der er den Mythen und Mechanismen der Macht nachspürt. "Moloch" zeigte, wie Hitler kichernd auf dem Obersalzberg die Sprachlosigkeit des Diktators im privaten Kreis zelebrierte. "Taurus" erzählte von den letzten Tagen eines von Krankheit und Verzweiflung ausgezehrten Lenin. "Sonne" beschrieb den Augenblick, in dem Japans Kaiser Hirohito nach dem Zweiten Weltkrieg seinem Gott-Sein abschwören musste, um in einer Radioansprache sein Volk zur Aufgabe gegenüber den Amerikanern aufzufordern. Er spricht natürlich Japanisch.

    Und so spricht "Faust", der überlebensgroße deutsche mythische Held des Strebens nach Allmacht und Allwissen, im Film auch durchweg Deutsch. Sokurov, der kein Wort Deutsch versteht, hat sich dazu von dem Berliner Synchron-Regisseur Stephan Hoffmann eine besondere Textfassung von Goethes Klassiker herstellen lassen, mit der er seinen ursprünglich in Deutsch und Russisch gedrehten Film konsequent nachsynchronisieren ließ. Und manchmal - aber nur manchmal - tauchen aus dem Nebel der Geräusche und Sprachfragmente bekannte Zitate auf:

    "Durst, ich hab Durst. Gib mir Wein."
    "Hab nun Philosophie, Juristerei, Theologie, auch Medizin studiert mit heißem Willen. Da steh ich nun und bin so klug als wie zuvor."

    Man darf sich diesen Film jedoch keinesfalls als texttreue Faustverfilmung vorstellen. Nur Fetzen, oft nur unverständliche Klangsplitter der Goethe-Texte sind im Film untergebracht. Sokurov setzt auf Sprachklang und Deklamation seines Hauptdarstellers Johannes Zeiler, der manchmal berühmte Sätze nur noch kaum hörbar murmelt, während Mephistos Verführungsrhetorik - im Film ist er der Wucherer und wird auch stets so genannt - oft in den Zischlauten einer Schlangenkreatur untergeht.

    Im Übrigen sind es vor allem die spätbarocke Anmutung der Bildsequenzen, die Ruhe- und Rastlosigkeit der Kameraführung, das heute im Kino ungebräuchliche 4:3-Stummfilmformat, die erdig-gelbliche Farbgebung und das konsequent expressionistische Spiel der Darsteller, die Sokurovs "Faust" zu einem grandios-betörenden Filmkunstwerk machen.

    Faust will die Liebe beherrschen, das Geld und auch den Krieg, schließlich all das erkunden, was die Welt im Innersten zusammen hält. Dazu braucht er einen Pakt mit dem Teufel. Doch an dem ungeheuerlichen Vertrag, den der Wucherer vorbeibringt, stören ihn zunächst vor allem die Orthografiefehler.

    "Da sind ja lauter Fehler."
    "Tje. Ach wirklich?"
    " meine Se...Seele mit zwei E."
    "Mit zwei E. Sehr schön."
    " Nach der natürlichen Trennung von meinem Leibe. Ja. So ist es richtig. Ich habe keine Tinte mehr."
    "Ohh, was für ein Jammer. Wie wäre es mit Blut? Sie waren doch bereit, mit Blut zu schreiben."

    Man hört es gleich, dieser Mephisto ist kein eleganter intellektueller Verführer so wie Gustav Gründgens ihn zu spielen pflegte und wie ihn auch Emil Jannings mit seiner pantomimischen Körperkunst in Friedrich Wilhelm Murnaus legendärer Stummfilmadaption des Stoffes anlegte. Dieser Mephisto ist eine fremdartige Kreatur, erinnert mit seinem Ringelschwänzchen und mit den Fleischfetzen, aus denen er zusammengeflickt ist, an Frankensteins Monster und in seinem gierigen Gestus an den Vampir Nosferatu.

    Will man diesen Film in seinem Kern verstehen, muss man sich von aller Goethe-Philologie frei machen und stattdessen allein die auf einen rohen Kern freigelegte Figur betrachten, die das Ergebnis von Sokurovs Faustlektüre ist. Dieser Faust verkörpert die Machtmenschen, die Sokurov in seinem Werk so beschäftigen, gewissermaßen als idealistisches Konzentrat.

    Am Ende des Films in nicht lokalisierbaren schroffen Felsenlandschaften ist er bereit, zu herrschen wie ein totalitärer Potentat. Doch was hat ihn dazu werden lassen: Es ist das Scheitern am Konzept der romantischen Liebe, das er an Gretchen erproben wollte, ohne zu verstehen, was in ihr vorgeht.

    Sokurovs Film könnte eigentlich auch Margarete heißen, so sehr steht sie im Mittelpunkt der Geschichte. Nicht umsonst nimmt das Gesicht Gretchens - der russischen Schauspielerin Isolda Dychauk - mit heruntergeschlagenen Augenliedern und rosaroten Jungfrauenlippen das Plakat zum Film fast völlig ein. Fausts größter Fehler ist wohl gewesen, sie nicht zu retten - vor sich selbst natürlich wie der Wucherer nicht müde wird zu betonen:

    "Geh! Geh! Geeh! Du wollest sie doch retten. Du kannst sie retten."