Freitag, 10. Mai 2024

Archiv

Fossil im Fischernetz
Unterkiefer in Taiwan lässt Paläontologen rätseln

Viele Entdeckungen beruhen auf kuriosen Zufällen, so auch in der Paläoanthropologie. Dort wurden Fossilien früher Menschen nicht nur bei geplanten Ausgrabungen entdeckt, sondern auch bei Bauarbeiten, oder in chinesischen Apotheken. Ein neuer Fund aus Taiwan reiht sich hier nahtlos ein. Aber nicht nur dessen Fundgeschichte ist spannend, die wissenschaftlichen Erkenntnisse sind ebenso bedeutsam.

Von Michael Stang | 30.01.2015
    Der vermutliche Fundort des frühmenschlichen Unterkieferfossils befinde sich am Grund des Penghu-Kanals, irgendwo rund 25 Kilometer vor der Küste Taiwans, sagt der Anthropologe Yousuke Kaifu aus Tokio.
    "Das Fossil ging einem Fischer ins Netz. Wir kennen weder den Namen des Finders, noch wissen wir, wann genau das war. Der Unterkiefer wurde einem lokalen Antiquitätenhändler verkauft, wo er mehrere Jahre im Laden lag. Dann entdeckte ihn ein Fossiliensammler."
    Das war 2008. Über mehrere Umwege sei das Fossil dann erst 2010 in die Hände der Wissenschaftler gelangt, die den Fund Penghu 1 nun der Öffentlichkeit vorstellten: der erste frühmenschliche Fossilienfund in Taiwan. Schnell war klar, dass es sich um einen sehr alten menschlichen Unterkiefer handelt. Daher wollten die Forscher auch als erstes sein Alter bestimmen.
    "Das war eine gewaltige Herausforderung. Wir haben verschiedene Datierungsmöglichkeiten versucht: Leider konnten wir das Alter des Kiefers aber nicht bestimmen. Nur mithilfe einiger Beifunde - das waren Fossilien von Hyänen, die aus derselben Region stammen – konnten wir indirekt datieren. Wir gehen davon aus, dass der Kiefer jünger als 200.000 Jahre ist."
    Damit ist klar, dass es sich um einen sehr frühen menschlichen Vertreter handeln muss. Um welchen genau, können Yousuke Kaifu und seine Kollegen noch nicht sagen, denn der halbe Unterkiefer enthält nur wenige Zähne, zudem fehlt ihm das für die wissenschaftliche Beschreibung so wichtige Kinn.
    "Der Unterkiefer gehört nicht zu Homo sapiens. Es ist ein archaischer menschlicher Vertreter. Ein halber Unterkiefer reicht nicht aus, um gleich eine neue Menschenart zu bestimmen. Das machen wir erst, wenn wir weitere Fossilien haben. Wichtig ist aber, dass dieser Kiefer völlig anders aussieht als all die Knochen von zum Beispiel Homo erectus, die wir aus China oder Java kennen."
    Damit könnte es sich bei dem Fund um eine bisher unbekannte Frühmenschen-Variante oder gar –Spezies handeln. Unabhängig davon zeigt der Unterkiefer deutlich, wie groß die Variabilität der Frühmenschen in Asien einst war: Die Funde aus dem sibirischen Denisova, die Funde der kleinwüchsigen Vertreter der indonesischen Insel Flores und die alten Homo erectus-Fossilen lassen erahnen, welch verschlungene Wege die Evolution des Menschen in Asien eingeschlagen hatte.