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Friseure für Obdachlose
Neuer Haarschnitt für mehr Würde

Barber Angels Brotherhood: Der Name klingt erst mal nach einer Rockerbande, hat damit aber so gar nichts zu tun. Es sind Friseure, die sich zusammengeschlossen haben, um Obdachlosen kostenlos die Haare zu schneiden. Das machen sie ehrenamtlich und reisen dafür quer durch Deutschland.

Von Julia Batist | 25.07.2017
    Ein Wohnungsloser bekommt während einer Haarschneideaktion der "Barber Angels Brotherhood" die Haare geschnitten.
    Neuer Look für neues Selbstbewusstsein - die Barber Angels Brotherhood in Aktion. (dpa/Marijan Murat)
    "Ich hätte gerne nur ein bisschen die Spitzen beigeschnitten, wenn's möglich ist." - "Ok, mein erster Schritt wird sein, ich werd dir mit der Einweg-Waschhaube die Haare schnell waschen."
    Friseur Marc Assenheimer knetet dünnes, graues Haar unter einer weißen Haube. Darunter wirken Chemie und Wasser, schon sind Haare und Kopfhaut hygienisch rein. Der improvisierte Friseur-Salon besteht aus einem Pavillon im Innenhof einer Gaststätte im Kölner Norden. Stühle sind aufgestellt, die Ausrüstung liegt in kleinen Rollwagen bereit. Es gibt nur Handspiegel. Alle Friseure tragen schwarze Kleidung und eine Lederweste mit dem Logo der Barber Angels, so heißt ihr Klub.
    Pascal ist 20, obdachlos und war schon lange nicht mehr beim Friseur. Erst war er skeptisch. "Ganz am Anfang, ehrlich gesagt, hab ich echt gedacht: Hm, Haare schneiden, kostet bestimmt was. Aber ich hab ja extra nachgefragt. Warum weiß ich nicht, vielleicht einfach um eine gute Tat zu machen."
    Das ist die Mission der Friseure aus ganz Deutschland. Sascha Siemon hat einen eigenen Salon im Ruhrgebiet und ist heute zum ersten Mal dabei. "Macht einfach riesen Freude, riesen Spaß. Dieses Lachen, Wahnsinn. Leute die nichts haben, versuchen dir noch was zu geben. Kleinigkeiten, Aufmerksamkeiten. Man schaut in die Augen. Was man da sieht, ist mehr wert als jeder Cent Geld."
    "Man fühlt sich danach wieder wie ein Mensch"
    Jeder Friseur behandelt die Gäste so wie seine täglichen Kunden. Hier sind Profis am Werk, die Frisuren sitzen. Pascal hat sich einen Irokesen-Schnitt gewünscht. Geschafft. Beim Blick in den Spiegel ist er gerührt: "Man fühlt sich danach wieder wie ein Mensch. Gepflegt, sauber. Normal, wie jeder andere. Manchmal sind die Haare halt verfilzt oder durcheinander. Ich find es echt klasse, dass es Menschen gibt, die so was machen."
    Die Idee hatte der Gründer im letzten Herbst. Zehn Gründungsmitglieder waren schnell gefunden - mittlerweile haben sich über 50 Friseure angeschlossen. Sie vernetzen sich und koordinieren ihre Einsätze deutschlandweit mit Hilfe von Obdachloseneinrichtungen oder Helfern. Nach Köln hat sie der Verein "Heimatlos in Köln" eingeladen, der hier sein Sommerfest feiert. Eine 20-jährige Obdachlose lässt sich nach dem Haarschnitt nun noch die Wimpern zupfen.
    "Man kriegt die Haare geschnitten, man wird geschminkt. Was will man mehr. Das wollte ich schon immer haben. Das ist ein Seit-Cut. Ich fühle mich jetzt seit Langem wieder menschlich. Das ist Menschlichkeit, Hilfsbereitschaft, so wie ich auch bin."
    Keine Berührungsängste
    In wenigen Monaten hat der Club viel erreicht. Die Einsätze finanziert er über Mitgliedsbeiträge und einen eigenen Online-Shop. Es gibt Sponsoren für Hotels und Produkte. Geholfen haben Medienberichte. Um Publicity geht es Ute Ganser-Koll aber nicht. Die 61-jährige perfekt gestylte Friseurin mit Föhnfrisur und gelber Brille hat ihren Salon in Bergheim. Zum vierten Mal schneidet sie heute Obdachlosen die Haare.
    "Es war für mich keine Berührungsangst. Nein, überhaupt nicht. Hinter vielen steckt ja auch ein Schicksal. Und ich wollte eigentlich ein Teil davon sein, um ihnen das Schicksal ein bisschen leichter zu machen. Den Alltag zu verschönern. Wie man so schön sagt: ein Gesicht zurück zu geben, auch Würde."
    Die Wege in die Obdachlosigkeit sind vielfältig - manche erzählen darüber.
    "Stress zu Hause, mit den Eltern. Da bin ich einfach abgehauen." - "Dann kommt man aus dem Dorf, ist auch noch homosexuell. Da hat man die falschen Leute kennengelernt und dementsprechend bin ich in die Sucht reingelaufen. Ich hab zwar noch gelernt und studiert. Aber das habe ich dann nicht mehr auf die Kette gekriegt."
    "Haare schneiden baut einen immer auf"
    Der 50-Jährige trägt Jeans und Polo-Shirt und wirkte schon ohne neue Frisur gepflegt. Er sitzt mit seinem kleinen Hund auf Treppenstufen. Jetzt will er den Entzug schaffen und träumt von einem neuen Leben. Vermeintliche Kleinigkeiten wie eine neue Frisur können ein bisschen dabei helfen. "Ob da arbeitstechnisch sich noch was tut, das weiß ich nicht. Aber ansonsten nimmt man natürlich alles mit, was einen aufbaut. Und Haare schneiden baut einen immer auf. Das gibt ein ganz neues Gefühl."
    Längst kann man die Obdachlosen nicht mehr auf den ersten Blick erkennen. Frisch frisierte, lächelnde Menschen unterhalten sich, essen und trinken. Im Hintergund spielt ein Mitglied den eigenen Klub-Song.
    "Ich lass das definitiv heute Abend alles sacken, brauch mit Sicherheit auch zwei, drei Tage, um das zu verarbeiten. Aber es macht einen riesen Spaß und beim nächsten Mal werde ich definitiv wieder dabei sein." - "Wenn man selber was hat, mal bekommen hat, dann gibt man auch wieder gern. Es ist so ein wunderbares Gefühl, ich kann's gar nicht vermitteln." - "Die spontanen Momente, die Umarmungen, die Dankbarkeit. Das erdet einen auch."
    Nicht nur die Friseure sind sichtlich bewegt von ihrem Einsatz. Auch die Obdachlosen nehmen wichtige Impulse mit zurück auf die Straße. "Ein Gefühl, akzeptiert zu werden. Ein Gefühl, dazu zu gehören. Also nicht ausgegrenzt zu werden." - "Dass man noch weiß, man wird noch so angenommen, wie man ist. So gehe ich auch gleich wieder positiv raus."