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Gedichte von T.S. Eliot
Wo die Zeit das Zeitlose kreuzt

Im Lauf des Zweiten Weltkriegs schrieb der amerikanische Autor T.S. Eliot, mittlerweile britischer Staatsbürger, Royalist und Anglokatholik, den Gedicht-Zyklus "Four Quartets". Der Lyriker Norbert Hummelt hat die "Vier Quartette" ins Deutsche übertragen.

Von Dorothea Dieckmann | 08.07.2016
    Der amerikanisch-britische Schriftsteller T.S. Eliot am 31. Januar 1957 am Londoner Flughafen.
    Der amerikanisch-britische Schriftsteller T.S. Eliot am 31. Januar 1957 am Londoner Flughafen. (picture alliance / dpa / PA)
    Einen "kultivierten, umständlichen jungen Amerikaner" nannte Virginia Woolf den Dichter T.S. Eliot, als sie ihn 1918 kennenlernte. In ihrem Verlag Hogarth Press druckte sie sein Langgedicht "The Waste Land", das als fulminante Zertrümmerung poetischer und kultureller Traditionen unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs gilt. Im Lauf des Zweiten schrieb Eliot, mittlerweile britischer Staatsbürger, Royalist und Anglokatholik, den Zyklus "Four Quartets", ein Gedicht, das sich von seinem berühmteren Vorgänger durch klassische Komposition, getragene Musikalität und religiöse Versöhnungsgedanken unterscheidet. Nun hat der Lyriker Norbert Hummelt die Vier Quartette ins Deutsche übertragen. So klingen bei ihm die programmatischen Eingangssätze:
    "’Zeit Gegenwart und Zeit Vergangenheit / Sind vielleicht beide in Zeit Zukunft gegenwärtig, / Und Zeit Zukunft enthalten in Zeit Vergangenheit.’"
    Schon von Zeitgenossen wurden die Vier Quartette als Rückschritt gegenüber der anarchischen Wucht des Waste Land betrachtet. Auch die Eliot-Übersetzerin Eva Hesse sprach von einem "Zurückfallen hinter die Errungenschaften der Moderne"; sie erkannte in den Quartetten eine Tendenz, alles Störende unter die "Gewalt" eines "männlichen Logos" zu zwingen. Als Beweis gilt ihr der Vers "The poetry does not matter", der in ihrer Version lautet: "Auf die Poesie kommt’s nicht an."
    "Dass die Eva Hesse das als Offenbarungseid gelesen hat, daraus spricht doch eine gewisse Humorlosigkeit und ein erstaunlich undialektisches Lesen an dieser Stelle, denn wenn Eliot sagt: ‚The poetry does not matter’, macht es doch einen großen Unterschied, ob er das in einem Essay sagt oder in einem Gedicht. In einem Gedicht kann das ja gar nicht stimmen. Es ist sicherlich eine Verabschiedung von l’art pour l’art – das kann man schon so sehen. Aber das, worauf Eliot seit langem schon hinsteuerte, also auch in The Waste Land, das war ja schon ein Schritt in einer Art spiritueller Bewegung, einer Art Erkundung dessen, was ist da an religiöser Überlieferung: Woran kann ich mich halten? Es geht ihm schon um etwas, was im Gedicht aufscheinen kann. Und dass er nun, um sich an dieses Etwas heranzuarbeiten, eben das Gedicht wählt. Das zeigt natürlich schon, dass es auf die Poesie, auf die Dichtung sehr stark ankommt. [Nur,] ich habe dann übersetzt: ‚Was poetisch ist, tut nichts zur Sache.’ Das ist vielleicht ein bisschen frei, andererseits ein bisschen genauer an meinem Verständnis dessen, was Eliot bewegt, so einen natürlich als provokant zu verstehenden Satz zu sagen, eben: Leute, hört doch mal – was ist da gesagt, worauf weist die Dichtung? Dichtung eben nicht als eine rein selbstbezügliche Angelegenheit."
    Spirituell bedeutsame Schauplätze
    Die vier fünfteiligen Gedichte etablieren für Eliot biografisch und spirituell bedeutsame Schauplätze. In Burnt Norton wird er in eine "erste Welt" geführt, in deren Bäumen Kinder kichern. In East Coker, Name des Dorfs seiner Vorfahren, fallen die berühmten Worte "In meinem Anfang ist mein Ende" / "In meinem Ende ist mein Anfang". Im letzten Gedicht begegnet dem Dichter in einer Londoner Bombennacht ein toter Meister, der ihn mit den Leiden des Alters vertraut macht. Die Orte markieren innerhalb der poetischen Koordinaten jene Stelle, an der, wie es heißt, "die Zeit das Zeitlose kreuzt". Sechs Jahre lang hat Eliot an seinem letzten großen Gedicht gearbeitet. Seinen Übersetzer Norbert Hummelt wiederum hat es zehn Jahre lang begleitet, bevor das Ergebnis im Jahr 2006 – wie vorher schon seine Übersetzung von The Waste Land – zunächst in der Zeitschrift "Schreibheft" erschien.
    "1987 bei einem Londonbesuch habe ich mir die kleine schmale Ausgabe von Faber & Faber gekauft und habe angefangen, darin zu lesen. Ich habe einige Jahre später angefangen, das auch zu übersetzen. Es war zum einen etwas, um selber diesen Texten nahezukommen, um sie besser zu verstehen; andererseits oft etwas im Zuge des eigenen Schreibens, mit dem ich Blockaden gelöst habe. Und es ist einfach ein Text, der für mich auch jetzt nicht erledigt ist damit, dass diese Übersetzung jetzt erfreulicherweise vorliegt."
    Übersetzung mit Freiheiten
    Hummelt ist es gelungen, den fließenden, meditativen Rhythmus der Quartette in der deutschen Sprachbewegung wiederzubeleben. Die Entscheidung, das englische "you" bisweilen mit "Sie" zu übersetzen, ist ebenso plausibel wie manche umgangssprachliche Wendungen; weniger dagegen die Stellen, an denen er im Deutschen eine höhere Sprachebene wählt. Immer wieder überzeugen die nachdichtenden Freiheiten, die sich Hummelt nimmt, wenn etwa eine Zeile von Heine oder Hölderlin anklingt oder bei der Anrufung der Maria der Seeleute die englische "Lady" zum "Meerstern", der "stella maris" wird. Und so, in einer zweimaligen Anrufung einer Verheißung, endet auch der Zyklus:
    "’Und alles wird gut und / Jede Art Ding wird bald gut sein / Indem wir unsere Antriebe läutern / Auf dem Boden unseres Flehens.’"
    T.S. Eliot: "Vier Quartette / Four Quartets", aus dem Englischen von Norbert Hummelt, Suhrkamp Verlag, 93 Seiten, 19.95 Euro